Das Konflikthafte als Teil einer europäischen Demokratie
Im EU-H2020-Projekt TRACES arbeiten Kunst und Wissenschaft gemeinsam an neuen Diskussionsräumen zu umstrittenen und schmerzhaften geschichtlichen Ereignissen, die bis heute fortwirken. Das Projekt, das nun in seinem letzten Drittel aktiv ist, wurde mit dem „European Year of Cultural Heritage 2018 (EYCH) label“ ausgezeichnet. Der Projektkoordinator Klaus Schönberger, Professor am Institut für Kulturanalyse, erklärt im Interview, was man bisher an Erkenntnissen gewonnen hat.
Was wollen Sie denn am Ende Ihres Projekts wissen?
Wir beschäftigen uns mit dem Umstrittenen, dem Schmerzhaften, dem Problematischen in unserer Kulturgeschichte, das bis heute Einfluss auf unser Zusammenleben hat. Bezeichnet wird dies als „contentious heritage“. Dies sind Ereignisse, die man sich nicht unbedingt ans Revers heften kann und worauf basierend sich gut sagen lässt: ‚Das bin ich. Oder: Das sind wir. ‘ Künstlerinnen und Künstler sind häufig eingeladen, Interventionen zu solchen Ereignissen zu machen. Das halten wir für unbefriedigend, weil die Effekte oft wenig nachhaltig sind. Wir sind aber der Überzeugung, dass mittels Kunst die Möglichkeit besteht, für verfeindete Fronten oder gegnerische Seiten einen Raum mit einer Sprache zu eröffnen, mit der über das Ereignis geredet werden kann, ohne dass man gleich in den Schützengräben liegt. Das ist unser hehrer Anspruch.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Eines unserer Teilprojekte geht in Nordirland über die Bühne. Ausgangspunkt des Teilprojekts ist ist das Maze Prison, das auch als Long Kesh bekannt ist. Zwischen 1971 und 2000 war dies ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem zu Zeiten des Bürgerkriegs sowohl republikanische als auch protestantische Aktivisten eingesperrt waren, die als Terroristen beschuldigt wurden. Die heute leerstehende Gefängnisanlage steht als Ort mit all den dort ausgetragenen Konflikten für das was wir „contentious heritage“ bezeichnen. Die jeweiligen Seiten projizieren ihre Erfahrungen und Erinnerungen auf diesen Ort. Nun sind dort zwei Künstlerinnen (Martin Krenn und Aisling O’Beirn) aktiv, die versuchen eine Kommunikation unter Beteiligten von beiden Seiten des Konflikts zu schaffen. Marion Hamm und ich haben dort einen Vortrag gehalten, bei dem auch für uns spürbar wurde: Hier sitzen Menschen, die sind einander spinnefeind. Aber sie sitzen in einem Saal. Mit den künstlerischen Interventionen wollen sie gar nicht den Konflikt lösen, sondern einen Raum öffnen, in dem die unterschiedlichen Positionen anerkannt werden, ohne dass man sich an die Gurgel geht. TRACES möchte dazu beitragen, dass der Konflikt als ein Interessensgegensatz ausgetragen werden kann, ohne gewaltförmige Ausbrüche. Wir nennen das eine Repolitisierung des Konflikts.
Warum glauben Sie, dass dies die Kunst besser kann?
Zuerst war ich mir gar nicht so sicher, dass sie dies kann. Ich wollte aber immer wissen: Was weiß die Kunst, was ich nicht weiß? Der Unterschied zwischen Kunst und ethnografischer Forschung liegt für mich darin, dass die einen verunklaren und die anderen mittels wissenschaftlichem Vorgehen aufklären. Das Verunklaren sehen wir als Chance, weil es andere Assoziationsräume ermöglicht. Wir wollen also nach Wegen suchen, wie das Verunklaren der Kunst zu einem Erkenntnisgewinn werden kann.
Sie wollen, dass über Umstrittenes gestritten wird, aber dies gewaltfrei geschieht. Muss denn wirklich so viel gestritten werden?
Ja, das ist ein A-Priori unseres Vorgehens. Wir sind davon überzeugt, dass Demokratie ohne Konflikt nicht möglich ist. Der Konflikt ist nicht das Problem, weder in Nordirland noch in Europa allgemein. Europa können wir uns nicht anders vorstellen als einen konflikthaften Ort, an dem unterschiedliche Interessen ausgetragen werden. Wir wollen nicht eine europäische Identität schaffen, sondern an einer gemeinsamen europäischen Imagination mitwirken. Das ist schwammiger, aber auch viel realistischer, weil viele daran mitimaginieren können. Die EU als Auftraggeber ermuntert uns dazu, zu experimentieren und radikal im Ausprobieren zu sein. Was da an inhaltlicher Freizügigkeit besteht, steht manchmal auch im Widerspruch zur strikten Administration, die für uns alle – insbesondere an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst –zu einer großen Herausforderung wird.
Wie viele solche lokalen Projekte gibt es?
Insgesamt haben wir elf Partner in neun Ländern, diese sind aber ganz unterschiedlich aufgestellt. Fünf Kunstprojekte agieren als so genannte „creative co-productions“. Neben dem Nordirland-Beispiel mit dem Gefängnis wird im Juni in Edinburgh eine Ausstellung zum Umgang mit „Human Remains“, also menschlichen „Überresten“, die aus der Kolonialzeit stammen, eröffnet. In Krakau beschäftigt sich ein Team aus Künstlern, Wissenschaftlerinnen und mit Holocaust-„Volkskunst“, in Ljubljana gab es eine Ausstellung zu Totenmasken und in Rumänien geht es um die Erinnerung an die jüdische Kultur in Siebenbürgen und den Exodus nach 1945. Am Ende wollen wir dann hier in Klagenfurt, und darin liegt auch die besondere Aufgabe des Koordinators eines solchen Riesenprojekts, ein Kompendium der Erfahrungen zusammenstellen. Dabei geht es auch um die Reflexion der verschiedenen Betriebslogiken von Wissenschaft und Kunst sowie um die europäische Dimension des Lokalen. Wir möchten so Erkenntnisse sichern und nachhaltig wirksam machen.
Was nehmen Sie sich dafür vor?
Wir werden sowohl in einer analytischen als auch in einer beispielhaften Weise die Ergebnisse reflektieren und unsere Erfahrungen zusammenfassen. Eine Herausforderung ist gleichzeitig wissenschaftlichen Anforderungen zu genügen und gleichzeitig den anwendungsbezogenen Erwartungen der EU-Kommission zu entsprechen.
Zum Projekt
„TRACES. Transmitting Contentious Cultural Heritages with the Arts – From Intervention to Co-Production“ wird vom EU Programm Horizon 2020 gefördert. Alle Informationen zum Projekt finden Sie hier: http://www.traces.polimi.it/.