Die Welt neu denken: Warum braucht die KI-Entwicklung die Philosophie?

Mit der Künstlichen Intelligenz wird dem Menschen federführend durch Tech-Giganten scheinbar das Denken abgenommen. Umso wichtiger ist es laut der Philosophin Cornelia Stefan (Institut für Philosophie), dass möglichst viele möglichst breit in demokratischen Prozessen darüber nachdenken, wie wir Künstliche Intelligenz in unser Leben integrieren wollen.

Die Entwicklung von neuen Formen Künstlicher Intelligenz hat das Potenzial, unsere Gesellschaft tiefgreifend zu verändern. Wie blickt die Philosophie auf diesen Prozess?

Ich bin zu diesem Thema gekommen, weil ich mich insbesondere dafür interessiere, wie man eingefahrene Denkstrukturen durchbrechen und alternative Denkformen eröffnen kann. Dahinter steht die Frage nach zukunftsfähigen Lebensmodellen für unseren Planeten, die sich an demokratischen Werten orientieren. In meiner Forschung lege ich dabei einen Schwerpunkt auf ökonomische Strukturen und damit verbundene Denkmodelle. Im Zuge dessen bin ich auf die Künstliche Intelligenz gestoßen und frage mich dazu: Was ist da wirklich neu? Eröffnen uns diese Technologien neue Denkmöglichkeiten? Oder werden unter dem Deckmantel technischer Innovation lediglich eingefahrene Denkmuster verfestigt und wie könnten wir das gegebenenfalls ändern?

Welche Antworten haben Sie gefunden?

Es wird relativ schnell klar, dass die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz in der Form, in der sie derzeit vorangetrieben wird, meist knallharten Marktinteressen unterliegt und wenig an demokratischen Werten interessiert ist. Ich halte es daher für unsere Aufgabe, aktiv dafür einzutreten, die neuen Technologien so zu gestalten, dass sie uns allen nützen, nicht nur den Gewinninteressen einiger weniger. Wir haben es mit riesigen Tech-Konzernen zu tun, die in fast alle Lebensbereiche eingedrungen sind und entsprechend Einfluss ausüben. Dies führt zu massiven Ungleichgewichten, die sich weiter verschärfen werden, wenn wir keine geeigneten Kulturtechniken, Institutionen und Kontrollmechanismen schaffen, die das verhindern.

Inwiefern?

Beispielsweise verlieren durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz viele Menschen ihre Erwerbsarbeit. Zunehmend mehr Branchen ersetzen ihre Angestellten durch KI-Agenten, für die bislang hochqualifizierte Fachkräfte nötig waren, wie Softwareentwickler:innen. Für Unternehmen mag das effizient und kostengünstig sein, doch gesellschaftlich zeigt sich eine andere Realität. Aktuell lässt sich die Situation auf die Formel bringen: Viele werden ärmer, wenige werden reicher. Die Konzentration von Macht in den Händen weniger Technologiekonzerne bedroht fundamentale demokratische Prinzipien, von Transparenz über Pluralität bis hin zur freien Meinungsbildung. Ich meine daher, dass es unbedingt nötig ist, die disruptiven Veränderungen öffentlich zu diskutieren, kritisch zu begleiten und über Formen von Partizipation nachzudenken, um demokratische Mitgestaltung und Teilhabe zu ermöglichen: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin?

Passiert nicht alles ohnehin in den USA und in China, und wir können nur zusehen?

Das halte ich für einen großen Irrtum, der auch ein Ohnmachtsgefühl auslöst. Das Lokale bietet uns aber Chancen: Hier in Klagenfurt können wir von der Universität direkt in den Lakeside Park gehen und über Technologien diskutieren. Wir können selbst im Haus bei Kolleg:innen anklopfen und mit ihnen in Austausch kommen. Die Universität sollte hier offen auf andere zugehen und auch Transdisziplinarität leben, um den Diskurs gemeinsam voranzubringen. Ich sehe dabei die Universität auch als Ort der Begegnung, der Demokratie und Willensbildung. Noch können wir, relativ frei von ökonomischen Zwängen, den Raum für den Diskurs anbieten, verschiedene Akteur:innen vernetzen und ins Gespräch bringen und kritische Impulse liefern.

Trotzdem sind globale Konzerne auf der Überholspur.

Das stimmt, aber ich glaube, dass es auch direkt in der KI-Entwicklung Anzeichen gibt, dass das Kleine gegenüber dem Großen nicht chancenlos ist. Nehmen wir das Beispiel Deep Seek, den großen chinesischen ChatBot. Er arbeitet mit 671 Milliarden Parametern und ist damit extrem energieintensiv, ähnliches gilt auch für Chat CPT4.5. Jetzt gibt es konkurrierende Modelle, wie Qwen, die mit einem Datenausmaß von 32 Milliarden Parameter absolut konkurrenzfähige Ergebnisse erzielen. Aus unternehmerischer Sicht ist klar, dass man zwar nicht aus noblen Umweltschutzgründen, sondern aus Kostengründen an Energiesparmaßnahmen interessiert ist, aber Fakt ist, wenn auch kleinere Modelle exzellente Ergebnisse liefern können, wird es in diese Richtung gehen. So gesehen, bieten smarte Lösungen, die weit weniger ressourcenintensiv sind, eine Chance, den Fuß in die Tür zu bringen. Mehr europäische KI-Anbieter wären am globalen Markt auch eine wichtiger ethischer Kompass, da durch den AI-Act eine stärker sozial-verantwortliche Art der KI-Entwicklung anvisiert wurde, und dies ein Alternativmodell zur libertären Silicon-Valley-Ausrichtung darstellt.

Sie unterrichten ja auch zukünftige Ethik-Lehrer:innen. Welchen Einfluss der KI sehen Sie auf den Bildungsbereich?

Ich bin überzeugt davon, dass wir besonders hier völlig neu denken müssen. Bisher sind wir noch zu wenig darauf eingestellt, was die KI bereits verändert hat und noch verändern wird. Ein Beispiel ist die starke Fokussierung auf die Schriftkultur an Universitäten und Schulen. Durch die aufkommenden Sprachassistenten wird sich eine stärkere Verlagerung von der Schriftkultur zur Mündlichkeit vollziehen, einfach weil es näher an unsere natürlichen Kommunikation dran ist. Universitäten sollten diesen Wandel aktiv begleiten und die Fähigkeit zur klaren, verantwortungsvollen Sprache gezielt fördern, denn die Fähigkeit, sich differenziert und verständlich auszudrücken, bleibt eine zentrale Schlüsselkompetenz, in fast allen Berufen, aber auch für die Mitsprache in demokratischen Gesellschaften.

Ich denke auch, dass wir in einer zunehmend digitalisierten Welt Räume für persönliche Begegnung und echten Dialog nicht nur erhalten, sondern gezielt fördern sollten, denn Soft Skills, wie Dialogfähigkeit, Empathie oder Argumentationsfähigkeit, lassen sich nicht rein digital erlernen. Sie entstehen im persönlichen Austausch. Nicht zuletzt ist und bleibt auch die politische Willensbildung ein menschlicher Akt, den wir nicht an Maschinen delegieren sollten, außer wir wollen eine vollkommen verwaltete Welt ohne politische Freiheit.

Was sind hier weitere wichtige Kompetenzen? In der Zukunft?

Mit dem Aufstieg Künstlicher Intelligenz entsteht bei vielen jungen Menschen der Eindruck, es sei nicht mehr nötig, sich Wissen anzueignen, schließlich liefern Maschinen Antworten in Sekundenschnelle. Doch wir werden in Zukunft sehr viel Wissen, vor allem aber inter- und transdisziplinäres Wissen benötigen. Nur wer unterschiedliche Perspektiven und Wissensbereiche verbinden kann, wird in der Lage sein, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und verantwortungsvoll mitzugestalten. Gerade deshalb gewinnt Urteilsfähigkeit als Schlüsselkompetenz an Bedeutung. Es reicht nicht, Informationen abzurufen, man muss sie einordnen, bewerten und reflektieren können.

Auch der Bildungsbereich ist aufgerufen, festgefahrene Denkmuster zu verlassen und daran mitzuarbeiten, wie wir unsere natürliche Intelligenz sinnvoll weiterentwickeln können: Vielleicht, indem wir den Mut finden Neues auszuprobieren, experimentierfreudiger zu werden und entschleunigte Freiräume für Begegnung und Reflexion zu schaffen – Räume, in denen demokratisches Denken gestärkt, Teilhabe konkret erlebbar wird und kreative, nachhaltige Gesellschaftsalternativen für die Zukunft entstehen können.