Daniel Spoerri konstruiert jetzt „fadenscheinige Orakel“
Anmerkungen über eine Ausstellung der aktuellen Werkserie des großen Eat-Art-Künstlers an der Alpen-Adria-Universität mit einer Intervention von Zenita Komad anlässlich der Vernissage.
Seit knapp zwei Jahren arbeitet Daniel Spoerri an „fadenscheinigen Orakeln“, Umarbeitungen und Neutextierungen von alten Wandtüchern. Das hundertste Exemplar enthält nur ein einziges Wort: „Alles!“ und ist gerade fertig genäht worden. In seiner Atelierwohnung in der Nähe des Wiener Naschmarkts stapeln sich auf zwei großen Tischen immer noch zahlreiche, ausgeschnittene Worte, die auf die Einbindung in eine neue Sentenz warten. Die ersten Originaltücher hat er 2007 in Oberösterreich erstanden.In den Alpenländern dienten die mit Mustern und Sinnsprüchen bestickten Tücher früher (1870–1930) als dekorative Wandbehänge in der Küche. „Die Idee kommt eigentlich aus den Niederlanden,“ erzählt Spoerri, „dort haben Menschen, die sich keine Delfter Fliesen leisten konnten, waschbare Tücher mit ähnlichen Motiven bestickt und damit die Wände geschmückt. Zugleich dienten sie als Schutz vor Spritzern etc.“
Erst nachdem Spoerri Silke Eggl als Köchin von marokkanischen Tajins kennengelernt und sie sich als Schneidermeisterin geoutet hatte, begann er mit der Zerschneidung und Neuzusammensetzung des eingelagerten Tuchvorrats. Die Wienerin näht seitdem die neu konzipierten Sätze neben Borten und Stickereien nach genauen Vorgaben wieder zusammen. Mittlerweile gehen die beiden fast jeden Samstag gemeinsam auf den Naschmarkt, um verschiedenste Artefakte – „die Tücher haben wir ja schon alle aufgekauft“ – zu finden und die aktuellen Arbeiten zu besprechen.
Mit knapp dreißig Jahren und nach langem Experimentieren fand der 1930 im rumänischen Galatz/Galaţi geborene Spoerri seine Ausdrucksform. Er klebte vorgefundene Objekte an ihrem zufälligen Standort fest, kippte alles in die Vertikale und erklärte es zum Bild. Die „Fallenbilder“ waren geboren. „In diesem realen Fixieren von einem Teil der Realität war etwas, was mich unheimlich glücklich machte. Plötzlich hatte ich mein eigenes Territorium fixiert, von dem ich wusste – das gehört jetzt mir, das ist meine Sache.“ (Standard-Interview 2008) Doch weder mit Kunst noch mit Ästhetik wollte er, der sich nur als „Handlanger des Zufalls“ sah, diese Objekte in Verbindung gebracht haben. Ihm ging es um die paradoxe Wirkung, die vom – ihm verhassten – Stillstand ausgeht. Die Einfrierungen sollen dem Betrachter „Unbehagen bereiten“, schreibt er in seiner Erklärung zu den ersten 1960 ausgestellten Tableaux-pièges, denn „Bewegung löst Stillstand aus. Stillstand, Fixation, Tod provoziert Bewegung, Veränderung und Leben“.
Mit Assemblagen vor allem von den Spuren einer Mahlzeit ist der Name Spoerri am engsten verknüpft. Die fixierten Überreste unzähliger Banketts in eigenen und fremden Restaurants, in Galerien und im privaten Kreis fanden ein starres Ende und sicherten ihm den Titel des Erfinders und Hauptvertreters der Eat Art.
Mit der Sprache arbeitet Spoerri immer schon, nicht nur als Theatermacher und Autor. Seine Gedichte aus den 1950er Jahren gingen bis auf wenige verloren. Die von ihm herausgegebene Zeitschrift für
konkrete und ideogrammatische Dichtung material (1958–1960) baute auf den Dialog mit dem Leser. Mit den „Orakeln“ ist er wieder ganz direkt ans Wort gerückt. Hier wird konkrete Poesie aus einem begrenzten Wortrepertoire herausgeschält. Dass die neuen Wandschoner wie schon die alten auch irgendwie Küchenrepertoire bleiben, schließt mehrfach den Kreis des weiten Universums des Daniel Spoerri. Er, der notorische Sammler, der fünf Sprachen spricht und sich weder als Rumäne, noch Jude, Deutscher, Schweizer oder Wiener fühlt, demonstriert mit den „fadenscheinigen Orakeln“ erneut die enge Verbindung von Kunst und Küche.
Die Buchausgabe von Daniel Spoerri „Fadenscheinige Orakel“ ist im Wieser Verlag erschienen und als Normalausgabe sowie als limitierte Luxusausgabe mit einem Sticktuch im Buchhandel und im
Ausstellungshaus Spoerri in Hadersdorf am Kamp erhältlich.
für ad astra: Barbara Maier
www.spoerri.at