„Forschung und Technologie sind vielleicht die mächtigsten Mittel, um unsere Welt gut weiterzuentwickeln.“
Sabine Herlitschka ist Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG, einem weltweit führenden Unternehmen von Halbleiterlösungen. Mit ad astra spricht sie über ihre persönliche Motivation, den Mut „Ja“ zu sagen und den Blick über den Tellerrand.
Frau Herlitschka, Sie sind Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG. War Technologie schon immer Ihre große Leidenschaft?
Technologie ist spannend, aber sie ist für mich niemals Selbstzweck. Forschung und Technologie sind vielleicht die mächtigsten Mittel, um unsere Welt gut weiterzuentwickeln. In diesem Gestaltungsanspruch lag und liegt immer meine Leidenschaft. Damit verbunden ist sicher auch mein nie enden wollender Drang zu lernen, sich immer mit dem Neuen auseinanderzusetzen und der Versuchung der einseitigen Perspektive nicht zu erliegen. Ich habe meine Ausbildung breit angelegt von der Technik über die Biotechnologie bis zur Ökonomie und in unterschiedlichsten Rollen gearbeitet: als Forscherin, als internationale Beraterin für Innovationssysteme, als Vizerektorin oder als Managerin. Die Aufgabe bei Infineon bietet mir jetzt die Möglichkeit, viel von diesen Erfahrungen einzubringen und jeden Tag weiter dazu zu lernen.
Was treibt Sie an? Was ist Ihre Motivation?
Ich will etwas Sinnvolles tun, heute neudeutsch „Purpose“ und beitragen, dass die Welt sich weiter entwickelt und zwar in einem guten Sinn. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte in vielen Lebensbereichen – auch global – erreicht, viel auch mit Technologie. Aber – und das ist ein großes „Aber“: Wir sehen, dass wir vor Problemen stehen, die uns als Menschheit bedrohen und herausfordern. Die ökologische Frage ist nicht die einzige, aber wohl die drängendste, denn es geht um unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel.
Jetzt muss und kann jeder einen Beitrag leisten – in Wissenschaft, als Teil der Gesellschaft, in der Politik und in der Wirtschaft. Im Bereich der Energieeffizienz, einem unserer Schwerpunkte bei Infineon, zeigen wir, wie sich Digitalisierung und Nachhaltigkeit verbinden lassen. Die Leistungshalbleiter oder auch Energiesparchips, die wir hier in Österreich entwickeln und produzieren, erhöhen die Energieeffizienz, verringern den Energieverbrauch und damit den CO2-Fußabdruck in vielen Anwendungen – in Haushalts- und Industriegeräten, in Rechenzentren, in E-Autos, in Zügen und bei der Gewinnung erneuerbarer Energien. Technologie kann hier tatsächlich viel bewegen. Das mitgestalten zu können, motiviert mich jeden Tag.
Sie sind First Generation Studierende und Vorstandsvorsitzende eines weltweit agierenden Technologieunternehmens. Waren Sie schon immer eine First-Moverin?
Die eigene Geschichte wird oft erst im Rückblick deutlich. Und wenn ich zurückblicke, dann war ich wohl häufig so etwas wie eine „First Moverin“. Es war mir allerdings nicht bewusst – und auch nicht mein Ziel. Das was mir in den jeweiligen Situationen wichtig und richtig erschienen ist, habe ich getan und vielleicht an manchen Stellen weniger als andere darüber nachgedacht, was wer davon halten könnte oder ob das „üblich“ ist. Diese Fragen haben mich schlicht nicht interessiert. Sich Dinge gut zu überlegen und Respekt vor der Aufgabe zu haben ist gut. Es dann aber auch zu tun und einfach „ja“ zu sagen ist am Ende entscheidend. Mit unserer neuen Hightech Chipfabrik in Villach haben wir gerade die größte Investition in der Branche in Europa umgesetzt, obwohl wir beim Start des Projektes noch dafür belächelt worden sind. Heute können wir liefern, während andere erst planen. Ich engagiere mich für den Technologie-, Forschungs- und Innovationsstandort Österreich und Europa, weil ich fest davon überzeugt bin, mit diesen Themen die Zukunft aktiv gestalten zu können. Ich kann also etwas beitragen. Daher ist es mir ein Anliegen, andere und insbesondere Frauen zu ermutigen, ihren Weg konsequent zu gehen. Den ersten Schritt zu setzen, eröffnet Chancen.
Welche „Qualitäten“ als First Generation Studierende helfen Ihnen in Ihrer jetzigen Position?
Das Studium der Biotechnologie hat mir die wissenschaftlichen Grundlagen, die systemische und evidenzbasierte Herangehensweise vermittelt. Neben diesen fachlichen Qualifikationen kommt es immer auf die persönliche Einstellung und Haltung an. Bei mir war und ist es immer die Freude am Gestalten, am konkreten Anpacken. Der berühmte Blick über den Tellerrand, sei es inhaltlich oder geografisch, die Zusammenarbeit mit Partnern, anderen Disziplinen, Ländern oder Kulturen und der Wille dazuzulernen – all das sind Schlüsselbegriffe wie auch Erfolgsfaktoren für das Studium und die Berufswelt.
Viele unserer Studierender beginnen bereits während ihrer Studienzeit zu arbeiten, viele davon bei Infineon. Welche Vorteile sehen Sie darin?
Eine exzellente fachliche Ausbildung ist das eine, aber man lernt nicht nur in Hörsälen, sondern an allen Stationen des Lebens. Ich sehe das als optimale Vorbereitung auf das Berufsleben, um Erfahrungen zu sammeln und fachliche als auch persönliche Skills weiterzuentwickeln. Auslandssemester, Forschungskooperationen oder auch Praktika, die Möglichkeiten sind vielfältig und sind durch europäische Programme wie z. B. Erasmus auch einfach umsetzbar. Daher kann ich auch aus eigener Erfahrung nur sagen: Gehen Sie raus aus Ihrer Komfortzone, es lohnt sich.
An den Universitäten werden die Innovator*innen von morgen ausgebildet. Welche Kompetenzen sind in unserer modernen Arbeitswelt notwendig?
In einer Wissensgesellschaft sind Hochschulen strategische Leuchttürme. Sie können eine Region attraktiv machen und ein Anziehungspunkt für Menschen, Ideen und die Wirtschaft sein. Daher brauchen wir sie als Vorreiter bei Diversität, bei Digitalisierung und dem Verschränken unterschiedlicher „Communities“. Eine ganz besondere Herausforderung ist es, eine neue Vermittlungsart bei technischen Fächern zu schaffen, um mehr junge Leute dafür zu begeistern. Auch dabei kann Digitalisierung und die Orientierung an den Anwendungsfragen helfen. All das bedarf intelligenter und kreativer Campus- und Online-Angebote, einer digital affinen Didaktik, des Lernens und des Austausches ganz im Sinne eines aktiven Vernetzens. Digitalisierung, Automatisierung, aber auch der demografische Wandel sind Treiber dafür, dass nicht nur spezifisches Expertenwissen, sondern auch praxisorientierte Kompetenzen – beispielsweise die Fähigkeit mit unterschiedlichen Menschen, Disziplinen und Kulturen zu arbeiten, Agilität, Offenheit für Veränderungen aber auch die Selbstführungskompetenz – gefragt sind. Unsere Mitarbeiter*innen leiten Projekte, entwickeln technische Lösungen und neue Geschäftsmodelle, agieren oft als Entrepreneur*innen, arbeiten in globalen Teams, tauschen interdisziplinär Wissen aus, nutzen agile Methoden und Weiterbildungsangebote. Diese Fähigkeiten bereits an der Universität erleben und lernen zu können macht fit für die Arbeits- und Zukunftswelt.
Stichwort Kooperationen: Wie kann eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Hochschulen aussehen, um Studierende und Absolvent*innen für künftige Herausforderungen des Arbeitsmarktes zu rüsten?
Wir diskutieren oft über die Frage, wie das in Universitäten und Fachhochschulen gewonnene Wissen verwertet werden kann. Die direkteste und beste Form sind Kooperationen. Und der beste Wissenstransfer funktioniert immer über Menschen. Wir können gemeinsam wissensbasierte Antworten und Lösungen für Zukunftsthemen wie die Digitalisierung oder das Erreichen der Klimaziele erarbeiten UND vor allem auch umsetzen. Das tun wir in vielen Bereichen über konkrete Forschungsprojekte, spezifische Masterprogramme, dem PhD Exzellenzprogramm oder den Infineon Stiftungsprofessuren – sechs in Österreich, darunter zwei an der Universität Klagenfurt mit „Industrie 4.0 adaptive und vernetzte Produktionssysteme“ und „Nachhaltiges Energiemanagement“. Ich bin überzeugt, mit Wissens-Ökosystemen – bestehend aus Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsinstitutionen, aus großen und kleinen Unternehmen – die komplexen Themen unserer Zeit besser voranbringen zu können. Darin liegt noch so viel mehr Potenzial.
für ad astra: Lisa Svetina