Gier, Krieg, Hoffnung, Liebe und Freundschaft: Die Hobbit-Filme und (soziale) Themen der Gegenwart
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 46 Ländern führen derzeit ein Projekt zu den Filmen der Hobbit-Reihe durch. Dabei geht es um Einstellungen und Meinungen zu den Filmen, aber auch darum, welche Bedeutung sie für die einzelnen Menschen haben. Ein Teil des österreichischen Teams hat nun die Frage nach den (sozialen) Themen, die mit den Hobbit-Filmen angesprochen werden, ausgewertet und die Ergebnisse vorgestellt.
„Wer meint, dass Fantasy-Filme wie die Hobbit-Reihe trivial, naiv oder kindisch wären, irrt“, führt Brigitte Hipfl (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der AAU) aus. Sie hat gemeinsam mit Jasmin Kulterer von der Universität Salzburg folgende Frage aus dem umfassenden Hobbit-Fragebogen für den deutschsprachigen Raum ausgewertet: „Werfen die Hobbit-Filme irgendwelche allgemeineren Themen auf, zu denen Sie sich gerne äußern möchten?“ Die Antworten zeigen, dass der Konsum solcher Fantasy-Filme nicht bloß Flucht aus der Wirklichkeit ist, wie häufig angenommen, und dass die Annahme eines Gegensatzes zwischen Fantasiewelt und Realität den Blick auf interessante Zusammenhänge verstellt.
Den Forscherinnen standen insgesamt 3.235 Antworten in den Fragebögen zur Verfügung, die sie einer qualitativen Analyse unterzogen. Den theoretischen Hintergrund bildete unter anderem das von Raymond Williams entwickelte Konzept einer „structure of feeling“. Hipfl und Kulterer gehen davon aus, dass Medien – nicht nur zu Ereignissen wie dem Tod von Prinzessin Diana oder den Terroranschlägen von 9/11 – kollektive Stimmungen und Gefühle verdichten können, die das Potenzial haben, das Publikum zu berühren.
Die Ergebnisse der Analyse zeigen starke Bezüge zu (sozialen) Themen der Gegenwart. So sehen viele ZuschauerInnen in den Hobbit-Filmen eine Kapitalismuskritik, die sich anhand des häufig angesprochenen Aspektes der Gier ablesen lässt. „Die Gier nach Geld und Macht wird als Symptom des Kapitalismus angesprochen“, so Brigitte Hipfl. Jasmin Kulterer führt weiter aus, dass die ZuschauerInnen die Charaktere in den Hobbit-Filmen moralisch hinsichtlich dieser Gier bewerten. „Diejenigen, die schwach sind, treffen schwache moralische Entscheidungen, die Starken können – selbst mit harten inneren Kämpfen, widerstehen“. Auf einer zweiten Ebene kommt in den Antworten auch Kritik an der kapitalistischen Vermarktung der Hobbit-Filme zum Ausdruck. Hipfl führt weiter aus: „Der Film wird als Kapitalismuskritik verstanden, und gleichzeitig als bestes Beispiel für Kapitalismus.“ Häufig wird von den ZuschauerInnen Gier mit dem Themenkomplex Krieg in Verbindung gebracht, dem in Tolkiens Welt neben den grauenhaften Aspekten auch immer eine Chance auf Erneuerung innewohnt. In den Antworten werden unter anderem auch Vergleiche zur Flüchtlingskrise gezogen. Die Schrecken des Krieges seien, so Kulterer, in der Wahrnehmung des Publikums auch die Basis eines besonderen Gefühls von Liebe, Freundschaft und Zugehörigkeit, wie es das auf Individualismus getrimmte Einzelwesen der Gegenwart kaum erlebe. Darin liege auch die Hoffnung begründet, die von vielen Forscherinnen und Forschern als das zentrale Gefühl hinter den Werken Tolkiens beschrieben wird. Anhand des Helden Bilbo beschreiben Hipfl und Kulterer die komplexen Potenziale des Einzelnen und den Zusammenhang zum sozialen Diskurs des Neoliberalismus.
„Die Hobbit-Filme sind also keineswegs nur Filme, sondern sie sprechen viele aktuelle Themen der realen Welt, mit ihren kollektiven Erwartungen, Gefühlen, Ängsten, Wünschen und Zielen an. Sie spiegeln ein gemeinsames Gefühl unter historisch-spezifischen Bedingungen wider“, fasst Hipfl zusammen.