„Die Anderen und ich“: Sommerkolleg Bovec läuft derzeit
Die Universität Klagenfurt veranstaltet seit 1994 gemeinsam mit den Partneruniversitäten aus Slowenien (Ljubljana und University of Primorska/Koper), Italien (Trieste und Udine) und Kroatien (Rijeka) das internationale Sommerkolleg Bovec. Inzwischen wird es zum 26. Mal in ununterbrochener Reihenfolge in der gleichnamigen Kleinstadt Bovec im Oberen Sočatal in Slowenien (16. – 30. August) ausgetragen.
Auch dieses Jahr nehmen 40 Studierende aus dem Alpen-Adria-Raum an dieser grenzübergreifenden Bildungsinitiative teil, um in einem mehrsprachigen Lernumfeld in neue Sprachen einzutauchen, Erfahrungen auszutauschen und Freundschaften über die Ländergrenzen aufzubauen. Das gesamte Programm ist auf hörbare und erlebbare Mehrsprachigkeit vor Ort ausgerichtet. Das beginnt mit dem Tandemprinzip bei der Unterbringung, wird intensiviert über die Sprachkurse am Vormittag in Slowenisch, Deutsch, Kroatisch, Italienisch und Friulanisch und setzt sich fort mit den Freizeitangeboten und abendlichen Filmvorführungen. Auf diese Art und Weise erleben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die oft verschwiegene und kaum beachtete sprachliche und kulturelle Vielfalt ihrer Herkunftsländer. „Studierende sollen begreifen, dass die Gleichwertigkeit der Sprachen eine wesentliche Voraussetzung für einen offenen Umgang im Alltag ist“, so eines der Ziele der Veranstaltung.
Die lokalen Exkursionen, die zum Programm gehören (wie die Wanderung entlang des Flusses Soča, der Besuch des Museums des Ersten Weltkrieges in Kobarid) haben das Ziel, den Studierenden den historischen, sozialen und politischen Kontext der Umgebung von Bovec näherzubringen und die ökologischen und räumlichen Veränderungen, die vor allem auf den erstarkten Tourismus zurückzuführen sind, fassbar zu machen.
In den thematischen Workshops, die nachmittags in vier Sprachen angeboten werden, vertiefen sich TielnehmerInnen in ein gesellschafltich aktuelles Thema, das sowohl eine regionale und globale Bedeutung hat und auch die Gegenwartsfragen junger Menschen berührt.
Als Motto des diesjährigen Sommerkollegs wurde das Leitthema »Die Anderen und ich« gewählt. Damit soll auf die gesellschaftliche Pluralität, die sich in unterschiedlichen Lebensformen, Biographien, Erwartungen, Interessen, Ängsten, Emotionen und Loyalitäten einzelner Menschen äußert, hingewiesen werden. Das bedeutet, dass die pluralisierte Gesellschaft und pluralisierte Subjekte zusammengehören. Das Zusammenleben mit den Anderen führt unweigerlich zu veränderten Einstellungen und Haltungen. Die Vielfalt ist zur Normalität des Alltags geworden, so dass sich niemand den vielfältigen Einflüssen entziehen kann und Menschen viele Identitäten und viele Zugehörikgeiten zugleich leben (müssen).
Für die Einführung in das Leitthema des Sommerkollegs wurde die österreichische Schriftstellerin mit dalmatinischen Wurzeln Anna Baar eingeladen. Für ihre Ausführungen wählte sie den ungewöhnlichen Titel »Wer seid wir?« und versuchte anhand zahlreicher Beispiele aus ihrer Biographie auf die Ambivalenzen von eindeutigen Zuschreibungen und Handlungen von außen hinzuweisen. Dabei machte sie klar, dass Menschen bereit sind, verschiedenste Ereignisse und Phänomene zum Anlass zu nehmen, um Grenzen zwischen »Wir« und »Anderen« bzw. »Ich« und »Anderen« zu ziehen, Verhaltensformen für Zugehörigkeiten und Nichtzugehörigkeiten zu bestimmen und so dem Einzelnen die persönliche Freiheit für freie Entscheidungen nehmen. Die Festlegungen von Unterschieden sind willkürlich und dienen dazu, bestehende und alte Ordnungen aufrecht zu halten. Umso wichtiger ist es, so Anna Baar, eigene Wege zu gehen, eigene Haltungen einzunehmen, eigene Überzeugungen zu leben. Wege des Miteinanders brauchen aber Nachsichtigkeit gegenüber anderen Erwartungen und Bedürfnissen, ebenso sei es notwendig, Grenzen aufzuzeigen, wo man einander unrecht tut. Das ständige Anderssein und das Nichtdazugehörigen können aber wehtun, weil sie einen Ausschluß aus Gruppen bedeuten. Für Anna Baar ist Vielfalt nur lebbar, wenn jeder bereit ist, sich mit individuellen Lebensentwürfen anderer zu arrangieren. Ihre Ausführungen haben eine lebhafte Diskussion unter den Studierenden ausgelöst.
Eine gelungene Hinführung auf das einleitende Referat war der zu Beginn des Sommerkollegs durchgeführte Workshop mit allen TeilnehmerInnen geleitet von Stefan Konrad. Dabei ging es darum, auf die Konsequenzen des ersten Eindrucks den man von den Anderen gewinnt, aufmerksam zu machen. Die ganztätige Exkursion widmete sich der Erkundung des Resiatals/Val Resia/Rezija/Resie, gelegen im nordöstlichsten Zipfel Italiens, im italienisch-slowenischen Grenzgebiet. Die Wanderung organisierte das UNIKUM der AAU Klagenfurt/Celovec zusammen mit Kasper Nickles aus Dordolla/Val Aupa (Italien).
Die Universität Klagenfurt ist bemüht, mit dem Sommerkolleg Bovec, das sie seit 26 Jahren organisiert, im Rahmen der mitteleuropäischen universitären Kooperationen ein Zeichen der Friedensarbeit zu setzen. Seit den Anfängen des Sommerkollegs bearbeiten Studierende aus der Alpen-Adria-Region Themen die Solidarität, Gewaltlosigikeit, Pluralität, zivilgesellschaftliche Verantwortung und den Respekt der Menschenrechten in den Mittelpunkt stellen. Für seine nachhaltigen Aktivitäten erhielt das Sommerkolleg im Jahre 2018 den Menschenrechtspreis des Landes Kärnten.
Für die Leitung und Organisation zeichnen Vladimir Wakounig (IFEB) und Andrea Wernig (International Office) verantwortlich.