Selfies aus dem Görtschitztal | Fotos: Fotos privat

Das Görtschitztal: kein stilles Tal

Das Kärntner Görtschitztal ist im Jahr 2014 durch die HCB-Causa schlagartig bekannt geworden. Seitdem versucht die Bevölkerung einen Umgang mit der „unsichtbaren Gefahr“ und den sich daraus ergebenden Konflikten. Ute Holfelder und weitere MitarbeiterInnen des Instituts für Kulturanalyse haben das Tal im Rahmen eines EU-Projekts ethnografisch untersucht und junge Menschen um ihre „Selfies“ in Wort und Bild gebeten. Diese werden ab 13. April 2018 bei einer Ausstellung an der Universität zu sehen sein.

Im November 2014 wurde öffentlich, dass das Tierfutter und die Milch im Kärntner Görtschitztal giftiges Hexachlorbenzol (HCB) enthalten. Verantwortlich gemacht wurden die mitten im Tal ansässigen Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke (w&p), die belastete Blaukalke unsachgemäß verbrannt und so Mensch, Tier und Natur kontaminiert hatten. Eine Welle der Skandalisierung überrollte das Tal. Das unsichtbare Gift verunsicherte die Bevölkerung und vergiftete auch das regionale Klima.

„Wir wollen sichtbar machen, wie sich die HCB-Krise auf das Tal ausgewirkt hat und wie es den Bewohnerinnen und Bewohnern des Tales derzeit geht“, erklärt Ute Holfelder die Intention des breit angelegten Projekts, das sie gemeinsam mit Klaus Schönberger wissenschaftlich betreut und in das ein Dutzend weitere Personen eingebunden ist. Recherchen vor Ort, Gespräche mit der Bevölkerung sowie eine Datenerhebung standen am Beginn der Untersuchungen. Studierende der Angewandten Kulturwissenschaften sammelten Informationen zu der – stark abwandernden – Bevölkerung, der von Industrie und Landwirtschaft geprägten Arbeitswelt sowie zum Tourismus, der trotz schöner Landschaft und einer hohen Dichte an Museen nur schwach ausgeprägt ist. Und es ging um den Umweltskandal und den darüber geführten problematischen medialen Diskurs.

In einem nächsten Schritt folgten Interviews mit jungen Bewohnerinnen und Bewohnern des Tales. Holfelder: „Unser Ziel war es, der medialen Skandalisierung etwas entgegenzustellen und die Stimmen der Jungen zu hören, die im medialen Diskurs untergehen. Sie möchten trotz der HCB-Krise weiter hier leben.“ Zehn Personen zwischen 17 und 26 Jahren wurden gebeten, ein Selfie von sich an ihrem Lieblingsort zu machen. Für Holfelder ist sowohl das Medium als auch dieser Einstieg zum Interview ein wichtiger Punkt gewesen: „Der Ort, an dem man sich wohl fühlt, ist positiv besetzt. Mit einem Selfie lässt sich etwas Persönliches über sich und das eigene Leben mitteilen.“

Die Erzählungen der jungen GörtschitztalerInnen kreisen um Themen wie Familie, Freundschaft, Vereinsleben, Arbeit und Freizeit – und am Rande auch um HCB. Die meisten von ihnen müssen mit dem Auto auspendeln, da der öffentliche Verkehr schlecht ausgebaut ist. Jene, die studieren, finden selten eine Stelle im Tal und verbleiben meist in den größeren Städten.

Eine große Rolle spielt der Begriff Heimat, worunter neben der als schön empfundenen Natur vor allem die soziale Verbundenheit mit Familie und Freunden verstanden wird. Während der Hochphase der HCB-Causa sei der Zusammenhalt das Wichtigste gewesen, sagen viele im Interview. In schwierigen Zeiten, wo der Ruf des Tals und ihrer Heimat geschädigt werde, seien es die Familie, die Freunde und das soziale Leben in den Vereinen, die zählen und helfen. „Für uns Ethnografen ist die Vorstellung von Heimat eine Form der Selbstvergewisserung, gerade auch dann, wenn man weiß, dass das Leben mit HCB gesundheitsgefährdend sein kann“, erklärt Holfelder. Dazu kommt, dass das über Jahrhunderte vom Bergbau geprägte Görtschitztal bereits vor dem HCB-Fall eine ähnliche Geschichte mit Asbest hatte. In den nächsten Jahren wird die nächste Asbestose-Erkrankungswelle erwartet. Holfelder: „Die Menschen wissen das. Sie müssen nun entweder die Realität schönreden, wegziehen oder sich für eine saubere Zukunft einsetzen.“

„Das heikle Thema HCB kam in den Interviews immer von selbst auf, es wurde nicht explizit danach gefragt“, betont Holfelder. Die jungen GörtschitztalerInnen erzählten, dass die Meinungen im Tal, bedingt durch die unterschiedlichen Interessen, stark auseinander gehen. Die einen wollen, dass die Causa vollkommen aufgeklärt wird und fordern Konsequenzen ein, die anderen wollen einen Schlussstrich ziehen und endlich zur Tagesordnung übergehen, denn „HCB habe ihnen zu viele Konflikte gebracht“.

Besonders schwierig sei die Situation für die ansässigen Bauern. Gerade die Biobauern müssen sich arrangieren, dabei seien viele Gräben aufgebrochen. Ob diese jemals geschlossen werden können, bezweifelt Holfelder: „Bei den weniger oder nicht Betroffenen vielleicht schon, aber gerade für die Bauern, die noch immer nicht sicher sein können, ob ihre Futtermittel und Produkte noch belastet sind, ist es schwierig. Sie wissen nicht genau, welche Auswirkungen alles haben wird, und müssen mit einer großen Ungewissheit zurechtkommen. Niemand kann sagen, was es bedeutet, mit einem hohen HCB-Wert zu leben.“

Dass die Gräben und Konflikte mitten durch Familien, durch Beziehungen, durch die Nachbarschaften und auch die Bürgerinitiativen gehen, hat Holfelder auch in Gesprächen mit anderen  TalbewohnerInnen gehört: „Es wird von Familien erzählt, die angepöbelt werden, wenn sie sich zur Wehr setzen. Für diese wieder ist es unverständlich, wie man mit der eigenen HCB-Belastung leben soll, etwa als Mutter, die nicht mehr stillen möchte, weil sie damit ihr Kind vergiften könnte.“

Die jungen InterviewpartnerInnen stimmen der kursierenden Behauptung, dieZementwerke w&p hätten als größter Arbeitgeber eine Dominanz, die die Menschen zum Schweigen brächte, zwar zu, doch als BewohnerInnen eines „stummen Tals“ wollen sie keinesfalls gesehen werden. „Sie betonen das Gegenteil – dass sie sehr gut für sich sprechen können“, so Holfelder. Eine der Befragten ist der Auffassung, dass HCB nicht das Hauptproblem des Tales sei. Es gäbe andere Probleme wie die Strukturschwäche und die Entvölkerung, so wie in anderen Kärntner Tälern auch. Die HCB-Sache habe dies nur sichtbarer gemacht. „Vielleicht werden die Probleme und Konflikte, die es sonst auch gibt, durch die HCB-Geschichte tatsächlich klarer, aber damit auch verhandelbarer gemacht“, meint Ute Holfelder und folgert, „dass dies auch eine Chance für das Tal sein könnte“.

Die Brüche im Tal wurden auch bei einem „Wahrnehmungsspaziergang“ offensichtlich. Das Nord-Südtal mit Ausläufern auf die Saualpe im Osten und mit sanften Hügeln im Westen zum Krappfeld hin ist von großer landschaftlicher Schönheit. Diese Idylle steht im Widerspruch zu dem, was nicht so sichtbar ist: Im Sommer 2017 erwanderten Ute Holfelder, der Fotograf Arnold Pöschl und die Autorin die 26,8 km lange Görtschitz von ihrer Mündung in Brückl bis zu ihrem Anfang in Hüttenberg. „Die größte Überraschung war dabei der Lärm der vielen LKW, die unablässig durch das Tal donnern“, sagt Holfelder, „damit wird die Schönheit des Tales ständig gestört, ja gebrochen. Das könnte man auch von den unsichtbaren Störungen sagen: Die Schönheit des Tales wird durch Asbest und HCB völlig gebrochen.“

„Selfies im Görtschitztal“ ist ein Teilprojekt des EU-Projekts „ECHOES from Invisible Landscapes“ im EACEA-Creative Europe Programme. Beteiligt sind die Musikinitiative Enterprise Z (Steiermark), die Kulturinitiative Mani d.o.o. (Istrien, Kroatien), die Festival-Organisation Zveza Mink (Tolmin/Slowenien), der Wieser Verlag (Klagenfurt) und das Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Als ein Resultat wird die ethnografisch-künstlerische Ausstellung „Going Görtschitz“ bei der Langen Nacht der Forschung am 13. April 2018 (Station U 05 im Zentralgebäude) gezeigt. Sie bleibt bis 6. Mai geöffnet.

 

Für ad astra:  Barbara Maier

„Selfies im Görtschitztal“ ist ein Teilprojekt des EU-Projekts „ECHOES from Invisible Landscapes“ im EACEA-Creative Europe Programme. Beteiligt sind die Musikinitiative Enterprise Z (Steiermark), die Kulturinitiative Mani d.o.o. (Istrien, Kroatien), die Festival-Organisation Zveza Mink (Tolmin/Slowenien), der Wieser Verlag (Klagenfurt) und das Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Als ein Resultat wird die ethnografisch-künstlerische Ausstellung „Going Görtschitz“ bei der Langen Nacht der Forschung am 13. April 2018 (Station U 05 im Zentralgebäude) gezeigt. Sie bleibt bis 6. Mai geöffnet.