„Die Krise trifft auch die Medien“
Guter Wissenschaftsjournalismus ist in der Corona-Pandemie besonders gefragt. Doch die Wirtschaftskrise trifft die Redaktionen hart. Bei zukünftigen Medienförderungen sollte das bedacht werden, sagt Kommunikationsforscher Matthias Karmasin im Interview.
„Die Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus ist es, eine Einschätzung über den Stand der Forschung und über zukünftige Entwicklungen zu geben“, erklärt Matthias Karmasin, Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist während der aktuellen Coronavirus-Pandemie von besonders großer Bedeutung. Denn kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue wissenschaftliche Studien erscheinen oder sich Expert*innen zu Wort melden. Doch statt mit besseren Ressourcen ausgestattet zu werden, erleben viele Wissenschaftsjournalist*innen derzeit eher das Gegenteil: ausgedünnte Redaktionen und Kurzarbeit.
Wie wissenschaftliche Ergebnisse aktuell in den Medien transportiert werden und warum andere Ressorts die Aufgabe der Wissenschaftsredaktionen nicht so einfach übernehmen können, erklärt Kommunikationsforscher Matthias Karmasin im Interview. (Das Interview wurde von der ÖAW geführt und auf deren Website erstveröffentlicht.)
Seit Beginn der Covid-19-Krise wartet die Welt auf gesichertes Wissen zur Ausbreitung der Pandemie und hofft auf einen Impfstoff oder ein Medikament gegen das Virus. Wie werden wissenschaftliche Ergebnisse in den Medien transportiert?
Matthias Karmasin: In der Berichterstattung treten Wissenschaftler*innen seit dem 19. Jahrhundert in der beliebten Rolle des Experten bzw. der Expertin auf. Laut einer aktuellen Studie des österreichischen Gallup-Instituts und des Medienhauses Wien genießen sie als Informationsquellen eine sehr hohe Glaubwürdigkeit, die in der Corona-Krise noch gestiegen ist. Demnach vertrauen 57 Prozent der Bevölkerung den Wissenschaftler*innen und 53 Prozent den Gesundheitsexpert*innen. Auch Gesundheitsorganisationen wie die WHO schätzen 46 Prozent als glaubwürdig ein. Zum Vergleich: In der Kommunikation zu Covid-19 vertrauen 37 Prozent der Bundesregierung und 30 Prozent dem Bundeskanzler. Dieser Befund zeigt, dass die Rolle von Wissenschaftler*innen und Expert*innen als unangefochten vertrauenswürdig gesehen wird.
Welche Rolle kommt dem Wissenschaftsjournalismus in Zeiten des Ausnahmezustands zu?
Karmasin: Die Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus ist es, eine Einschätzung über den Stand der Forschung und über zukünftige Entwicklungen zu geben. Da zeigt sich eine deutliche Differenz zwischen Qualitätsmedien und anderen. Qualitätsgesicherter Journalismus spielt jetzt eine große Rolle. Aber: Die Krise macht einmal mehr die Ausdünnung der Redaktionen und die fehlenden Investments im Wissenschaftsjournalismus deutlich. Denn: Die Krise trifft auch die Medien – und diese befinden sich in einer veritablen wirtschaftlichen Krise.
Was bedeutet das für die Wissenschaftsredaktionen?
Karmasin: Die Wissenschaftsredaktionen waren schon vor Corona nicht gerade von Personalüberschuss gekennzeichnet. Im Gegenteil. Jetzt befindet sich quer durch die Ressorts der Großteil der Redakteur*innen in Kurzarbeit. Das gilt für alle Medienunternehmen. Angesichts dieser Ausgangssituation kann man nicht erwarten, dass man in einer sich rasend schnell entwickelnden Nachrichtenlage jede Nuancierung und jede Differenzierung medial rüberbringt. Die Medienförderung der Zukunft sollte wohl auch den Aspekt des Wissenschaftsjournalismus im Blick haben.
Wie kann man in der Berichterstattung zu Covid-19 das Gebot der Ausgewogenheit in Einklang mit dem Stand der wissenschaftlichen Debatte bringen?
Karmasin: Das ist für den Journalismus in der Tat eine große Herausforderung. Es ist ja nicht so, dass über Covid-19 nur im Wissenschaftsressort berichtet wird. Die Covid-19-Krise ist eine Querschnittsmaterie. Während Wissenschaftsjournalist*innen täglich über Ergebnisse aus Journals und Peer-Reviews berichten, ist das natürlich bei den Kolleg*innen in den Sport- und Kulturressorts weniger der Fall. Ein zentraler Punkt ist hier: Was man im Journalismus als Ausgewogenheit kennt, kann in diesem auf Wissenschaft fokussiertem Bereich problematisch sein, weil wissenschaftlicher Konsens dann weniger verständlich vermittelt werden kann.
Wenn 90 Prozent der Wissenschaftler*innen einer Disziplin zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind und ich – im Sinne der journalistischen Ausgewogenheit – eine Gegenmeinung einhole, entsteht bei Leser*innen ein widersprüchlicher Eindruck. Über das Coronavirus sagt dann einer, es sei furchtbar gefährlich und eine andere behauptet, es sei eine starke Verkühlung. Ähnliches kann man auch in der Berichterstattung über den Klimawandel beobachten. Das ist nicht ein Problem des Wissenschaftsjournalismus, der zumeist angemessen den Stand der wissenschaftlichen Diskussion wiedergibt, sondern ein Problem falsch verstandener Ausgewogenheit in anderen Ressorts. Dadurch bekommen auch akademisch randständige Positionen einen „share of voice“.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es im Dialog mit der Wissenschaft gelingt, die derzeit kursierenden Verschwörungstheorien medial aufzuklären?
Karmasin: Die Forschungen zu Verschwörungstheorien gehen von mehreren Motiven aus. Dahinter steckt nicht nur Komplexitätsreduktion. Neben den Versuchen in einer Pandemie, die ja kein teleologischer Prozess ist, doch einen Sinn, eine Absicht oder einen Schuldigen zu erkennen, sind bei Verschwörungstheorien auch die politischen Motive von Bedeutung. Während man bei Ersterem mit Aufklärung und Kommunikation einiges bewirken kann, geht es bei Letzterem schlicht und einfach um die Durchsetzung einer bestimmten Agenda und nicht darum, wer die besseren Argumente hat. Hier gilt das alte Diktum, wonach die Stimme der Vernunft leise sei – zu leise.
Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Wissenschaft gestiegen. Wird das nach der Krise so bleiben?
Karmasin: Es wird davon abhängen, wie sich die Wissenschaft selbst verhält und diesen Boost, diesen Vertrauensgewinn nutzen kann. Eine der im Moment wesentlichsten Aufgaben der Wissenschaftskommunikation ist, einen Punkt sehr deutlich zu machen: Auch wenn alle Menschen gleich sind, sind deswegen nicht alle Aussagen gleich wahr. Das gilt vor, während und nach Covid-19. Diesen Unterschied zu argumentieren, halte ich für eine zentrale Aufgabe – basierend auf den der Wissenschaft inhärenten Qualitätssicherungssystemen.
Matthias Karmasin ist Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt sowie Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW und der Universität Klagenfurt. Seit 2011 ist er korrespondierendes Mitglied der ÖAW.