Einblick in die Lehre… 3 Fagen an Janine Schemmer
Tagebücher sind und waren immer schon ein Medium der Selbstthematisierung. Durch Tagebücher erhält man Einblicke in das Leben von Menschen zu bestimmten Zeiten. Somit sind sie eine wichtige Quelle, um Vergangenes zu analysieren. In der LV geht es um verschiedene Formen von solchen Ego-Dokumenten, ob aus dem 18. Jahrhundert oder dem digitalen Zeitalter.
Können Sie uns etwas Näheres zu Ihrer LV „Tagebuch und digitale Medien. Selbstthematisierung und Selbstrepräsentation“ erzählen? Worum geht es dabei genau?
Das Tagebuch ist ein klassisches Medium der Selbstthematisierung und der Selbstreflexion. Es gibt Einblicke in die Wahrnehmungen, Empfindungen und Erfahrungen von Menschen. Im Tagebuch materialisieren sich vergangene Zeit und Erlebtes. Deswegen sind Tagebücher relevante Quellen für die Kulturanalyse des Alltags. Wir beschäftigen uns im Seminar mit unterschiedlichen Entstehungsbedingungen und Anlässen, sich selbst zu thematisieren. Diese haben sich immer wieder verändert: während bis ins 18. Jahrhundert religiöse Zwecke dominierten, und das Tagebuch vor allem der Introspektion diente, hat sich die Selbstthematisierung vervielfältigt, nach außen gerichtet und ist längst zum Trend geworden. Daher setzen wir uns mit unterschiedlichen Schreiber*innen und den vielfältigen Funktionen von Tagebüchern auseinander und analysieren, wie Identitäten jeweils ausgehandelt werden. Das Schreiben stützt die Erinnerung, kann aber genauso zukunftsgerichtet sein. Das Schreiben organisiert Gedanken und Gefühle, ist Kontrollinstanz, dient zur Planung und zur Herstellung von Ordnung genauso wie zur Bewältigung von persönlichen und gesellschaftlichen Krisen. Interessant ist auch, welchem Rhythmus es folgt. Tagebücher erlauben persönliche und vielseitige Einblicke in die Arten und Weisen, wie Menschen sich zu verschiedenen Zeiten erzählen, zu wem sie in Dialog treten, und zu welchen Themen und gesellschaftspolitischen Kontexten sie sich in Beziehung setzen. Dabei spielen Begriffe und Konzepte wie Privatheit und Öffentlichkeit, Authentizität und Inszenierung eine Rolle. Ein weiterer relevanter Aspekt ist die vielfältige Materialität von Tagebüchern, und die Frage danach, wie die Beschaffenheit wiederum mit den Inhalten zusammenhängt. Außerdem betrachten wir alltägliche Medien der Selbstthematisierung wie beispielsweise soziale Netzwerke und Apps, und arbeiten Kontinuitäten und Transformationen in der Repräsentation des Selbst heraus.
Was wollen Sie Ihren Studierenden mitgeben?
Mir ist es wichtig die Studierenden dafür zu sensibilisieren, dass es sich bei Tagebüchern und im weiteren Kontext bei Ego-Dokumenten um ganz besondere Quellen handelt, die weit mehr als nur eine Innensicht spiegeln. Die unterschiedlichen Spuren zu lesen, diesen nachzugehen und sie in Beziehung zu setzen ist dabei zentral. Außerdem sind Ego-Dokumente unglaublich vielseitig. Denkt man an das Tagebuch, hat man oft ein bestimmtes Bild von den Inhalten, den Schreiber*innen und den Themen im Kopf. Allerdings ist die Gattung Tagebuch flexibel, hat eine lange Geschichte und erlaubt Einblicke in unterschiedlichste Spielarten der Selbstthematisierung. Wir loten im Seminar neben den Möglichkeiten aber auch die Grenzen des kulturwissenschaftlichen Umgangs mit diesen speziellen Ego-Dokumenten aus.
Warum ist Ihre LV gerade jetzt wichtig?
Sich mit Selbstthematisierung und ihrem Wandel zu beschäftigen ist auch aufgrund der Veralltäglichung digitaler Medien aktuell und relevant. Digitale Formate ermöglichen es Menschen aus verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten, sich auf unterschiedlichste Weisen selbst zu erzählen, ihre Stimme zu erheben, ihre Anliegen nach außen zu tragen und ein breites Publikum zu erreichen. Damit erhält man vielstimmige Einblicke in aktuelle Ereignisse, z.B. im Kontext sozialer Bewegungen oder Migrationsbewegungen. Ein ganz anderes Beispiel ist die Frage danach, wie sich etwa in der Form von Apps wie Ernährungstagebüchern die Blicke auf und der Umgang mit dem Selbst verändern. Durch den digitalen Wandel haben sich Formen und Funktionen der Selbstgestaltung und des Selbstmanagements vervielfacht. Diesen dynamischen Prozessen nachzugehen, macht die Beschäftigung mit dem Thema interessant und relevant.
Zur Person
Janine Schemmer lehrt und forscht am Institut für Kulturanalyse an der Universität Klagenfurt. Sie ist Mitglied des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Erzählforschung, der maritimen Anthropologie, der Arbeitskulturenforschung und der kulturwissenschaftlichen Raum- und Stadtforschung. Sie promovierte 2015 an der Universität Zürich mit ihrer Dissertation mit dem Titel „Hafenarbeit erzählen. Erfahrungs- und Handlungsräume im Hamburger Hafen seit 1950“.