Das unbequeme Klima-Problem
Die Klimaforschung warnt, und die Politik tut wenig. ad astra hat mit der Sozialökologin Marina Fischer-Kowalski über das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in Klimafragen gesprochen.
Frau Fischer-Kowalski, Sie haben an über 50 Forschungsprojekten mitgewirkt und viele wissenschaftliche Artikel, unter anderem zu Klimafragen, veröffentlicht. Haben Sie den Eindruck, mit Ihrer Forschungsarbeit auf die Politik Einfluss genommen zu haben?
Ja, gelegentlich. Wie einflussreich man sein kann, hängt sehr stark davon ab, in welcher Rolle die Wissenschaft der Politik begegnet. Im einfachsten Fall ruft die Politik die Wissenschaft und bittet sie um einen Expertenrat. Der wird zwar manchmal nicht umgesetzt, aber in aller Regel wird dieser Rat zumindest zur Kenntnis genommen. In einem anderen Fall plant die Politik Maßnahmen, für die sie Rechtfertigungsbedarf sieht, und nimmt dafür die Wissenschaft in Anspruch. Auch in diesem Fall hat die Wissenschaft, so sie die Legitimation dieser Maßnahmen auch liefern kann – eine gewisse Wirksamkeit. Wenn allerdings nicht, wird sie in der Regel ignoriert.
Wie verhält sich das bei der Klimaforschung?
Die Wissenschaft ist eigentlich die einzige gesellschaftliche Akteurin, die die Klimafrage schon seit ungefähr 70 Jahren ernstgenommen hat. Sie schleppt ein unbequemes Problem an und versucht, es allen anderen Akteuren um die Ohren zu schlagen. Das ist eine sehr ungewöhnliche Rolle.
Wie erklären Sie sich das?
Nur die Wissenschaft konnte die gesellschaftlichen Ursachen und die Gefährlichkeit der Klimaschädigung rechtzeitig erkennen. In so einem komplexen System wie der Erdatmosphäre folgen Auswirkungen erst mit einer langen zeitlichen Verzögerung und sind lokal sehr unterschiedlich. Für manche Territorien ist es angenehm, wenn es wärmer wird: So schätzen die Menschen in Sibirien oder Kanada ein wärmeres Klima, andernorts kann die Beschleunigung der Klimaveränderung durch das der auftauenden Tundra entweichende Methan ganze Landstriche zum Verschwinden bringen.
Die Klimaforschung ist also in einer schwierigen Lage?
Ja. Sie zeigt ein Problem auf, das keiner haben will und das Handlungen verlangt, die für zentrale gesellschaftliche Subsysteme unangenehm sind: Das Thema ist weder wirtschaftsförderlich noch unbedingt wählergewinnend. Auch seine Medienwirksamkeit ist begrenzt, weil es nicht dauernd aktuelle News erzeugt. Dabei ist das Klimathema eine Überlebensfrage der Menschheit. Der US-amerikanische Soziologe Alvin W. Gouldner hat in seinem 1980 erschienenen Buch „Die Intelligenz als neue Klasse“ versucht, herauszuarbeiten, dass die Forschung die Spielregeln des rationalen Diskurses in der Gesellschaft vertreten muss. Sie verfügt weder über Geldkapital noch über politische Machtmittel, um sich durchzusetzen, sondern nur über die Möglichkeit, andere mit Argumenten zu überzeugen. Rationaler Diskurs geht von einer prinzipiellen Gleichheit zwischen den kommunizierenden Akteuren aus. Dabei ist der Zuhörer oder die Empfängerin der Nachricht maßgeblich: Er oder sie beurteilt, ob es einleuchtet und plausibel ist, was der andere sagt. Ich habe einmal in einem Aufsatz versucht zu zeigen, dass die Klimaforscher genau diese Rolle einnehmen. Sie haben all die Probleme, die Gouldner beschreibt, aber auch die Belohnungen. Es ist natürlich befriedigend, andere zu überzeugen und zu genießen, wenn sich die Einsicht auch gegen etablierte Interessen durchsetzt. Aber es ist eine schwierige Rolle.
Können Sie in den genannten letzten 70 Jahren eine Entwicklung erkennen?
Auch wenn die Welt nach wie vor dabei ist, das Klimasystem zu kippen, ist bemerkenswert, was erreicht wurde. Obwohl dieses Problem allen etablierten Interessen gegen den Strich geht, konferieren darüber mittlerweile Staatsoberhäupter in Gipfeltreffen; in fast allen Ländern gibt es Klimaschutzprogramme, und bis in einzelne Gemeinden und Betrieben nehmen sich viele engagierte Menschen des Problems an. Ich finde es also als Beobachterin erstaunlich, was der Wissenschaft da gelungen ist. Als Mensch und Staatsbürgerin empfinde ich es allerdings nach wie vor als Katastrophe, dass die entschlossenen Schritte, die gesetzt werden müssten, nur sehr zögerlich gesetzt werden.
Wo hakt es bei der Überzeugungsarbeit gegenüber den Entscheidungsträgern? Sind sich PolitikerInnen und ManagerInnen nicht der fatalen Entwicklungen bewusst?
Es gibt Umfragen, die zeigen, dass sich die Managerinnen und Manager in den rele vanten Branchen durchaus der Entwicklungen bewusst sind. Sie müssen bei dieser Frage aber bedenken, wie enorm groß die ökonomischen Einbußen von beispielsweise Ölkonzernen sind, wenn sie hier nachgeben – und unter den 25 größten Konzernen der Welt sind über die Hälfte Öl- und Gaskonzerne, und die nächstgrößte Gruppe ist jene der Autokonzerne. Daran kann man ermessen, welche wirtschaftliche Macht einer klimabewussten Politik entgegensteht. Viele dieser Konzerne wie BP oder Exxon haben trotzdem mittlerweile begonnen, ihre Strategien in Hinblick auf eine Zukunft jenseits des Öls auszurichten. Andernorts fällt aber auf, dass das Umdenken noch nicht wirklich weitreichend ist: So lockte die Idee des Fracking in Alaska und anderswo mit den Möglichkeiten eines neuen Geschäfts. Mittlerweile hat man allerdings festgestellt, dass diese Technologie doch nicht so gewinnträchtig ist.
Die Wirtschaftsmächte und Staatsoberhäupter haben also gemischte Interessenslagen. Welchen Effekt haben Übereinkommen, die zu Klimazielen getroffen werden?
Die reichen Industrieländer konnten in den letzten 25 Jahren ihren Fossilenergiekonsum drosseln. Fast alle halten Übereinkommen wie das in Kyoto getroffene einigermaßen ein, trotzdem steigen aufgrund der Emerging Economies wie Indien, China oder Südostasien der Fossilenergiekonsum und die CO2-Emissionen weltweit. Unter den Industrieländern bildet allerdings Österreich ein Negativbeispiel, das sich nicht an die vereinbarten Klimaziele gehalten hat. Warum? Das Übelste bei uns ist die Zunahme des Verkehrs. Wir haben nicht wie die Schweiz eine Bremse für den Lastwagenverkehr eingelegt. Wir beladen unsere LKWs noch schwerer, lassen die Bahntransporte verhungern und bauen unsere Autobahnen aus. Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr haben in den letzten zwanzig Jahren um die Hälfte zugenommen. Und bei der letzten Steuerreform wurde Klimaschutz ignoriert.
Als Argument wird meist das nötige Wirtschaftswachstum ins Treffen geführt. Wie sehen Sie das?
Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum sind in der Tat eng miteinander verknüpft, daher war die Weltwirtschaftskrise von 2008 für das Klima ein Segen. Viel mehr als 1,5 bis 2 Prozent Wirtschaftswachstum lassen sich durch Effizienzgewinne in der Fossilenergienutzung nicht kompensieren – jenseits dessen steigen die CO2-Emissionen wieder an. Den Ausstieg aus Investitionen in Fossilenergie empfehlen allerdings schon große Banken ihren Kunden. Letztlich geht es aber nicht nur um eine Energiewende, sondern um eine Systemwende. Nicht Wirtschaftswachstum kann das Ziel sein, sondern menschliche Lebensqualität. Es reicht also nicht, Windräder statt Öl zu verwenden: Wir müssen unsere gesamte Wirtschafts- und Lebensweise schrittweise verändern – das kann unserer Gesundheit und unseren sozialen Beziehungen durchaus guttun. Auch in diesem Feld arbeitet die Wissenschaft daran, neue Pfade zu finden: Wie können wir mit geringerem Wirtschaftswachstum unsere Lebensqualität aufrechterhalten und eine sozial gerechtere Gesellschaft entwickeln?
Lässt sich diese Einschätzung auf die Entwicklungsländer übertragen?
Es ist völlig klar, dass diese Länder Wirtschaftswachstum brauchen. Im Moment machen auch tatsächlich viele einen Aufholprozess durch. In China beruht er beispielsweise darauf, dass mit Rohstoffen aus aller Welt und niedrigen Löhnen viel und billig – und mit erheblichen Umweltschäden – produziert werden kann, was in den reichen Industrieländern gekauft wird. Steigen aber die chinesischen Löhne, wird sich das ändern. Das wird in den westlichen Industrieländern die Versuchung, Billigprodukte en masse zu konsumieren, eindämmen und damit den Ressourcenverschleiß verringern – aber auch das chinesische Wirtschaftswachstum.
Wenn die Entwicklungsländer aufholen, werden sie aber auch viel mehr Energie brauchen. Nehmen wir Indien als Beispiel: Dieses Land ist im Moment zu 30 Prozent elektrifiziert in dem Sinne, dass den Haushalten rund um die Uhr Strom zur Verfügung steht. Indien nun zu hundert Prozent zu elektrifizieren wäre mit einem traditionellen, zentralisierten System, das sich überwiegend aus Kohle speist, klimapolitisch ein Wahnsinn. Wenn man dasselbe Projekt aber mit einem dezentralen, auf Solarenergie und Wind basierenden System in Angriff nimmt, schafft man auch an der Peripherie qualifizierte Arbeitsplätze. Mit solchen Strategien ist es schon denkbar, einen enormen Aufschwung der Lebensqualität zu ermöglichen, ohne die Fehler des Entwicklungspfads der Industrieländer zu wiederholen.
Denken die Emerging Economies in diese Richtung?
Das sieht sehr gemischt aus. China mit seiner einflussreichen Akademie der Wissenschaften investiert massiv in erneuerbare Energie. Für China wären die Folgen einer Klimaerwärmung auch unmittelbar spürbar: Ein weiteres Ansteigen des Meeresspiegels hätte den Verlust von etwa einem Viertel seines fruchtbaren Landes zur Folge. Passiert dies, kann China sein Volk nicht mehr ernähren. Etwas, das jetzt schon schwierig ist – China ist weltweit der größte Importeur von Biomasseprodukten. Aber das Land hat eine kompetente und handlungsfähige Regierung – das gilt für sehr viele andere Emerging Economies nicht.
Wie blicken Sie selbst in die Zukunft?
Ich denke, dass viele katastrophale Folgen des Klimawandels tatsächlich eintreten werden. Was sie uns lehren, wird man erst sehen. Es kann passieren, dass sich damit weiter Kriege und Flüchtlingsströme verschärfen und die Politik durch akute Probleme so belasten, dass sie Strukturelles nicht in Angriff nehmen kann. Wir sind keineswegs auf einem guten Pfad.
In welchen Bereichen kann die Wissenschaft das Ruder noch herumreißen?
Wissenschaft ist hervorragend darin, einzelne Probleme zu lösen. Im interdisziplinären Entwickeln großer neuer Lösungen ist sie ein Kind ihrer Zeit und auf das kreative Zusammenwirken mit der Zivilgesellschaft, der Politik und den Wirtschaftsakteuren angewiesen.
für ad astra: Romy Müller
Zur Person
Marina Fischer-Kowalski ist Soziologin und emeritierte Universitätsprofessorin für Soziale Ökologie. Sie gilt als Pionierin der interdisziplinären Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung in Österreich und international. Fischer-Kowalski ist unter anderem Präsidentin der International Society for Ecological Economics und langjähriges Mitglied des Internationalen Ressourcenpanels des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. 1986 gründete Fischer-Kowalski das Institut für Soziale Ökologie, das an
der heutigen Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung am Wiener Standort der AAU tätig ist.
Marina Fischer-Kowalski ist Trägerin des Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.