„Das Digitale rahmt das Analoge und umgekehrt.“

Felix Stalder ist Professor für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung an der Zürcher Hochschule der Künste. Im Rahmen der Tagung „Alltage und Kultur/en der Digitalität“ wird er an der Universität Klagenfurt seine Keynote unter dem Titel „Infrastruktur eines Zugvogels“ (19. Mai 2023, 19:00 Uhr, Stiftungssaal) halten. Im Fokus steht dabei der Waldrapp, der die unaufhebbare Verknüpfung von Digitalität und Analogizität symbolisiert. Anhand der Auswilderung des Waldrapps, fast 400 Jahre nach seiner Ausrottung in Mitteleuropa, soll gezeigt werden, wie das Digitale eine Schlüsselrolle spielt in der Rekonfiguration des Verhältnisses sozialer, biologischer, technologischer und informationeller Ressourcen und der dadurch veränderten Handlungsmöglichkeiten diverser menschlicher und nicht-menschlicher Akteur:innen. Zu diesem Vortrag, der in Zusammenarbeit mit Landschaft des Wissens/Wissenschaftsverein Kärnten durchgeführt wird, sind alle Interessierten – inner- und außerhalb der Universität – eingeladen. Studierende des Masterstudiums Angewandte Kulturwissenschaft und Transkulturelle Studien sprachen schon vorab mit Felix Stalder. 

Wie beeinflusst Digitalität Ihren persönlichen Alltag?
Ich würde nicht sagen, dass Digitalität meinen Alltag „beeinflusst“, sondern dass sie ein zentrales Element des Alltags ist. Und nicht, weil meine technologische Praxis besonders avanciert oder intensiv wäre, sondern weil mein Alltag auf allen Ebenen von digitalen Dynamiken durchzogen ist. So wie der der meisten Menschen in hochentwickelten Ländern auch. Das trifft sowohl auf Dynamiken im Kleinen zu – etwa wenn wir uns innerhalb meiner Familie koordinieren (dynamisch und kurzfristig) – als auch im großen – etwa mit Blick auf den Charakter politischer Krisen. Durch die Pandemie hat sich das relative Gewicht digital-getriebener Organisationsformen verstärkt und sie noch dominanter im Alltag gemacht.

Wie denken Sie über das Verhältnis von Digitalität und Analogizität, insbesondere nach der Corona Pandemie?
Ich sehe beide als spezifische Bündel strukturierender Eigenschaften. Digitalität und Analogizität sind immer ko-präsent und wenn man das eine betrachtet, sieht man schnell, dass das andere im Hintergrund sogenannte „boundary conditions“ setzt. So verstehe ich etwa das Digitale als eine spezifische Konfiguration analoger Materialien und Bedingungen und diese Materialität – etwa in Form des Energiekonsum – prägen die Möglichkeiten des Digitalen. Umgekehrt sind auch gänzlich analoge Dinge – etwa wie ein Paket von A nach B transportiert wird – geprägt von den Möglichkeiten digitaler Infrastrukturen, etwa Trackingsysteme und wenn diese aus irgendeinem Grund nicht mehr funktionieren, dann kann sich auch das Packet nicht mehr weiterbewegen. Mit anderen Worten, das Digitale rahmt das Analoge und umgekehrt. Diese beiden Dimensionen als Gegensätze zu denken war einer der Grundfehler digitaler Theorie der 1990er Jahre der immer noch nachwirkt.
Der Einfluss der Pandemie auf dieses Verhältnis war vielleicht weniger groß, als es uns in den Monaten endloser Zoom Meetings erschien, als wir gezwungen waren, viele Prozesse, die sonst in analoger Kopräsenz durchgeführt wurden nun in digitaler Kopräsenz durchzuführen. Die Pandemie hat viele Entwicklungen, die schon da waren, verstärkt und beschleunigt, aber hier wenig grundsätzlich geändert.
Wichtiger für die Veränderung dieses Verhältnisses sind die immer stärkeren negativen Effekte der menschengemachten Veränderung der ökologischen Rahmenbedingungen. Diese führen uns die grundsätzliche Analogizität unserer Existenz vor Augen, aber in einer Weise, die durch Digitalität geprägt ist.

Gibt es Forschungskonzepte oder Ansätze zum Thema, welche Sie momentan besonders interessieren?
Mich interessiert im Moment das Dreiecksverhältnis von technologischen, sozialen und biologischen Dynamiken sehr, und zwar besonders im Hinblick auf den Charakter ihrer gegenseitigen Konstituierung. Technologie ist oft ein Mittel, um Subjekte und Objekte zu definieren und diese dann in ein Verhältnis von Dominanz und Kontrolle zu setzen. Objekte werden den Subjekten mittels Technologie verfügbar gemacht. Dieses Denken und die darauf aufbauenden sozio-ökologischen Dynamiken haben uns in eine bedrohliche Sackgasse geführt, aus der wir einen Ausweg finden müssen.

Mit welchen gesellschaftlichen Entwicklungen müssen wir uns als Kultur- und Sozialwissenschaftler*innen in der nächsten Zeit beschäftigen?
Ich denke, mit der Neudefinition von Kultur und Sozialem. Es geht hierbei nicht nur um „große Theorie“ (da haben Theoretiker:innen wie Bruno Latour und Donna Haraway schon viel Arbeit geleistet), sondern diese Erkenntnisse durch Studien der Alltagsrealität kritisch weiter zu entwickeln.

Gibt es unterschiedliche Konzepte, oder konkurrierende Konzepte von Digitalität?
Grundsätzlichster Unterschied ist, ob Digitalität und Analogizität als Gegensätze oder als unterschiedliche Fäden in einem Knäuel gesehen werden.

Was möchten Sie den Teilnehmer:innen der Konferenz mitgeben?
Zwei Dinge: Digitalität und Analogizität nicht als Gegensätze zu denken und die Dringlichkeit, aber auch die Produktivität, sich nicht nur auf ‚Kultur‘ und ‚Soziales‘ zu konzentrieren, sondern den Blick auf all die anderen Akteure, deren Existenzformen und unserer Beziehungen zu ihnen zu erweitern.

Zur Person



Felix Stalder ist Professor für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung an der Zürcher Hochschule der Künste. Er beschäftigt sich mit dem Wechselverhältnis von Gesellschaft, Kultur und Technologien und forscht zu Themen wie Digitalität, Commons, Urheberrecht und Datafizierung. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er auch publizistisch, kulturell und politisch aktiv. Felix Stalder lebt und arbeitet in Wien und Zürich.