„Die meisten Menschen haben die Tendenz, Gutes zu tun.“

Auf der Couch durch die Angebote beim Online-Versandhändler zu scrollen ist einfacher, als in den lokalen Handel zu gehen und das Auto ist bequemer als der Bus. Die Sozialpsychologin Janet Kleber spricht im Interview darüber, wie es dennoch gelingen kann, uns selbst zu nachhaltigerem, prosozialem Verhalten zu motivieren.

Was bedeutet der Begriff prosoziales Verhalten?

In der psychologischen Forschung bezieht sich dies meist auf Handlungen, die darauf abzielen, etwas Gutes zu tun. Das Gute kann sowohl einem anderen Menschen, aber auch der Natur und der Welt zugutekommen. Die Idee ist dabei, dass das Ziel des Handelns nicht darauf ausgelegt ist, sich primär einen Vorteil zu verschaffen, sondern das Wohlbefinden anderer oder der Natur im Vordergrund stehen.

Gibt es das wirklich?

In der Forschung wird unterschieden zwischen Altruismus und Prosozialität. Altruismus würde bedeuten, dass man wirklich gar nicht von seinen eigenen Handlungen profitiert. Das ist sehr selten. Bei Prosozialität spielt hinein, dass es auch positive Nebeneffekte meiner guten Handlungen gibt. Allein, dass man sich gut fühlt, wenn man etwas Positives getan hat, ist schon ein solcher Gegenwert.

Ist der Mensch überhaupt ein prosoziales Wesen?

Die Forschung hat hierzu gegensätzliche Positionen und Befunde hervorgebracht. Es scheint fast so, als ob das eher eine philosophische als eine empirische Frage ist. Vielleicht sollte die Frage auch eher sein, wann wir prosoziale Wesen sind und nicht ob. Ich glaube, dass der Mensch grundsätzlich prosozial sein kann. Wir haben das beispielsweise zu Beginn der COVID-Pandemie gesehen, als viele selbst in einer äußerst unsicheren Situation bereit waren zu helfen. Damals haben wir schon zwei Wochen nach dem ersten Lockdown eine Studie durchgeführt und Menschen gefragt, was sie für das Gemeinwohl tun. Zuhause zu bleiben, war zu dem Zeitpunkt ein entscheidender Faktor. An dem Beispiel lässt sich auch zeigen, wie situationsabhängig Prosozialität ist.

Ist jeder gleichermaßen prosozial?

Es gibt nicht den Helfertypen, aber es gibt Persönlichkeitseigenschaften, die Prosozialität eher unterstützen. Empathie gehört dazu; sie führt auch dazu, dass wir nicht nur eher Menschen unterstützen, sondern auch Gutes für Tiere und Pflanzen tun. Kooperative Menschen sind auch eher prosozial, aber es hängt auch sehr stark von situativen Faktoren ab, wann Personen prosozial handeln.

In einem akuten globalen Problem zeigen wir zu wenig Einsatz für das, was uns allen guttun würde: beim Umweltschutz und den Maßnahmen gegen den Klimawandel.

Ja, unter anderem habe ich mich mit solchen Aspekten in meinen Habilitationsprojekten beschäftigt. Nehmen wir als Beispiel eine Studie, die wir mit Studierenden durchgeführt haben. Dabei ging es darum, dass Zigarettenstummel am Campus ordentlich entsorgt werden. Diese stellen nämlich in Summe eine erhebliche Umweltbelastung dar. Wir haben dann zwei Interventionen gesetzt: Einerseits führten aufgemalte Fußabdrücke am Boden die Raucher:innen zum nächsten Müllkübel und andererseits haben wir Informationsblätter  in zentralen Bereichen verteilt. Hier zeigte sich: Die Fußabdrücke führten eher zum erwünschten Verhalten. Die Vermutung liegt also nahe, dass die Menschen eher keinen direkten Fingerzeig möchten, sondern den indirekten Wink mit dem Zaunpfahl favorisieren.

Die Fakten liegen ja klar auf der Hand, dennoch ist die Verhaltensänderung in Bezug auf unsere Umwelt so schwierig. Warum?

Ein sehr großer psychologischer Faktor sind die Gewohnheiten, die wir nur sehr schwer durchbrechen können. Das fängt damit an, dass wir in der Früh das Auto statt dem Fahrrad nehmen, obwohl das für uns und die Umwelt gesünder wäre. Bei vielen Aspekten nachhaltigen Handelns beschwert man sich, dass die Gegebenheiten einen Umstieg erschweren würden. Der Bus fährt nicht alle drei Minuten direkt vor der Haustür ab und die Auswahl an veganen Menüs im Restaurant ist mickrig. Wir treffen als Menschen oft eine starke Kosten-Nutzen-Abwägung. Wenn umweltschonendes Verhalten einfacher gemacht werden würde, würden Menschen vermutlich eher auch diese Verhaltensweisen wählen.

Weiß die Psychologie denn, wie man klimaschonendes Verhalten fördern könnte?

Es gibt viele Studien und auch Metaanalysen, die sich damit beschäftigen. Eine große Metaanalyse kommt beispielsweise zum Ergebnis, dass Aufklärung am schlechtesten funktioniert, wohingegen soziale Informationen den größten Effekt erzielen. Wenn ich z.B. sehe, dass meine Nachbarn Energie sparen, werde ich das selber auch eher tun. In anderen Studien sehen wir, dass Aufklärung in Kombination mit anderen Interventionen schon funktioniert. Derzeit versucht die Wissenschaft, verschiedene Misch-Formen von Interventionen zu testen, um mehr darüber herauszufinden.

Inwiefern ist prosoziales Verhalten von unserer Kultur abhängig? Wenn wir beispielsweise nach Asien blicken, wo Menschen seit langem Masken tragen, wenn sie selbst erkältet sind, könnte man doch annehmen, dass man dort prosozialer ist.

Die Menschen in anderen Kulturen sind nicht zwingend prosozialer, sondern haben andere Werte, Ziele und Motivationen. In kollektivistischen Kulturen, die wir z.B. in Asien sehen, steht das Gemeinwohl viel stärker im Vordergrund. Wir in Österreich leben hingegen in einer individualistischeren Kultur, wo es mehr um den Einzelnen geht. Als die COVID-Pandemie ausbrach, musste man bei uns die Idee ganz massiv verbreiten, dass wir die Krise nur gemeinsam bewältigen können. Diesen Gedanken muss man in kollektivistischen Kulturen nicht so stark promoten. Zu einem gewissen Grad ist das hierzulande gelungen: Wir konnten in einer repräsentativen Studie zeigen, dass ein höherer Zusammenhalt zwischen den Österreicher:innen gerade zu Beginn der Pandemie mit einer höheren Bereitschaft für prosoziales Verhalten einherging. Inwieweit dies auch für die Förderung anderer prosozialer Verhaltensweisen genutzt werden kann, ist allerdings eine noch offene empirische Frage.

Über Belohnungen für prosoziales Verhalten haben wir bereits gesprochen. Aber gibt es auch Bestrafungen für antisoziales Verhalten?

Ja, die Sorge vor sozialer Bestrafung lässt uns auch manchmal prosozial handeln. Wenn man in kleineren Orten lebt, kann z.B. das Engagement in einem Verein ein prosoziales Verhalten sein, was durch potenzielle „soziale Strafen“ motiviert ist. Wer sich nicht engagiert, wird mitunter auch schief angeschaut. Bei klimaschonendem Verhalten haben wir solche Effekte noch nicht: Es gibt wenig soziale Bestrafung, wenn man ein Schnitzel bestellt, aber mitunter Verwunderung, wenn man das vegane Gericht isst.

Nachhaltiges Verhalten geht oft mit Verzicht einher, der eher als freudlos gilt. Kann man ihn dennoch positiv vermitteln?

Eine Verhaltensänderung kann schon mit Freude verknüpft werden. Das kennen wir beispielsweise vom Sport: Auch hier gilt es, innere Hürden und Gewohnheiten zu überwinden. Leichter ginge es, wenn wir soziale Normen anpassen könnten; wenn also beispielsweise das Fleischgericht viel teurer als der vegetarische Teller wäre (auch wenn dies sicher bei einigen zu Unmut führen könnte). In Summe bräuchte es eine Anstrengung der gesamten Gesellschaft inklusive unserer Wirtschaft.

Sie spielen immer wieder auf die Ernährung an. Wie sehr ist sie mit unseren Gewohnheiten verknüpft?

Sehr eng. Bei der Ernährung anzusetzen, könnte aber große Effekte für unsere Umwelt haben. Das habe ich selbst bei meinen Recherchen so eindrucksvoll gesehen, dass ich mich nun immer häufiger für eine fleischlose Ernährung im Alltag entscheide. Pro Kilogramm Rindfleisch werden umgerechnet rund 13 Kilogramm CO2 freigesetzt. Wir brauchen also andere Proteinquellen. Interessante Erkenntnisse haben wir dazu in einem Projekt mit der WU Wien und internationalen Partnern gesehen. Wir haben versucht, Studierende dazu zu motivieren, Insekten zu verkosten. Dazu mussten viele ihren Ekel mit einem Emotionsregulationstraining überwinden. Gleichzeitig wurden sie mit humorvoller Werbung konfrontiert. Wir konnten auf diesem Weg zeigen, dass man – den Ekel einmal überwunden – erneut Bereitschaft zeigt, Insekten zu essen.

Könnten also auch humorvolle Ansätze Erfolge für die Maßnahmen gegen den Klimawandel zeigen?

Dies ist Gegenstand aktueller wissenschaftlicher Forschung. Es gibt z.B. bereits erste Studien zu sozialen Medien, die zeigen können, dass Humor zusammen mit Informationsmaterial Personen zu mehr nachhaltigem Verhalten motiviert als Informationsmaterial allein. Humor könnte damit also sicherlich eine gute Möglichkeit sein, um Menschen generell zu mehr Nachhaltigkeit zu motivieren.

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Zur Person


Janet Kleber promovierte in Angewandter Sozialpsychologie an der Universität Wien. Seit 2014 ist sie an der Abteilung für Sozialpsychologie der Universität Klagenfurt tätig. Ihre Habilitation schloss sie im März 2024 ab. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Ursachen von prosozialem Verhalten, Effekte vom sozialen Ausschluss, den Einfluss numerischer Fähigkeiten auf Entscheidungen und Themen der Konsumentenpsychologie.