Diese LV bietet Studierenden einen praxisorientierten und interdisziplinären Zugang zu den Methoden der Konfliktanalyse und -bearbeitung. Der Fokus liegt dabei auf dem sogenannten Kärntner „Volksgruppenkonflikt“. Durch den direkten Austausch mit Vertreter*innen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bekommen die Studierendes die Möglichkeit zur kritischen Reflexion.
Können Sie uns etwas Näheres zu Ihrer LV „Theorie und Praxis ziviler Konfliktbearbeitung am Beispiel von Mikro- und Makrogeschichte/n im Alpen-Adria-Raum“ erzählen? Worum geht es dabei genau?
Linda Schönbauer-Brousek:
In wenigen Worten gesagt geht es darum, dass die Studierenden sich im Rahmen der LV als Konfliktberater*innen und Coaches üben und dadurch praxisnah Methoden ziviler Konfliktbearbeitung erlernen. Als Fallbeispiele dafür dienen Konfliktlinien im Kontext des sogenannten „Kärntner Volksgruppenkonflikts“ und seiner Verstrickungen mit anderen Konflikten zwischen Minderheits- und Mehrheitsbevölkerungen im Alpen-Adria-Raum.
Jan Brousek:
Genauer handelt es sich dabei um ein, im Jahre 2012 vom Friedensforscher Wilfried Graf initiiertes, LV-Projekt. Zeitlich entstand es also quasi in unmittelbarer Folge der „Regelung“ des Kärntner Ortstafelkonflikts beziehungsweise des sogenannten „Ortstafelkompromisses“. Hinter den Kulissen, also abseits von offizieller Politik und der so genannten „Konsensgruppe“, arbeitete auch das HKI (Herbert C. Kelman Institut für Interaktive Konflikttransformation) an einer nachhaltig-friedlichen „Lösung“ des Ortstafelkonflikts und damit in Verbindung stehender Konfliktlinien. Seine damaligen Direktor*innen, Gudrun Kramer und Wilfried Graf, zielten in Ihren Dialogprozessen rund um den Ortstafelkonflikt darauf ab, sich vor allem der Bearbeitung jener tiefer liegenden (kollektiven) Annahmen, Einstellungen und Haltungen zu widmen, welche die Stimmung im Land Kärnten bis dahin prägten und einer nachhaltigen Transformation dieses komplexen Konfliktgefüges im Wege standen; von welchem der Ortstafelkonflikt ja sozusagen nur die Spitze des Eisberges war.
Linda Schönbauer-Brousek:
Für den Prozess der Konfliktbearbeitung war in methodischer Hinsicht vor allem das Verfahren der Interaktiven Konflikttransformation von zentraler Bedeutung. Dabei handelt es sich um eine ursprünglich in Auseinandersetzung mit den Theoremen Johan Galtungs entstandene Methode. Diese wurde, auf Basis der im Laufe der Jahre gemachten Dialogprojekterfahrungen, nach und nach um Herbert C. Kelmans diesbezügliche Erkenntnisse erweitert und adaptiert. Kelmans Arbeit zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er über Jahrzehnte Dialogprojekte mit einflussreichen Schlüsselpersonen im Israel-Palästina-Konflikt durchführte und auf diesem Wege „inoffizielle Diplomatie“ – gewissermaßen als Komplementärmedizin zur offiziellen Diplomatie – betrieb. Außergewöhnlich daran war auch, dass er seine sogenannten „problem-solving-workshops“ vielfach an der Universität durchführte und seine Studierenden zu stillen Beobachter*innen dieses Dialogprozesses wurden.
Jan Brousek:
Unsere LV lehnt sich an Kelmans Konzept an, weshalb wir bereits seit 2012 jedes Jahr unterschiedliche Konfliktparteien für Dialogrunden in die LV einladen. Der Unterschied zu Kelmans Konzept besteht darin, dass die Studierenden bei uns keine stillen Beobachter*innen sind, sondern – in Kleingruppen organisiert – jeweils verschiedene Konfliktparteien als Konfliktberater*innen und Coaches begleiten und beim Erarbeiten von Konflikttransformationsstrategien unterstützen. Da es von 2013 bis 2017/18 ein parallel zur LV laufendes Dialogprojekt gab, konnten so interessante Wechselwirkungen zwischen den zivilgesellschaftlichen Dialogaktivitäten einerseits und den im Rahmen der LV stattfindenden Dialogrunden andererseits erzielt werden. Zum Beispiel zeigte sich, dass selbst Kritiker des Kärntner Dialogprozesses vermehrt bereit waren, im universitären Setting in Dialog mit Andersdenkenden zu treten. Und inzwischen, nachdem letzten Herbst ein Buchprojekt über das Dialogprojekt abgeschlossen wurde (Slovenia-Österreich – Befreiendes Erinnern, hg. 2020 v. J. Brousek, D. Grafenauer, W. Wintersteiner und D. Wutti), knüpft die LV an die im Anschluss daran entstandenen Fragen an.
Linda Schönbauer-Brousek:
Wie Sie zwischen den Zeilen wohl rauslesen können, betrachten wir Konfliktbearbeitung nicht als eine Arbeit, die eines Tages plötzlich abgeschlossen ist, sondern als fortwährenden Prozess, in dem nach und nach neue Themenfelder abgearbeitet werden, um auf diesem Wege für nachhaltigen Frieden zu sorgen, der weit mehr ist als die bloße Abwesenheit von Krieg oder physischer Gewalt; so etwa wie fortwährende Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit.
Was wollen Sie Ihren Studierenden mitgeben?
Daniel Wutti:
Die Fähigkeit zum grundsätzlichen Perspektivenwechsel ist, unserer Meinung nach, eine bedeutende Kompetenz, wenn es um ethnische Thematiken geht. Natürlich ist Hintergrundwissen zu relevanten Begriffen und wissenschaftlichen Konzepten bezogen auf beispielsweise Konflikt- und Dialogtheorien, die Friedensforschung generell oder auch Psychotraumatologie für ein eingehendes Verständnis bedeutend. Wir gehen in unseren Lehrveranstaltungen jedoch einen Schritt weiter und bringen unsere Studierenden unmittelbar in Kontakt mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Dieser Austausch, den wir gut vor- und nachbereiten, bringt allen Beteiligten einen Mehrwert und ist auch als eine Intervention zu verstehen. Indem verschiedene Lebenswelten und -realitäten von an Konflikten Beteiligten sichtbar werden und Studierende eingehend zu Motiven und Beweggründen der Akteur*innen forschen, deren Ursprünge oft, wenn nicht sogar zumeist unbewusst liegen, wird Perspektivenwechsel ermöglicht. Uns ist es darüber hinaus bedeutend, mit den Studierenden in den Lehrveranstaltungen so viele Schattierungen und Graustufen beziehungsweise Farbtöne wie möglich herauszuarbeiten, wo zuvor oft nur binäre Konflikte nach schwarz-weiß-Mustern sichtbar waren. Die Thematik des zweisprachigen Kärnten/Koroška bietet sich als Ansatzpunkt sehr gut dafür an, weil daran viele verdeckte Dynamiken noch immer Emotionalität entfachen können.
Warum ist Ihre Lehrveranstaltung gerade heute relevant?
Daniel Rehsmann:
Wir sehen es als eine zentrale Aufgabe der Universitäten vor allem auch jene Anliegen zu thematisieren, die sich zu gewissen Zeiten außerhalb des politischen Tagesgeschehens oder dem medialen Interesse abspielen. Die Veränderung der politischen Landschaft in Kärnten, wie auch die Realisierung des Memorandums (2011) führten zu der Perzeption, eines „gelösten“ Kärntner Volksgruppenkonflikts. Als Wissenschaftler*innen, die sich mit dem Feld sozialer Konflikte beschäftigen, sprechen wir uns gegen eine binäre Auffassung dieser aus. Gerade deshalb ist es uns wichtig, lang andauernde Prozesse wie die Assimilierung von Volksgruppen zu thematisieren und Studierende für diese und andere Thematiken im Zusammenhang mit Minderheiten/Mehrheitsverhältnissen zu sensibilisieren.
Zur Person
Jan Brousek ist am Zentrum für Friedensforschung und -bildung tätig. Er lehrt an verschiedenen österreichischen Universitäten, ist Teil des HKI, arbeitet als Trainer für Konfliktbearbeitung und interkulturelle Kommunikation und ist, neben verschiedenen anderen Tätigkeiten, als Shiatsu-Therapeut tätig.
Zur Person
Daniel Rehsmann lehrt am Institut für Volkswirtschaftslehre und am Zentrum für Friedensforschung und -bildung.
Zur Person
Linda Schönbauer-Brousek lehrt am Zentrum für Friedensforschung und -bildung, ist Trainerin, Unternehmensberaterin und Teil des HKI, sowie Mitentwicklerin des Verfahrens für Interaktive Konflikttransformation.
Zur Person
Daniel Wutti ist Lehrbeauftragter am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, dem Institut für Psychologie, dem Zentrum für Friedensforschung und -bildung und dem Institut für Geographie an der Alpen-Adria-Universität. Hauptberuflich ist er Hochschulprofessor am Institut für Mehrsprachigkeit und Transkulturelle Bildung der Pädagogischen Hochschule Kärnten und Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision.