Ein Zahlenmensch, der Verhalten modelliert
Stephan Leitner wusste schon früh, dass er unter den BWLern eher ein Zahlenmensch ist und sich somit in den quantiativen Fächern wohler fühlt als in den eher „weichen“ Fächern. Heute forscht er als frisch habilitierter assoziierter Professor an der Abteilung für Controlling und Strategische Unternehmungsführung an Modellen, die das Entscheidungsverhalten in Unternehmen sowie die Auswirkungen von Entscheidungen – unter Berücksichtigung der Verhaltenswissenschaften – berechnen.
In der herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Forschung gäbe es, so erzählt uns der ruhig, bescheiden und besonnen argumentierende Stephan Leitner im Interview, eine entscheidende Lücke: „Vieles fokussiert entweder nur auf die Mikroebene, also das individuelle Verhalten einer Managerin oder eines Käufers, oder nur auf die Makroebene, also das Gesamt- oder Unternehmensergebnis.“ Leitner möchte mit seiner Forschung dazu beitragen, dass die Verbindung zwischen Mikro- und Makroebene stärker ausgeleuchtet wird. Dazu brauche es, berichtet er uns weiter, eine stärkere Verbindung zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die sowohl das eine als auch das andere im Blick haben.
Als Beispiel nennt er die so genannten Investitionsentscheidungen. „Der klassische Ansatz würde annehmen, dass alle handelnden Akteure in einem Unternehmen rational handeln, dass alle alle nötigen Informationen haben und dass jeder weiß, was die Zukunft bringt.“ Dieser „optimale“ Fall ist natürlich nur Fiktion. Die Wissenschaft, die solche Berechnungen anstellt, muss sich daher – für Leitner zu Recht – die Kritik gefallen lassen, praxisfern zu sein. Persönliche Eitelkeit, in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen mit entsprechenden Erfahrungen, Über-Optimismus etc. müssten in die Modelle Eingang finden, um realitätsnähere Szenarien simulieren zu können. Daher versuchen Leitner und seine Kolleginnen und Kollegen, die psychologische Sichtweise stärker in die klassische Forschung einzubringen: „So haben wir restriktive Annahmen, wie beispielsweise Rationalität, in den Modellen gelockert und dann mit Simulationen untersucht. Für einige Mechanismen der klassischen Betriebswirtschaftslehre wissen wir bereits, unter welchen Rahmenbedingungen diese gut oder weniger gut funktionieren und können sagen, wie Rahmenbedingungen – beispielsweise im Investitionskontext – gestaltet sein müssen, damit die Mechanismen gut funktionieren.“ Ziel ist es, Abläufe zu definieren, die das „Menschliche“ im Betriebswirtschaftlichen berücksichtigen und trotzdem zu einer guten Entscheidung führen. „Profitieren können sowohl Mikro- als auch Makroebene: Die gute Entscheidung des Einzelnen könnte zu einem optimierten Unternehmensergebnis beitragen.“
Skeptisch, ob sich so etwas Kompliziertes wie der Mensch und sein Verhalten modellieren und simulieren lässt, fragen wir danach, wie nah man mit dieser Methode an die Realität herankommen kann. Stephan Leitner erklärt: „Ein Modell ist immer eine Abstraktion von einem tatsächlichen Sachverhalt. Man kann gar nicht alle Aspekte hineinmodellieren, wir versuchen aber, der Wirklichkeit näher zu kommen, indem wir restriktive Annahmen realistischer gestalten. Die modellierten Individuen im Modell lernen im Laufe der Zeit. In der Praxis kommt jedoch fast niemals jemand zu optimalen Entscheidungen im mathematischen Sinne.“
Stephan Leitner hat heuer seine kumulative Habilitation abgeschlossen und ist seit Anfang März assoziierter Professor an der Abteilung für Controlling und Strategische Unternehmensführung. Seine aktuelle Forschung beschäftigt sich mit generellen Aspekten von Delegationsbeziehungen: „Es geht mir um eine Modellierung auf einer Metaebene, sodass auch die Beziehung zwischen Ärztin und Patient oder zwischen Eigentümer und Managerin unter dieser Lupe betrachtet werden kann.“ Mit der Habilitation hat Leitner die Qualifizierungsvereinbarung erfüllt und kann, so er will, an der AAU in der Wissenschaft bleiben. „Ich verspüre aktuell keinen Druck, möchte mich aber ganz grundsätzlich schon weiterentwickeln und würde dafür auch anderswo hingehen.“ Wir fragen: „Aber Sie wollen Wissenschaftler bleiben, auch wenn Sie in der Praxis mehr Geld verdienen könnten? Ist das nicht eine ‚irrationale‘ Entscheidung?“ und hören als Antwort: „Was irrational ist, ist immer eine Frage der Zieldefinition. Bei mir ist da der Verdienst wohl scheinbar nicht dominant.“ In der Wissenschaft habe er viele Freiheiten, an dem zu arbeiten, was ihn vorrangig interessiert. Das habe ihn auch zu seinem heutigen Karriereweg gebracht: Stephan Leitner hat nach der Matura an einer BHS und einer kurzen Episode in der Unternehmenspraxis in Klagenfurt Angewandte Betriebswirtschaft studiert und sich von Anfang an zum Controlling hingezogen gefühlt: „Es gibt unter den meisten von uns diejenigen, die eher „weiche“ Fächer bevorzugen und diejenigen, die eher Zahlen-Typen sind. Ich gehöre wohl zu den letzteren.“ Stephan Leitner wollte auch immer verstehen, was hinter den Zahlen in der Praxis steht, und hat die Controlling-Forschung als Ort gefunden, an dem sich dies gut fragen (und beantworten) lässt.
Auf ein paar Worte mit … Stephan Leitner
Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?
Als mir klar war, dass ich studieren will, habe ich mich zwischen Angewandter Betriebswirtschaft und Medizin entschieden. Hätte ich mich damals anders entschieden, wäre ich wohl Arzt geworden.
Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
In Grundzügen. Die untersuchten Modelle sind teils spezifisch, sie lassen sich aber ganz gut auf allgemeine Sachverhalte übertragen.
Was machen Sie im Büro morgens als erstes?
Checken, zu welchen Ergebnissen die Simulationsexperimente, die über Nacht berechnet wurden, geführt haben.
Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Jein, mit einem „freien Kopf“ bin ich auch im Urlaub auf so manche Idee für meine Forschung gekommen.
Was bringt Sie in Rage?
Unhöflichkeit und Ungerechtigkeit.
Und was beruhigt Sie?
In der Natur zu sein.
Wer ist für Sie die größte WissenschaftlerIn der Geschichte und warum?
Das ist schwer zu beantworten. Innerhalb der BWL bzw. Ökonomie bewundere ich bspw. Forscherinnen und Forscher, die einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Vertragstheorie geleistet haben, wie bpsw. Bengt Holmström oder Oliver Hart. Gleichzeitig finde ich Beiträge von Forschern bemerkenswert, die psychologische Aspekte in die wirtschaftswissenschaftliche Forschung integrieren. Solche Beiträge stammen bspw. von Daniel Kahneman oder Amos Tversky. Außerhalb der BWL fallen mir dazu Namen wie Robert Koch oder Wilhelm Röntgen ein.
Worauf freuen Sie sich?
Auf neue Herausforderungen im Privaten sowie im Beruflichen. Aber aktuell auch ein wenig auf den Sommer.
Hier geht es zu den Wirtschaftsstudien an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt:
Thinking beyond business & borders: Studieren an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät