Flexibles Verständnis von Bildung im Alter: Jennifer Pöcher mit Barbara-Prammer-Preis 2022 ausgezeichnet
Der Barbara-Prammer-Preis wird vom Verband der Österreichischen Volkshochschulen ausgelobt. Die Verleihung fand durch den Parlamentsdirektor Harald Dossi sowie den Generalsekretär des Volkshochschulverbandes John Evers am 7. März 2023 im Parlament in Wien statt. Jennifer Pöcher, Absolventin des Masterstudiums Erwachsenen- und Berufsbildung, überzeugte die Jury mit ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Bedarfs- und bedürfnisorientierte, erwachsenenbildnerische Angebotsentwicklung anhand von community-basierter, partizipativer Forschung mit SeniorInnen im Gemeindegebiet“. Betreut wurde sie von Monika Kastner und Peter Schlögl. Wir haben mit Jennifer Pöcher über die Inhalte ihrer Masterarbeit gesprochen.
Sie haben sich mit Erwachsenenbildung mit einem Fokus auf Senior:innen beschäftigt. Welche Beweggründe haben Senior:innen, um sich weiterzubilden?
Bei Senior:innen handelt es sich um eine überaus heterogene Gruppe. Nicht nur das Alter (ältere, alte und hochaltrige Personen), sondern auch das Wohnumfeld (Stadt, Land), die Bildungsbiografie (lerngewohnt oder lernungewohnt), das Geschlecht und die persönliche Einstellung zu Bildung nehmen Einfluss auf die Weiterbildungsbereitschaft von betagten Personen. Anlässe zur Weiterbildung ergeben sich im Ruhestand jedoch vielfach durch individuelle Entwicklungsaufgaben und Bedarfe. Senior:innen lernen, weil sie sich nicht mit der Rolle des/des passiven, hilfsbedürftigen Empfängers/Empfängerin von Versorgungsleistungen zufriedengeben, sondern ihre Lebenswelt aktiv mitgestalten möchten. Das Lernen verlagert sich im Ruhestand jedoch zunehmend auf den räumlichen, kulturellen und sozialen Nahbereich, das heißt viele Menschen lernen im lokalen Umfeld. Daraus folgt, dass formale und non-formale Bildungsangebote im Vergleich zu informellen Lernkontexten an Bedeutung verlieren.
Wo finden Senior:innen Weiterbildungsangebote vor und was zeichnet diese meist aus?
So heterogen wie die Zielgruppe, sind auch die Weiterbildungsangebote, die sich für Senior:innen ergeben: Im urbanen Raum stellen Weiterbildungseinrichtungen wie Volkshochschulen (VHS), Bildungswerke, aber auch Universitäten zahlreiche Lehrgänge und Kurse in den verschiedensten Feldern bereit. Diese werden hauptsächlich von lerngewohnten, gut situierten Personen in Anspruch genommen. Neben stark formalisierten, institutionell organisierten Angeboten, besteht die Möglichkeit, sich an kaum formalisierten Kursen, wie etwa einer Vorbereitungseinheit für ein selbst gewähltes, freiwilliges Engagement, zu beteiligen. Auch der Besuch einer Theatervorstellung, eines Museums oder einer Opernvorstellung gelten als „Weiterbildung“ im weiteren Sinne.
Im ländlichen Raum werden Bildungsangebote Großteils von in der Gemeindestruktur fest verankerten, manchmal auch politisch geprägten Vereinen organisiert. Das Resultat ist ein ziemlich einseitiges, reglementiertes, das heißt nicht für alle Personengruppen offenes Programm, das den Wünschen der ländlichen Bevölkerung nur teilweise gerecht wird.
Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse aus Ihrer Forschungsarbeit? Was wissen Sie jetzt, was Sie vor Ihrer Masterarbeit nicht wussten?
Die Heterogenität der Zielgruppe Senior:innen, deren Weiterbildungsbedarfe sich je nach Altersphase unterscheiden, erfordert einen sehr offenen Umgang mit und ein flexibles Verständnis von Bildung im Alter. Während Personen über 50 Jahren besonders von Verschiebungen des Pensionsalters betroffen sind und sich in den letzten Jahren vor ihrem Ruhestand häufig neuen beruflichen Aufgaben zuwenden müssen, geht es Personen ab 65 eher darum, ihre Pension möglichst sinnvoll und aktiv zu gestalten. Sie interessieren sich für Möglichkeiten des Zuverdiensts, übernehmen die Betreuung ihrer Enkelkinder oder engagieren sich ehrenamtlich. Auch neue Hobbies werden gerne erprobt. Für Personen im hohen Alter, die vielfach von Gesundheitsveränderungen und Verlusterlebnissen betroffen sind, werden Informationen über mögliche Hilfeleistungen, die zum Erhalt ihrer selbständigen Lebensführung beitragen, immer wichtiger.
Demzufolge bräuchte es eine breite Palette an unterschiedlichen Konzepten und Angeboten, welche die individuellen Interessen, Lebenssituationen, Bedarfe und Entwicklungsaufgaben aller Bürger:innen zu berücksichtigen vermag. Da weder angebotsförmige Arrangements noch selbstorganisierte Bildung dieses immense Spektrum an verschiedensten Anforderungen abdecken, liegt der Schlüssel für eine gelingende Ausgestaltung von Lernarrangements für die Zielgruppe 60+ im partizipativ angelegten Lernen. Bildung und Lernen vollziehen sich hier hauptsächlich ‚nebenbei‘ durch sozialen, alltäglichen Austausch. Dieser erfolgt zum Beispiel in Form von Straßengesprächen, Diskussionen zu einer bestimmten Thematik, aber auch durch bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement oder community-basierte partizipative Forschung.
Warum haben Sie sich für dieses Thema entschieden?
Ich habe mich für dieses Thema entschieden, weil ich mich gerne neuen Herausforderungen stelle und communityorientierte, partizipative Forschung mit Senior:innen angesichts des wachsenden Altersdurchschnitts in der Gemeinde Reichenau, als geeignetes Instrumentarium erachte, um zukünftige Bedarfe meiner Heimatgemeinde frühzeitig aufzudecken und Handlungsempfehlungen abzugeben. Zu diesem Zweck habe ich mich im Rahmen meiner zweiten Masterarbeit, welche die Abschlussarbeit für mein Studium der Sozial- und Integrationspädagogik darstellt, den Themengebieten Alter(n) und Lebensqualität am Land gewidmet.
Was hat Sie zum Studium bewegt?
Für das Studium der Erwachsenen- und Berufsbildung habe ich mich entschieden, weil ich es zum damaligen Zeitpunkt als optimale Ergänzung zu meinem bereits absolvierten Studium der Angewandten Betriebswirtschaft erachtet habe. Ursprünglich wollte ich nach Abschluss meines Studiums der EB in der Berufsberatung fußfassen. Im Leben verläuft ja bekanntlich nicht immer alles nach Plan… Im Jahr 2016 habe ich studienbegleitend die Tätigkeit als Alltagsmanagerin im betreubaren Wohnen Patergassen aufgenommen, woraus auch mein Interesse für Bildung im Alter und meine berufliche Kehrtwende resultierten.
Was machen Sie jetzt beruflich? Gibt es Zusammenhänge zur Masterarbeit?
Aktuell bin ich als Alltagsmanagerin im betreubaren Wohnen Patergassen beschäftigt. Meine Aufgabe ist es, regelmäßigen Kontakt zu den Mieter:innen aufzunehmen und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen. Um den Gemeinschaftssinn unter den Bewohner:innen zu stärken und den Gruppenzusammenhalt zu fördern, organisiere ich Spiele- und Bastel-Nachmittage und unternehme Ausflüge. Aktivierung und Mobilisierung in Form von Abhaltung von Senior:innen-Gymnastikeinheiten oder Gedächtnistrainings gehören dabei ebenso zu meinen Aufgaben, wie Information, Beratung und Unterstützung bei organisatorischen Angelegenheiten. Auch für Einzelgespräche und individuelle Anliegen der Mieter:innen nehme ich mir gerne Zeit. Es gibt also durchaus Zusammenhänge mit meiner Masterarbeit.