Elementarpädagogik – hoher Wert und wenig Stellenwert?

Durch die Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres und den steigenden Bedarf an Pädagog*innen bekommt die Elementarpädagogik zunehmende Aufmerksamkeit. Den Stellenwert, den sie verdient, hat sie aber noch lange nicht, meint Bildungswissenschaftlerin Veronika Michitsch im Interview. 

Warum ist das Forschungsfeld der Elementarpädagogik von wachsendem Interesse?

Der Bedarf an Fachkräften in der Elementarpädagogik ist enorm und wird sich in den kommenden Jahren aufgrund der steigenden Besuchszahlen und des Ausbaus der Betreuungsangebote für unter Dreijährige noch steigern. Zugleich gibt es aber bereits seit Jahren einen Mangel an Elementarpädagog*innen in Österreich. Deshalb beschäftigen sich mein Team und ich in einem aktuellen Forschungsprojekt mit den Bildungs- und Berufsverläufen von elementarpädagogischen Fachkräften.

Ist das Berufsbild der Elementarpädagogik zu wenig attraktiv?

Das versuchen wir in unserer Studie herauszufinden. In den Bildungseinrichtungen für Elementarpädagogik mangelt es nicht an Auszubildenden. Das Berufsbild erscheint vielfältig und dürfte nicht der Grund für den Personalengpass sein. Die Problematik ist eher der frühe Ausstieg aus dem Berufsfeld und dass viele nach ihrer Ausbildung erst gar nicht in den Beruf einsteigen.

Haben Sie schon Ergebnisse, die Aufschluss über die Gründe geben?

Was wir bisher herausgefunden haben, ist, dass das Ausbildungs- und Berufseinstiegsalter ein wichtiger Faktor ist. Mit 18 oder 19 Jahren fühlen sich viele zu jung für diesen Beruf oder setzen neue Prioritäten in ihrer Bildungslaufbahn. Als junge* r Erwachsene*r für eine Gruppe von 25 Kindern verantwortlich zu sein und mit – meist viel älteren – Eltern zusammenzuarbeiten, ist eine Herausforderung. Viele Erzieher*innen befinden sich noch mitten in der Persönlichkeitsentwicklung, haben wenig Berufserfahrung und sollen viel Verantwortung übernehmen. Dazu kommt, dass sich viele ihr Arbeitsumfeld anders vorgestellt haben. In diesem Zusammenhang ist auch das Gehalt ein Thema, da es in keiner Weise die Verantwortung widerspiegelt, die Elementarpädagog* innen übernehmen.

Ist das Gehalt ein primärer Ausstiegsgrund?

Bei den Interviews im Rahmen unserer Studie wurde deutlich, dass das Gehalt zwar besser sein könnte, aber nicht der wesentliche Grund ist, warum es zu einem Exit der Fachkräfte kommt. Neben dem bereits erwähnten jungen Berufseinstiegsalter sind die Rahmenbedingungen und das Imageproblem des Berufsfeldes definitiv die Hauptmotive, den Beruf zu verlassen.

Und welche Gründe halten jemanden in der Elementarbildung?

Viele Erzieher*innen, die auf dem zweiten Bildungsweg, über berufsbegleitende Kollegs beispielsweise, diesen Beruf ergreifen, bleiben auch. Sie haben sich ihre Entscheidung gut überlegt, viel Zeit in die Ausbildung investiert und wollen genau das machen.

Muss die Ausbildung aus Ihrer Sicht überarbeitet werden?

Die Ausbildung erfüllt ihren Auftrag. Eine grundlegende Änderung, die mehr Menschen in diesem Beruf halten könnte, wäre die Anhebung des Alters bei Ausbildungsbeginn. Zudem handelt es sich um eine berufsbildende höhere Schule, das heißt, es müssen neben den berufsspezifischen Fächern selbstverständlich die gesamten Pflichtfächer wie Mathematik, Sprachen etc. abgeschlossen werden. Man könnte darüber nachdenken, Fächer wie Projekt-, Personal- und Qualitätsmanagement in der Ausbildung zu vertiefen. Das sind Bereiche für die professionelle Praxis, die bislang zu kurz kommen.

Qualitäts- und Projektmanagement etc. sind Aufgaben, die viele nicht mit der Arbeit im Kindergarten oder in Kindertagesstätten verbinden.

Das stimmt. Das Image der Elementarpädagogik in der Gesellschaft ist ein großes Problem. Die frühkindliche Bildung und die damit verbundenen Aufgaben werden banalisiert. Es wird ein bisschen gespielt, gebastelt und gesungen. Hier gibt es viele Klischees, die sich hartnäckig als Narrative halten und die für die Fachkräfte frustrierend sind, weil sie der Realität des Arbeitsalltags nicht gerecht werden. Die pädagogische Arbeit geht weit über reine Care-Aufgaben hinaus. Mittlerweile existiert eine Trias aus Bildung, Erziehung und Betreuung.

Wie kann dieser Imagewandel von Betreuungs- zu Bildungseinrichtung vorangetrieben werden?

Es braucht eine klare Positionierung der Bundes- und Landesregierungen und der Verantwortlichen in der Bildungspolitik, dass die Elementarpädagogik als Profession anerkannt und finanziell in sie investiert wird. Frühkindliche Bildung ist ein Teil der Bildungslaufbahn eines Menschen. Deshalb braucht es Expert*innen, die auch als solche anerkannt sind. Zudem braucht es attraktive Aufstiegsmöglichkeiten.

Kinder werden heute immer früher fremdbetreut. Ist es für sie ein Vorteil, frühkindliche Bildungsangebote in Anspruch zu nehmen?

Der barrierefreie Zugang zu früher Bildung muss an erster Stelle der Bildungspolitik stehen. Es gibt Studien, die den positiven Einfluss auf die Bildungskarriere eines Kindes zeigen, wenn es eine frühkindliche Einrichtung besucht hat. Wann mit institutionalisierter Bildung begonnen werden soll, ist eine sehr individuelle Frage, die vom Kind und der Familiensituation abhängig ist. Aktuell beobachten wir eine Tendenz hin zur Institutionalisierung von Kindheit. Ich sehe das kritisch, weil Bildung und Beziehung nicht nur in einer Einrichtung passieren. Sehr oft ist die Fremdbetreuung aber die einzige Alternative für Familien.

Was sehen Sie daran kritisch?

Wenn Kleinkinder sehr früh fremdbetreut werden, ist es umso wichtiger, auf eine gute Bindungsqualität zu achten. Sind die primären Bezugspersonen nicht da, spielen Elementarpädagog*innen eine zentrale Rolle, da sie zu Bindungspersonen werden. In der frühen Kindheit sollte viel Zeit in den Aufbau einer stabilen Bindung investiert werden. So werden Kinder sicher gebundene Menschen, was sich u. a. positiv auf ihren Bildungserfolg auswirkt.

Wie können Eltern ihre Kinder in dieser Situation unterstützen?

Von Seiten der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ist es wichtig, Qualität vor Quantität zu stellen. Wenn man als Elternteil spät nach Hause kommt und vielleicht nur ein bis zwei Stunden mit dem Kind verbringen kann, dann sollte diese Zeit bestmöglich genutzt werden – ohne Handy oder andere Ablenkungen! Es wird gemeinsam gespielt, gelesen, der Tag reflektiert. Shared Attention, also die gemeinsam geteilte Aufmerksamkeit von Kind und Bezugsperson auf eine Sache, ist bei wenig gemeinsamer Zeit besonders wichtig. Das festigt eine vertrauensvolle Beziehung.

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield

Zur Person


Veronika Michitsch ist Senior Scientist im Arbeitsbereich Schulpädagogik und Historische Bildungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung. Neben ihrer Forschungstätigkeit im Arbeitsfeld der frühkindlichen Bildung und damit verbundenen Bildungs(ort)kooperationen, ist sie auch in der Aus- und Weiterbildung für elementarpädagogische Fachkräfte tätig und begleitet Träger*innen elementarpädagogischer Einrichtungen in Qualitätsmanagement- und Recruitingprozessen, in der pädagogischen Konzeptionsarbeit sowie in der institutionsübergreifenden Kooperation Kiga – Kita – Schule.