Ein Leben wie ein russischer Roman: Vom Eisenbahnmanager zum Koordinator des Sprachenzentrums
Colin Heller wurde 1971 in Ostdeutschland geboren und entwickelte schon in seiner Jugend eine große Leidenschaft für das Russische. Sein Weg führte ihn nach Russland, Tschechien, Österreich und in die Ukraine. Nun hat er sein Doktorat am Institut für Slawistik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt abgeschlossen und ist als Senior Lecturer und Koordinator am Sprachenzentrum Wirtschaft der Fachhochschule Kärnten gelandet.
„Als zehnjähriges Kind war ich in einem Ferienlager in Russland. Ich kam zurück und sagte zu meinen Eltern: ‚Ich will Russisch-Lehrer werden, weil die Sprache so schön klingt.‘“, erzählt Colin Heller. Die Sprache habe ihn schon sehr früh berührt. Der erwachsene Colin Heller hat später in Jena Slawistik und Deutsch als Fremdsprache studiert und dabei auch schon einige Zeit in Russland verbracht. Damals entflammte auch seine Begeisterung für die Kultur des Landes, das Anfang der 1990er Jahre „wenig gastlich war“. Essen gab es nur auf Basis von Lebensmittelbons, das Verhältnis zu den Ausländern war gespannt. „Die Russen hatten nichts, wir hatten nicht viel“, fasst Heller zusammen. Das Sowjetische brach von einem Tag auf den anderen zusammen, und das Russische blühte in den studentischen Kellertheatern und Musikclubs auf. „Die große russische Seele“ zog Colin Heller in seinen Bann. Verantwortlich dafür ist auch die Sprache: „Sie ist melodiös. Das Russische ist die Gefühlswelt betreffend reich an Ausdrücken, sowohl positiv als auch negativ. Ich kann auf Russisch ganz wunderbar meine Liebe zum Ausdruck bringen, aber auch abgrundtief – in einer eigenen Parallelsprache des Russischen – schimpfen. Die Sprache ist insgesamt sehr reich.“
Noch vor seinem Studienabschluss ging Heller für ein Jahr an die Universität Pilsen in Tschechien, wo er am Lehrstuhl für Angewandte Linguistik Deutsch als Fremdsprache und Russisch unterrichtete und seine Frau kennenlernen sollte. Nach dem Ende der zeitlich begrenzten Lektoratsstelle, beendete er sein Studium und zog mit ihr in ihre Heimat nach Spittal/Drau. Vor nun fast 30 Jahren sollte die kleine Stadt in Kärnten Hellers „Homebase“ werden, von der aus er eine beeindruckende Karriere in der Logistikbranche hinlegte. „In Spittal fand ich keine Arbeit als Russisch- und Deutschlehrer. Ich sah mich daher in Wien um und begann bei einer Spedition, die sich auf Eisenbahntransporte in die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion spezialisiert hatte, zu arbeiten, bei der ich zumindest Russisch sprechen konnte.“ Heller brach jeden Sonntagabend oder Montagmorgen auf, um häufig nur kurz in seinem Wiener Büro Halt zu machen und dann weiter an die Grenze zwischen Ungarn, der Slowakei und der Ukraine zu fahren, wo er seiner Arbeit nachging. Freitags kehrte er zurück nach Spittal/Drau. Gegen Ende seiner „ersten“ Karriere wurde er zum Prokuristen des Unternehmens, verantwortlich für Organisation und Abwicklung von Eisenbahntransporten in die Ukraine, nach Russland und Kasachstan und vornehmlich für die Qualität der Umladung der Güter in Breitspurwaggons in der Ukraine. Heller verdiente gut, verhandelte auf Russisch mit den Transportbehörden und fuhr viel Auto.
Für jemanden, dessen Leidenschaft Sprache & Kultur ist, war das russisch-österreichische Eisenbahngeschäft immer etwas befremdlich. „Es ging nur um Zahlen und wirtschaftlichen Erfolg.“ Den Ausgleich fand Colin Heller in der Wissenschaft: So inskribierte er sich 1996 an der Universität Wien für das Doktoratsstudium in russischer Linguistik, bot Russisch-Kurse an der VHS und der Universität Wien an und wurde ein aktives Mitglied im Linguistikzirkel der Wirtschaftsuniversität Wien. Vor zehn Jahren erhielt er dann den Hinweis, dass an der Klagenfurter Universität mit Ursula Doleschal und Tilmann Reuther zwei sehr engagierte Linguistik-Professoren tätig seien. Da Klagenfurt ohnehin auf seiner wöchentlichen Reiseroute lag, schrieb er sich hier vor rund zehn Jahren ein und arbeitete weiterhin kontinuierlich an seiner Dissertation, einem Online-Wörterbuch der russischen Eisenbahnfachsprache. Immer auf die Option einer wissenschaftlichen Laufbahn schielend, zögerte er den Abschluss des Doktoratsstudium stets hinaus. Man habe ihm gesagt, „Mit Doktorat wäre es schwieriger als Externer in die Karrieremodelle einzusteigen als ohne.“ Ursula Doleschal und Tilmann Reuther vermittelten ihm aber stets die Kontakte in die Welt der Russistik, er nahm regelmäßig an Konferenzen teil und veröffentlichte seine Ergebnisse in Fachzeitschriften.
Colin Heller lebte viele Jahre in all diesen verschiedenen Welten. Mit dem Beginn der Sanktionen gegen Russland brach das Transportvolumen stark ein. Viele Unternehmen kamen somit ins Strudeln, so auch die Firma, in der Colin Heller damals tätig war. „Eines Tages teilte man uns mit, dass wir geschlossen werden müssten. Ich erkannte diesen Moment für mich als Chance“, schildert er und erzählt weiter: „Ich wollte schon länger weg, sah aber keine Möglichkeit, mich realistisch beruflich verändern zu können. Die kurze Phase der Firmenauflösung nutzte ich dann für meinen Abschied.“
Heller verlegte seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt zurück nach Kärnten und machte sich als Sprachlehrer selbstständig. 2015 trat er dann eine nebenberufliche Stelle an der Fachhochschule Kärnten an, wo man ihm in Aussicht stellte: „Mit einem Doktorat wäre es möglich, als Sprachlehrer auch eine Vollzeit-Anstellung zu bekommen.“ Mit glänzenden Augen spricht Colin Heller im Interview über den Moment, an dem sein bisheriger Werdegang „aufzugehen“ schien: „Ich habe die Arbeit am Doktorat so lange für mich betrieben. Nun machte es plötzlich auch ökonomisch einen Sinn.“ Wenige Monate vor Auslaufen des Curriculums schloss Colin Heller die Arbeit an der Dissertation ab und absolvierte sein Rigorosum am Institut für Slawistik. Nun ist er Senior Lecturer für Russisch und Deutsch als Fremdsprache, Koordinator am Sprachenzentrum Wirtschaft der Fachhochschule Kärnten und organisiert den Fremdsprachenunterricht für die sprachinteressierten Studierenden am Standort Villach. In den ersten Monaten seiner Tätigkeit konnte er bereits eine Zusammenarbeit mit der ukrainischen Universität Charkiw beginnen und bei der Anbahnung eines Studierendenaustauschs mit einer der Universitäten im russischen St. Petersburg mitwirken. Die guten Kontakte mit der Scientific Community sollten ihm hierbei hilfreich sein. An der Fachhochschule werden keine LinguistInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen ausgebildet. In den Kursen sind Studierende der Wirtschafts- und Technikwissenschaften, die die Sprache für ihr späteres Berufsleben brauchen werden. „Viele erhoffen das große Geld in Russland. Dass ein Euro in Russland aber härter verdient ist als anderswo, müssen wir ihnen vermitteln. Wenn man einmal den Fuß im russischen Markt hat, kann man auch wirtschaftlich sehr erfolgreich sein. Um aber diesen Erfolg zu haben, muss man die Mentalität der Menschen richtig einschätzen lernen.“ Heller lehrt also nicht nur die Sprache, sondern auch interkulturelle Kompetenzen. „Der Russe oder die Russin will handeln und respektiert werden. So muss man auch seinen Preis kalkulieren. Wenn ich 100 Euro verdienen will, muss ich den Verkaufspreis entsprechend hoch ansetzen, um einen Verhandlungsspielraum zu haben.“
Die gute Verbindung zur Alpen-Adria-Universität nutzt Colin Heller in seiner derzeitigen Funktion für neue und gemeinsame Projekte: DaF/DaZ-Studierende der AAU hospitieren in Deutschkursen an der Fachhochschule und die Online-Lernplattform zur Schreibkompetenz WRILAB2, die Ursula Doleschal mitentwickelt hat, kommt in den Sprachkursen an der Fachhochschule zum Einsatz. Colin Hellers Reise war lang. Nun scheint er angekommen.