Die Ärztin und ihre Hausapotheke: Neue Antworten auf Steuerfragen für Freiberufler
Was weiß Sabine Zirngast nach ihrer Forschungsarbeit als Wissenschaftlerin im Bereich Steuern mehr als vorher? Und wäre ihre Arbeit obsolet, würden die Gesetzes- und Verordnungstexte einfacher gestaltet werden? Aus Anlass der Veröffentlichung ihres Steuerhandbuchs für Freiberufler spricht sie im Interview über ihre wissenschaftliche Arbeit.
Worum geht es in Ihrem neuen Buch?
Im Konkreten geht es darum, den Freiberuflern und Freiberuflerinnen bzw. ihren SteuerberaterInnen ein Werk zur Hand zu reichen, in dem steuerliche Probleme mit der entsprechenden rechtlichen Beurteilung geschildert werden. Als Beispiel möchte ich einen Arzt anführen, der gleichzeitig eine Hausapotheke führt. Da gilt es zu beantworten: Ist die Apotheke in steuerlicher Hinsicht ein eigenes Gewerbe, das er neben seiner Tätigkeit als Arzt führt? Oder fließen die Einkünfte aus der Apotheke in seine freiberuflichen Einkünfte ein? In der Folge können bspw. unterschiedliche Gewinnermittlungsvorschriften zur Anwendung kommen.
Wie kommen Sie in so einem Fall zu einer Interpretation?
Wir studieren Gesetzestexte, Verordnungen, die Rechtsprechung diverser Gerichte. Zur Interpretation verwenden wir die Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaften. Uns geht es dabei auch darum: Was wollte der Gesetzesgeber mit dem Gesetzestext und – vor allen Dingen: Hat er das, was er gewollt hat, auch mit den richtigen Worten zu Papier gebracht?
Vor Ihnen liegen dann ein paar Zeilen Text. Wie gehen Sie konkret vor, um schließlich ein Mehr-Wissen zu erzeugen?
Wir schauen uns natürlich den Wortlaut, aber auch den Zweck einer Vorschrift an. Wir fragen uns auch, welche Historie ein Gesetzestext mit sich bringt. Dabei kann man oft schon gute Anhaltspunkte finden, um zu wissen, was mit dem „Endprodukt“ gemeint ist. Wesentlich ist oftmals auch, wie eine bestimmte Vorschrift, die einen bestimmten Wortlaut hat und einen bestimmten Zweck verfolgt, systematisch verankert ist: An welcher Stelle steht die Vorschrift im betroffenen Gesetz? Wo steht dann das Gesetz im Gesamtrechtsgefüge? Man handelt sich gewissermaßen von innen nach außen. In Summe geht es um eine kontextabhängige Interpretation.
Was gilt also für die ärztliche Hausapotheke?
Ich sehe das so: Wenn die Leistungen aus der Hausapotheke überwiegen, dann ist sie in steuerlicher Hinsicht ein Gewerbebetrieb. Und damit nicht genug: Da es sich in der Regel um einen einheitlichen Betrieb mit der kernärztlichen Tätigkeit handeln wird, „infiziert“ die Hausapotheke auch die ärztlichen Einkünfte, die damit gewerblich werden. Diese Auslegung ist strittig, lässt sich meines Erachtens aber wunderbar aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ableiten.
Welche Beispiele stoßen noch auf hohe Resonanz bei Ihren Leserinnen und Lesern?
Von großem Interesse sind auch die Verschwiegenheitspflichten, mit denen viele Freiberuflerinnen und Freiberufler konfrontiert sind. Nehmen wir wieder eine Ärztin als Beispiel: Wenn sie auf einer Honorarnote – beispielsweise für eine Zusatzversicherung – die Diagnose vermerken muss, wird das Krankheitsbild eines Patienten auch für das Finanzamt ersichtlich, das die Ärztin überprüft. An solchen Schnittstellen gilt es sich zu fragen: Wer ist wem gegenüber wann zur Verschwiegenheit verpflichtet und wie wird diese gewahrt?
Würde Ihre Arbeit obsolet werden, wenn die Gesetzestexte und Verordnungen nicht so viel Spielraum bieten würden?
Der Ruf nach Vereinfachung ist ein dauernder. Er kommt nicht nur aus der Wissenschaft, sondern auch aus der Praxis. Natürlich würde für uns dann die eine oder andere Interpretationsfrage wegfallen; ich bin aber ohne Sorge, dass uns die Arbeit dadurch ausgehen würde. Die tägliche Praxis liefert eine Vielzahl verschiedener Sachverhalte, die es mit entsprechenden Regelungen abzudecken gilt. Die Wissenschaft ist dabei nicht nur zur Auslegung bestehender Gesetzestexte gefordert, sondern kann auch einen wertvollen Beitrag zur Gesetzesvorbereitung liefern.
Ist die Komplexität ein Problem der Sprache der Texte?
In früherer Vergangenheit war die Komplexität meiner Einschätzung nach tatsächlich oftmals auf die Sprache, die sehr antiquiert und gehoben war, zurückzuführen. Diesen Eindruck habe ich für die Gegenwart nicht mehr so sehr. Die Sprache ist verständlicher geworden, aber das Problem ist, dass die Gesetzgebung oft sehr einzelfallgetrieben ist. Weiter formulierte, generalklauselartige Gesetzestexte würden dieses Problem zwar entschärfen, die Generalklauseln als solche wären aber ebenfalls wieder ausfüllungsbedürftig, wodurch letztlich die Gerichte zum Gesetzgeber avancieren würden.
Inwiefern arbeiten Sie auch international?
Das “Steuerhandbuch für Freiberufler“ stützt sich auf die Rechtslage in Österreich. Ich habe in meiner bisherigen Laufbahn aber auch stark international gearbeitet: So habe ich meine Dissertation zu grenzüberschreitenden Aspekten des Gemeinnützigkeitsrechts in Europa verfasst. Das Internationale Steuerrecht begleitet mich weiterhin: Ein vor kurzem zu Ende gebrachtes Forschungsprojekt an der AAU hat sich mit einem Thema des Rechts der Doppelbesteuerungsabkommen beschäftigt.
Welchen Forschungsfragen wollen Sie sich in Zukunft widmen?
Ich interessiere mich weiterhin sehr für das Unternehmenssteuerrecht und für das Gemeinnützigkeitsrecht. Dabei arbeite ich auch gerne mit Kolleginnen und Kollegen der Fakultät und darüber hinaus zusammen. Als aufzubauender Schwerpunkt hier an der AAU liegt mir das Umgründungssteuerrecht sehr am Herzen.
Warum?
Im Umgründungs(steuer)recht gibt es oftmals ein echtes Gestaltungspotenzial. Gemeint ist nicht das verpönte Gestalten mit dem Ziel der Steuerhinterziehung. Es geht darum, im zur Verfügung stehenden rechtlichen Rahmen die Gestaltung so zu wählen, dass sie betriebswirtschaftlich – und da gehört die zu erwartende Steuerbelastung dazu – sinnvoll für ein Unternehmen ist. Der Beitrag der Wissenschaft ist nicht nur die Interpretation der bestehenden Gesetze, sondern auch ein Aufzeigen legistischer Gestaltungsmöglichkeiten. So gesehen ist auch der Gesetzgeber Adressat wissenschaftlicher Arbeit.
Sie wirken authentisch begeistert vom Steuerrecht. Verstehen Sie, dass es anderen anders damit geht?
Ja, das merke ich beispielsweise bei meinen Studierenden, die oft sehr erstaunt sind, dass jemand tatsächlich mit so einer Begeisterung hinter dem Thema steht. Ich hoffe sehr, dass dieser Funken in meiner Lehre auf die Studierenden überspringt und für mich gibt es in diesem Zusammenhang nichts Schöneres, als wenn meine Studierenden sich weiter für die Steuerlehre interessieren; sei es im Rahmen weiterführender Lehrveranstaltungen, sei es durch den Berufseinstieg im steuernahen Bereich. Das ist für mich ein kleines persönliches Erfolgserlebnis.
Zur Person
Sabine Zirngast studierte Betriebswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz und an der Universität Wien, wurde an der WU Wien im Wirtschaftsrecht promoviert und erlangte einen Master of Laws am King’s College London. Seit Oktober 2015 ist sie Assistenzprofessorin an der Abteilung für Betriebliches Finanz- und Steuerwesen, seit April 2014 forscht sie an der AAU. Gleichzeitig weist Zirngast umfangreiche Erfahrung in der Praxis auf.
So vielfältig sich der Kreis der freiberuflich Tätigen gestaltet, so verschiedenartig stellen sich die steuerrechtlichen Fragestellungen dar, die in Zusammenhang mit freiberuflicher Tätigkeit auftreten.
Das „Steuerhandbuch für Freiberufler“ unterstützt die freiberuflich Tätigen sowie deren steuerliche Berater nicht nur bei der Identifikation, sondern auch bei der steueroptimalen Beurteilung einfacherer wie komplexer Problemstellungen des Steuer- und angrenzenden Berufsrechts. Dabei geht das Werk wissenschaftlich fundiert und umfassend auf die berufsrelevanten Fragen zu Einkommen-, Umsatz- und Verkehrsteuern ein. Dem sonst oft als bloßen Annex behandelten Abgabenverfahren ist ebenso wie der immer bedeutender werdenden Geschäftsführerhaftung und dem Finanzstrafverfahren ein eigener Abschnitt gewidmet. Aufmerksamkeit wird schließlich auch dem Spannungsfeld zwischen Abgaben- und Berufsrecht geschenkt, das verlangt, das Zusammenspiel von steuerlicher Mitwirkungspflicht und berufsrechtlicher Verschwiegenheitspflicht näher zu ergründen.
Zahlreiche Beispiele aus Beratungspraxis und Rechtsprechung veranschaulichen die Materie. Bei Abgrenzungsfragen insbesondere im Bereich der Einkommensteuer bietet die gründliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung, Verwaltungspraxis und Gesetzeshistorie dem Praktiker wie auch wissenschaftlich Interessierten konkrete Auslegungshilfen.
Zirngast, S., Weinzierl, C. & Leistentritt, M. (2016). Steuerhandbuch für Freiberufler. Wien: Linde.