„Das Mittelalter ist doppelt spannend.“


Die jungen Historiker:innen treffen sich zum Auftaktmittagessen der Nachwuchstagung Österreichische Mediävistik diesen Sommer bei strahlendem Sonnenschein im Gastgarten in Campusnähe. Die Universität Klagenfurt ist Austragungsort der ersten Tagung dieser Art, die den Nachwuchswissenschaftler:innen in der Mediävistik einen Rahmen für Austausch und Feedback zu den Qualifikationsarbeiten bieten soll. In geselliger Atmosphäre fragen wir Lienhard Thaler, Ko-Organisator der Veranstaltung und die Doktorandin Barbara Denicoló, warum sie sich für dieses Fach entschieden haben.

 

Frau Denicoló, wie kam es, dass Sie Universitätsassistentin für Mittelalterliche Geschichte, in Ihrem Fall an der Universität Salzburg, geworden sind?

Das war kein Berufswunsch, sondern mir ist das passiert. Man schaut, was sich nach dem Studium ergibt, und ich hatte diesbezüglich Glück. Ich habe zuerst Geschichte studiert, dann ein Lehramtsstudium nachgeholt.

Wann ist Ihr Interesse am Mittelalter entstanden?

Ich sage immer: „Das ist angeboren.“ Ich kann es nicht erklären, es ist einfach so. Diese Mischung daraus, dass das Mittelalter aus unserer Perspektive zwar in der Ferne liegt, aber uns dennoch nah ist, fasziniert mich. Es gibt mehr Quellen als bei der Urgeschichte, aber die Fremdheit übt trotzdem eine Anziehungskraft aus.

Doktorandin Barbara Denicoló

Doktorandin Barbara Denicoló | Foto: aau/Müller

 

Ist es herausfordernd, für Ihre Fragen genügend Quellen zu finden?

Für das Spätmittelalter gibt es viele Quellen, für das Frühmittelalter entsprechend weniger. Manche gesellschaftlichen Bereiche oder gesellschaftlichen Gruppen sind immer noch in der Wissenschaft unterrepräsentiert. So etwas wird es immer geben. Die Herausforderung ist es, diese Lücken aufzumachen und sinnvoll damit umzugehen.

Wird Mittelalterforschung irgendwann „fertig“ sein oder gibt es noch hinreichend Lücken?

Die Fragen zu finden, ist nicht das Problem. Das Geld für die Forschung aufzutreiben, ist schwieriger. Ich könnte mich mein Leben lang mit diesen Fragen zum Mittelalter beschäftigen. Je mehr man in ein Thema einsteigt, desto mehr Fragen tun sich in der Regel auf. Während ich wissenschaftlich arbeite, muss ich mir immer wieder sagen: „Das kann ich jetzt nicht beantworten. Das muss ich einstweilen zur Seite schieben.“ Was mich also noch zusätzlich interessiert, summiert sich laufend.

 

Herr Thaler, wie haben Sie Ihren Eltern erklärt, dass Sie die Mediävistik, in Ihrem Fall aktuell am Tiroler Landesarchiv, zu Ihrem Beruf machen wollen?

In meinem Fall ist das eher unspektakulär, weil meine Eltern eigentlich sehr aufgeschlossen darauf reagiert haben. Sie sind beide im Lehrerberuf und haben selbst ein großes Interesse für Geschichte. Daher war das kein Problem. Trotzdem habe ich zuerst Geschichte und Deutsch auf Lehramt studiert, damit ich ‚etwas Gescheites‘ gelernt habe. (die Runde lacht)

War das Interesse am Mittelalter immer schon vorhanden?

Ja, eigentlich war das immer schon da. Ich bin in Brixen in Südtirol aufgewachsen. Dort ist die mittelalterliche Geschichte im Stadtbild noch relativ präsent. Daher habe ich mich von Kindesbeinen an für Geschichte im Allgemeinen und mittelalterliche Geschichte im Besonderen interessiert.

 

Lienhard Thaler bei der Nachwuchstagung der Österreichischen Mediävistik

Lienhard Thaler bei der Nachwuchstagung der Österreichischen Mediävistik | Foto: aau/Müller

 Ist das Mittelalter für Sie interessant, weil es präsent ist, oder weil es uns gesellschaftlich schon relativ fremd geworden ist?

Beides. Einerseits ist unsere heutige Gesellschaft aus dem Mittelalter hervorgegangen. Vieles von dem, wie wir heute sind und warum unsere Umgebung so ist, wie sie ist, hat sich im Laufe der Geschichte entwickelt. Das Mittelalter hat eine gewisse Gegenwartsrelevanz, auch abseits von Burgen und Kirchen, auch gesellschaftlich. Andererseits sollte man nicht zu leichtfertig mit dem Gegenwartsbezug umgehen und davon ausgehen, dass das Mittelalter mit heutigen Maßstäben gemessen werden kann. Das Mittelalter ist auch etwas Fremdes, aber auch das Fremde ist reizvoll: Wie hat man damals gedacht? Wie war die Lebenswelt mittelalterlicher Menschen? Das Mittelalter ist doppelt spannend.

Was erwarten Sie sich von der Nachwuchstagung, die Sie gemeinsam mit Christian Jaser und Stephan Nicolussi-Köhler organisiert haben?

Wir erwarten uns, dass sich die Kolleg:innen kennenlernen, mitbekommen, woran andere arbeiten und vielleicht auch Anknüpfungspunkte zu deren Arbeiten finden. Ziel ist es auch, dass das Fach zusammenrückt und mehr Sichtbarkeit erhält. Wir hoffen, dass die Projekte der Teilnehmer:innen gut vorangebracht werden, indem sie viele Rückmeldungen und Tipps von Kolleg:innen erhalten, die vor ähnlichen Problemen stehen.

Zur Tagung



Wer sich entschließt, zu promovieren und damit einen Schritt in Richtung einer wissenschaftlichen Karriere zu tun, kann in der Regel Rat und Hilfe gut gebrauchen und profitiert besonders vom Kontakt zu anderen Forscher:innen, die sich auf ähnliche Epochen und Themen spezialisiert haben.

Für Promovierende in mittelalterlicher Geschichte in Österreich existierte bislang kein entsprechendes Forum. Das soll sich mit der Nachwuchstagung der österreichischen Mediävistik ändern, deren erste Ausgabe am 25. und 26. Mai 2023 in Klagenfurt stattfindet.

Die Veranstaltung richtet sich an Promovierende in den Disziplinen Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Hilfswissenschaften, Numismatik, Archäologie, Byzantinistik oder Judaistik, die an einer österreichischen Universität oder zu einem Thema mit engem Bezug zum österreichischen Raum forschen und deren Dissertationsprojekte zeitlich auf das Mittelalter fokussiert sind. Von allen Teilnehmenden wird die Bereitschaft erwartet, neben der Kurzvorstellung des eigenen Projektes einen kurzen Kommentar zu jeweils einem anderen Projekt vorzubereiten und eine Moderation zu übernehmen.