Hilfe in Krisen für Männer: Papageno-Effekte im Alltag stärken
Männer in Krisen nehmen häufiger Hindernisse wahr, wenn es darum geht, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Dieses erschwerte Hilfesuchverhalten gilt als eine Erklärung dafür, dass Männer häufiger Suizid begehen als Frauen. Carmen Schlojer hat im Rahmen ihrer Dissertation an der Universität Klagenfurt die Hintergründe dafür untersucht und Empfehlungen für die Suizidprävention und Hilfe in Krisen für Männer entwickelt. Ihre Ergebnisse hat sie kürzlich in Buchform vorgestellt. Einer ihrer Vorschläge: Wir brauchen mehr Papageno-Effekte im Alltag, in denen wir mit einem sorgsamen Umgang mit Krisen alltägliche Situationen suizidpräventiv nutzen.
Frau Schlojer, Sie arbeiten bei GO-ON Suizidprävention Steiermark. Wie kam es, dass Sie sich in Ihrer Dissertation mit Männern in der Krise und Suizid von Männern beschäftigt haben?
Wir stellen seit langem fest, dass wir Männer mit unserer Präventionsarbeit schwerer erreichen. So sehen wir beispielsweise bei unseren Veranstaltungen und Vorträgen, die sich mit der Bewältigung von Krisen befassen, weit weniger Männer als Frauen. Gleichzeitig sprechen die Zahlen in den Statistiken eine eindeutige Sprache: Rund 80 Prozent der Menschen, die hierzulande durch Suizid ihr Leben verlieren, sind Männer. Es gibt also viele offene Fragen und eindeutig Handlungsbedarf.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Ich gehe in meinen Untersuchungen davon aus, dass Unterstützung in Krisen ungemein hilfreich sein kann. In meinen Interviews zeigte sich, dass es bei Männern tatsächlich ein erschwertes Hilfesuchverhalten gibt. Damit konnte ich bestätigen, was sich auch bereits in anderen Analysen gezeigt hat. Bei den Interviews konnte ich auch feststellen, dass es dafür sehr stark verfestigte Hintergründe gibt. Ein Grund ist, dass Männer häufig Krisen nicht wahrnehmen bzw. nicht wahrnehmen möchten. Sie erleben Krisen als etwas Undurchschaubares und Bedrohliches, was auslöst, dass sie lieber nicht hinschauen. Sport und Vereine bieten dann oft Ablenkung. Zusätzlich werden Männer in unserer Gesellschaft mit dem „Männerbild der Stärke und Unverletzlichkeit“ konfrontiert, welches eine aktive Hilfesuche zusätzlich erschwert. Denn Hilfesuche wird leider noch häufig als Schwäche und als Unmöglichkeit für Männer wahrgenommen. Oft wird auch schon ein Vortrag zur Krisenbewältigung als Hilfeannahme interpretiert, was dazu führt, dass ein Mann in einer Krise lieber versucht, die Probleme alleine zu bewältigen und Hilfesuche zu vermeiden.
Die Steiermark und Kärnten gelten als jene Bundesländer mit den höchsten Suizidraten. Gibt es dafür Ansätze für Erklärungen?
Ja, dazu liegen auch Untersuchungen vor. Man geht davon aus, dass ländlich geprägte Regionen stärker betroffen sind. Dort sehen wir auch noch zusätzlich erschwertes Hilfesuchverhalten: Auf traditionellere Geschlechterbilder treffen Rahmenbedingungen, die es oft verhindern, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Es gibt weniger Hilfsangebote und es ist am Land schwerer, anonym eine Beratungsstelle oder einen Vortrag aufzusuchen.. Hinzu kommt, dass in manchen Regionen der Suizid als anerkannte Problemlösestrategie wahrgenommen wird.
Zwischen mitunter auch gefährlicher Normalität und Tabu ist der Grat also schmal.
Wichtig ist: Wir müssen über Suizidalität reden. Gleichzeitig müssen wir aber auch unbedingt über Krisen reden. Krisen sind völlig normal und kommen in jedem Leben immer wieder vor. Geliebte Menschen sterben, man verliert seinen Job, eine Ehe scheitert, man ist mit bedrohlichen Krankheiten konfrontiert, und vieles mehr: All das kann jeder und jedem passieren. Dass in solchen Situationen der Gedanke aufkommt, man könne nicht mehr, ist weitgehend normal. Wir sollten aber mehr darüber wissen, wann diese Gedanken gefährlich sein können und wie wir uns und anderen helfen können. Unbedingt sollte Hilfe gesucht werden, wenn sich Suizidgedanken aufdrängen und sie konkreter werden. Suizidprävention geht damit einher, dass wir einen anderen Umgang mit Krisen lernen. Mehr Offenheit macht in der Folge auch stärker sichtbar, wie andere Menschen Krisen überwunden haben und wie sie damit auch jenen Hoffnung geben können, die gerade tief in einer Krise stecken.
Welche Männer haben Sie denn im Rahmen Ihres Dissertationsprojekts befragt?
Ich habe offene Leitfrageninterviews mit Männern aus Murau und Murtal geführt. Das sind zwei Bezirke in der Steiermark mit sehr hohen Suizidraten. Darunter waren Männer aus drei Generationen.
Ist es für jüngere Männer heute leichter, Hilfe zu suchen als für ältere Männer?
Leider nicht unbedingt. Es war durchaus erstaunlich, dass es kaum Unterschiede zwischen den Altersgruppen gab. Ähnliches sehen wir auch aus anderen Studien: In Krisen erfolgt oft ein Rückfall in traditionelle Bewältigungsmuster.
Welchen Ansatz schlagen Sie vor?
Ich beziehe mich unter anderem auf den Papageno-Effekt, der besagt, dass sorgfältige und sensible Berichterstattung über Suizide zur Prävention beitragen kann. Darauf basierend schlage ich vor, die Papageno-Effekte im Alltag zu stärken, denn es gibt viele Momente im Alltag, in denen die Themen Krisen und Suizidalität aus dem Tabu treten. Wir sollten also im Kleinen anfangen. Wenn jemand beispielsweise sagt, dass er nicht mehr kann, ist es wichtig zuzuhören und nachzufragen. Beim oft „typischen Dorfgelaber“ nach Suizidversuchen oder Suiziden sollte das Thema auf Beratungsangebote oder den eigenen Umgang mit Krisen gelenkt werden. Man kann lernen, Sorge zu formulieren genauso wie man lernen kann, mit Personen umzugehen, die Suizidversuche unternommen haben. Dazu zählt auch beispielsweise eine frühe Kontaktaufnahme mit Hinterbliebenen nach einem Suizid. Wenn man genau hinblickt, zeigen sich in unserem Alltag viele Momente, die wir nutzen könnten.
Welche Rolle spielt der Alkohol?
In meiner Forschung zeigten sich drei Möglichkeiten: Der Alkohol dient häufig als Ablenkung, gleichzeitig kann er aber auch ein Warnsignal sein, dass eine Krise schlimmer wird, wenn Menschen mehr trinken oder nicht nur in Gesellschaft trinken. Drittens kann der Alkohol aber auch erst der Nährboden sein, auf dem Krisen entstehen oder sich verschlimmern. Es zeigte sich, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Sucht-, Suizid-, aber auch Gewaltprävention gibt. Die Bereiche sind in vielem ähnlich und sie haben gemeinsam, dass eine veränderte Wahrnehmung von Krisen und ihrer Bewältigung hilfreich sein kann.
Brauchen wir auch mehr Männer, die in Beratungseinrichtungen arbeiten?
Grundsätzlich wäre es gut, wenn Männer häufiger die Wahl hätten, ob sie dort mit einer Frau oder einem Mann reden. In meinen Interviews zeigte sich, dass Männer in Krisen nicht immer zwingend eine männliche Beratungsperson bräuchten. Frauen spielen oft eine wichtige Rolle, weil sie für Männer häufig die ersten Ansprechpartnerinnen in Krisen sind. Daher ist es für sie oft naheliegender, auch im professionellen Kontext mit Frauen zu sprechen.
Zur Person
Carmen Schlojer hat an der Fachhochschule Kärnten in Feldkirchen das Bachelorstudium „Soziale Arbeit“ und das dazu passende Masterstudium an der Fachhochschule St. Pölten abgeschlossen. Sie lehrt im Bereich Soziale Arbeit an diesen Fachhochschulen. Darüber hinaus ist sie bei „GO-ON Suizidprävention Steiermark“ als Fachvortragende und im Qualitäts- und Entwicklungsmanagement tätig. Ihr Doktoratsstudium schloss sie an der Universität Klagenfurt (betreut von Stephan Sting, Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung) ab.
Im Februar 2025 erschien die überarbeitete und gekürzte Fassung ihrer Dissertation unter dem Titel „Vulnerabilität von Männern in Krisen. Anregungen für eine gendersensible Suizidprävention und Hilfe in Krisen für Männer“ im Verlag Budrich in Buchform.
Kostenlose Rund-um-die-Uhr-Beratungsangebote
Telefonseelsorge unter 142, täglich 0-24 Uhr
Telefon-, E-Mail- und Chat-Beratung für Menschen in schwierigen Lebenssituationen und Krisenzeiten
www.telefonseelsorge.at
Männernotruf unter 0800 246 247
Der Männernotruf bietet Männern in Krisen- und Gewaltsituationen österreichweit rund um die Uhr eine ersten Ansprechstelle
www.maennernotruf.at
Männerinfo unter 0800 400 777
Telefonische Krisenberatung rund um die Uhr aus ganz Österreich; bei Bedarf auch gedolmetschte Beratung
http://www.maennerinfo.at
Weitere Krisentelefone und Notrufnummern unter https://www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention/betroffene/krisentelefonnummern.html