Den Spuren der Bleistifte nachspüren: Untersuchungen zum literarischen Schreiben von Florjan Lipuš

Der Doktorand Dominik Srienc geht dem Gestus des literarischen Schreibens des Kärntner Schriftstellers Florjan Lipuš auf den Grund. Er untersucht dafür seinen Vorlass.

Die Durchschnittsleserin kann sich in der Regel mit einem literarischen Werk nur anhand des vorliegenden Buches beschäftigen. „Das ist aber nur das fertige Produkt, dem meist eine Reihe von Vorfassungen voran gehen“, erklärt uns Dominik Srienc, der am Robert-Musil-Institut – betreut von Anke Bosse und dem Zweitbetreuer Andrej Leben in Graz – seine Dissertation verfasst. „Wir unterliegen oft der irreführenden Annahme, dass Literatur ein Resultat von Genie und Zufall ist. Meist ist sie aber das Ergebnis von harter geistiger und kreativer Arbeit.“ Die Spuren dieser Arbeit lassen sich anhand der Materialien aus den Schreibstuben der Schriftsteller*innen nachvollziehen. Daraus lassen sich dann – in der Regel für Literaturwissenschaftler*innen – neue Erkenntnisse zur Interpretation von Werken gewinnen.

Dominik Srienc nähert sich auf diese Weise dem Werk von Florjan Lipuš. Lipuš, geboren 1937 in Eisenkappel, publiziert seine Werke in slowenischer Sprache und gehört zu jenen Schriftsteller*innen, die sich zu Lebzeiten intensiv mit ihrem Vorlass beschäftigen, es also nicht dem Zufall überlassen, wie man später die Genese ihrer Werke einschätzt. „Wir sehen dabei, dass für ihn alle Materialien, Briefe, Schreibbehelfe auch einen gewissen Wert haben. Er hat sie aufgehoben und führt uns so auf Interpretationspfade seiner Arbeitsweise“, erklärt uns Dominik Srienc. Dies sei besonders bei einem vielgestaltigen Autor wie ihn, der auch als Publizist (unter anderem für Mladje, die Literaturzeitschrift der Kärntner Slowen*innen) wirkte, von besonderer Bedeutung, um die Breite seines Schaffens erfassen zu können.

Uns erklärt Dominik Srienc, dass Florjan Lipuš viele Leser*innen mit seinen Texten oft ratlos zurücklässt. Dies läge unter anderem an der Sprache: „Einige bezeichnen ihn als Archäologen der slowenischen Sprache. Er verwendet oft archaische Ausdrücke, die sehr alt sind. Dies sehen wir auch, wenn wir auf seinen Schreibtisch blicken: Dort finden wir Wörterbücher und Wortlisten, mit denen er versucht, Bedeutungen assoziativ zu umkreisen.“ Auch graphisch ist sein Vorlass für Dominik Srienc von großem Interesse: Florjan Lipuš arbeitet mit Bleistift, schreibt Seiten immer wieder ins Reine, und überzieht sie dann mit einem weichen Bleistiftschleier.

Dass Autor*innen um ihren Vorlass und dessen Verkauf bemüht sind, habe für den Literaturwissenschaftler Dominik Srienc unterschiedliche Beweggründe: Einerseits präge man damit auch, wie man produktionsästhetisch interpretiert wird. Andererseits käme eine soziale Dimension hinzu. Autor*innen erhalten in der Regel keine (ausreichenden) Pensionszahlungen, daher sei der Verkauf des Vorlasses auch eine Altersvorsorge für Schriftsteller*innen. Zu den oft hohen Beträgen, die dafür von den Literaturarchiven aufgewandt werden müssen, gibt Dominik Srienc zu bedenken: „Diese sind von den Autor*innen zu versteuern; und fließen dann meist nur stückweise.“

Dominik Srienc bemüht sich darum, die vielfältigen Materialien, die von Florjan Lipuš in verschiedenen Literaturarchiven vorliegen, zu katalogisieren. Das Ergebnis wird dabei auch eine Liste von Standorten sein, wo entsprechende Unterlagen archiviert sind.

Wir fragen bei Srienc, der selbst auch als Schriftsteller arbeitet, nach, wie man denn nun als heute junger Autor in digitalen Zeiten die Entstehung von Werken dokumentiert und erfahren: „Die digitale Datenforensik hilft uns dabei, in Dokumenten Änderungen nachzuvollziehen.“ Jungen Autor*innen rät er, möglichst viel zu dokumentieren und aufzubewahren.

Dominik Srienc hat in Wien Germanistik und Slawistik studiert. Als er nach seiner Matura aufbrach, war für ihn klar, dass er mehrere hundert Kilometer Distanz von Klagenfurt braucht, um sich entfalten zu können. Nach seinem Studium ging er noch weiter weg: In Armenien und Kirgisien unterrichtete er im Rahmen eines Auslandslektorats der OeAD an Universitäten. Er kehrte wieder nach Wien zurück und arbeitete unter anderem im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Aufgrund einer Option am Musil-Institut zog es ihn dann wieder nach Klagenfurt zurück. Heute schätzt er – vor allem aus lebensweltlichen Gründen – die Beschaulichkeit: „Mit einer Familie erwartet einen hier eine wesentlich höhere Lebensqualität als in Großstädten.“ Hat er immer Vertrauen darin gehabt, mit Sprach- und Literaturwissenschaft auch seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können: „Nein, das hatte ich nie. Ich habe aber immer an dem festgehalten, was mich interessiert hat und immer neben dem Studium gearbeitet und Praxiserfahrung gesammelt. In Summe ist das Unterfangen für mich zum Glück positiv ausgegangen.“ Auch heute gilt für ihn: „Es bleibt mir nichts übrig, als mich stets für alle Optionen bereit zu halten. Diese Flexibilität birgt Bürden, sie steht aber auch für Beweglichkeit.“

Auf ein paar Worte mit … Dominik Srienc



Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?
Imker, Musiker oder Koch

Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Ich versuche meiner Großmutter regelmäßig zu erklären worüber ich schreibe, sie glaubt mir aber erst seit kurzem, dass ich auch wirklich studiert habe und das auch nur, weil es in der Zeitung stand.

Was machen Sie im Büro morgens als Erstes?
Die Kaffeemaschine entziffern

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Innehalten schaffe ich derzeit selten.

Was bringt Sie in Rage?
Die sprachlichen Mängel bei so manchen Proseminararbeiten zukünftiger Deutschlehrer*innen. Und global die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die Auswirkungen der Pandemie sind ja schon zu spüren, auch was die Arbeitsverhältnisse an österreichischen Universitäten betrifft.

Und was beruhigt Sie?
Riesenseifenblasen mit meiner Tochter

Wer ist für Sie der*die größte Wissenschaftler*in der Geschichte und warum?
Ich halte nichts von derlei Superlativen. In historischer Sicht habe ich Rosa Luxemburg immer für eine sehr spannende Persönlichkeit gehalten. Einer der einflussreichsten Germanisten in meiner Studienzeit in Wien war Wendelin Schmidt-Dengler.

Wovor fürchten Sie sich?
Vor der Höhe

Worauf freuen Sie sich?
Urlaub am Bauernhof mit Familie nach Abschluss meiner Dissertation