Alumni im Porträt: Marie Steinthaler

Ein Wiedersehen mit … Marie Steinthaler

Marie Steinthaler hat an der Alpen-Adria-Universität „Wirtschaft und Recht“ studiert und lebt seit 2009 in London. Heute arbeitet sie als „Director of Product“ bei Zopa, einem inzwischen etablierten Start-up aus der Finanztechnologie, kurz FinTech. Mit ad astra hat sie über ihren Weg dorthin, den Brexit und ihre Begeisterung für neue Technologien im Consumer Finance-Bereich gesprochen.

 

Von Klagenfurt nach London ins Zentrum der FinTech-Szene. Wollten Sie schon immer ins Ausland?

Mein Vater ist Zivilingenieur, und wir haben als Familie im Ausland gelebt. In meiner Jugend war ich außerdem als Seg lerin viel unterwegs und bin in der ganzen Welt Regatten gesegelt. Meine Schwester und ich wollten 2012 bei den Olympischen Spielen in London antreten. Als das dann leider nicht geklappt hat, habe ich mich an der Universität Klagenfurt für „Wirtschaft und Recht“ eingeschrieben. Ich wollte schon immer ins Ausland. Schon wenige Tage nach meiner Sponsion bin ich nach London gegangen und habe mich dort voll in die Arbeitsuche geworfen.

Im Bereich Finanztechnologie?

Nicht direkt. Zuerst hatte ich ein paar andere Jobs, aber der Bereich „Consumer Finance“ hat mich schon damals sehr fasziniert. Ich konnte immer gut mit Geld umgehen und war gut im Sparen. Viele meiner Freunde und Bekannten haben tolle Berufe und sind clever, und trotzdem haben sie keine Ahnung von ihren Finanzen. Deshalb können sie teilweise auch ihre Träume nicht ausleben. Ich frage mich oft, warum das so ist: Ist es, weil Menschen einfach nicht übers Geld nachdenken wollen, oder gibt es keine guten Tools, die ihnen dabei helfen?

Ist das auch die Idee von Zopa?

Ja, in gewisser Weise schon. Zopa hat 2005 ein Konzept ins Internet gebracht, das sich Peer-to-Peer-Lending nennt. Wir sind die Schnittstelle zwischen Menschen, die ihr Geld verleihen wollen, und Menschen, die Kredite benötigen. Dadurch, dass wir 100 Prozent online sind, können wir viel effizienter und günstiger als traditionelle Banken arbeiten, und das ist der große Benefit. FinTech-Start-ups gibt es jetzt natürlich weltweit, in China, in den USA und teilweise auch in Europa.

Wie groß ist das Risiko für die Geldgeber?

Wir haben derzeit ca. 80.000 Investoren, und der Minimumbetrag liegt bei 1.000 Britischen Pfund. Es richtet sich also nicht nur an Wohlhabende. Um das Risiko zu managen, teilen wir das Geld auf viele Kreditnehmer auf, das heißt £ 1.000 gehen an 100 Leute, und das Risiko pro Kreditnehmer beläuft sich nur mehr auf £ 10. Wir bei Zopa sind relativ risikoarm mit unseren Darlehen und haben Renditen von rund fünf Prozent. Die meisten unserer Kreditnehmer benötigen Kredite, um sich ein Auto zu kaufen, ihre Küche zu renovieren oder um teurere Kreditkarten abzubezahlen. Das ist im UK und in den USA viel üblicher als bei uns.

Was ist Ihre Aufgabe bei Zopa?

Als ich vor drei Jahren zu Zopa kam, war ich zunächst Produkt-Manager. Es ging darum, mit Entwicklern und Designern zusammen neue Lösungen für Probleme unserer Kunden und Kundinnen zu entwickeln. Heute bin ich für unsere App zuständig und leite als „Director of Product“ das mobile Team. Jetzt geht es mehr um Produktstrategie, Coaching und Rekrutierung. Unsere Teams sind „crossfunctional“, das heißt, sie bestehen aus Designern, Software-Entwicklern, Produkt-Managern usw. Diese Teams funktionieren dann gut, wenn sie eine klare Mission haben, zum Beispiel „Help people to manage their everyday spending“. Dann können die Leute im Team ihre Stärken und ihr Problemverständnis nutzen, um gemeinsam zu einer kreativen Lösung zu kommen, anstatt einfach das zu entwickeln, was sich vielleicht jemand in höheren Etagen wünscht.

Es gibt Leute, die prophezeien, dass es in 20 Jahren keine Banken mehr geben wird. Liegt das am Aufschwung der FinTech-Szene?

In England gibt es seit ungefähr fünf Jahren einen Prozess, unter dem man sich für eine Banklizenz bewerben kann. Den hat die englische Finanzmarktaufsicht eingeführt. Davor gab es seit über 100 Jahren keine neuen Banken im UK. Jetzt gibt es eben sehr viele neue, und die bringen mehr Wettbewerb in den Markt. Es geht mehr und mehr um User Experience als um Zinssatz.

Wie reagieren die großen Banken auf diesen Trend?

Sie machen Lobbying und arbeiten an ihren eigenen digitalen Produkten. Der Wille ist da, aber die Umsetzung ist schwer, weil sie behäbig sind und meist top-down funktionieren. Wir können einfach viel schneller und flexibler arbeiten.

Spielt der Brexit dabei auch eine Rolle?

Ja, wir merken schon, dass wir weniger Bewerbungen aus der EU bekommen. Im Personalwesen ist es immer schwieriger für uns, gute MitarbeiterInnen zu finden. Vom Produktangebot her ist es aber kein großes Problem, da unsere Produkte stark auf UK fokussiert sind.

Und für Sie privat?

Das Schlimmste ist für mich, dass man als Österreicherin keine Doppelstaatsbürgerschaft haben kann und ich deshalb komplett auf die Gesetzgebung angewiesen bin. Andererseits denke ich halt auch: Wenn ich mit meinen Erfahrungen in England kein Visum bekommen kann, dann möchte ich auch nicht in England sein.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Im Oktober ziehe ich mit meinem Partner nach Hongkong und baue dort vielleicht ein Start-up auf. Ich habe ein gutes Netzwerk und weiß, wie man Ideen entwickelt und Teams bildet. Da habe ich großes Vertrauen. Also wenn jemand aus dem Alumni-Umfeld Lust auf ein unternehmerisches Abenteuer hat, dann bitte melden!

Was machen Sie in Ihrer Freizeit, um den Kopf freizubekommen?

Ich wohne in einem Viertel mit Bars, Open Mics und Theater und nutze die Londoner Kulturszene voll aus. Einmal im Jahr nehme ich an „TechBikers“ teil: Wir radeln mit 70 Leuten aus der Tech-Szene von Paris nach London und sammeln mit der Non-Profit-Organisation Room to Read Spenden für Kinder in Entwicklungsländern. Die Idee hat mich von Anfang an begeistert, ich bin schon seit einigen Jahren dabei.

Was würden Sie heutigen Studierenden mit auf den Weg geben?

Wenn ich Bewerbungsgespräche führe, merke ich oft, dass Leute von ihrer „Leidenschaft“ sprechen. Bei genauerem Nachfragen ist dann aber wenig dahinter. Ich sage, wenn euch wirklich etwas begeistert, dann arbeitet daran und setzt es um – das kann ein Event sein, eine App oder ein Blog. Außerdem habe ich gelernt, dass es Jobs für Allrounder gibt. Ich war immer relativ offen, hatte Interesse an vielen Themen und keine klare Spezialisierung. Das habe ich lange als Nachteil empfunden. Heute weiß ich aber, dass dem nicht so ist, vor allem im Start-up- Bereich. Also: ausprobieren, reinspringen und schauen, wo und wie man sich Dinge selbst beibringen kann – in the words of Nike: „Just do it!“

für ad astra: Theresa Kaaden