Damit keine Schere im Bauch bleibt
Risikomanagementinstrumente könnten viele so genannte unerwünschte Ereignisse in Krankenhäusern verhindern. Damit sie aber effizient wirksam werden, braucht es eine Sicherheitskultur, die es erst langsam aufzubauen gilt. Wie das gelingen kann, untersucht Šehad Draganović.
Šehad Draganović geht mit einem guten Gefühl ins Krankenhaus, wenn er medizinische Hilfe braucht. Und das, obwohl – global gesehen – einer von 1.000 KrankenhauspatientInnen in Folge von so genannten unerwünschten Ereignissen stirbt. „Es kann immer etwas passieren. Österreich hat aber ein gutes Gesundheitssystem. Das kann ich sagen, weil ich auch andere unter die Lupe genommen habe. Solange Menschen in Krankenhäusern arbeiten, wird es jemandes Schicksal sein, das Opfer von Fehlern zu werden.“ Man könne aber, so der Betriebswirt, der sich auf Gesundheitsmanagement, Patientensicherheit, Change- und Risikomanagement spezialisiert hat, viel dafür tun, um die Gefahren zu verringern.
Elementar dafür ist eine Kulturveränderung im Gesundheitswesen. Studien hätten gezeigt, dass, wenn die Primaria bei der Visite die Hände desinfiziert, ihr die anderen folgen. Eine Kulturveränderung brauche aber, so Draganović, zehn bis zwanzig Jahre. „Sie wird aber nie stattfinden, wenn sie nicht systematisch in Angriff genommen wird.“ Šehad Draganović hat für seine Dissertation (betreut durch Guido Offermanns) mehrere Studien durchgeführt, um der Sicherheitskultur und der Wirksamkeit von Risikomanagementinstrumenten auf die Spur zu kommen.
Seit 1999 Risikomanagement in Krankenhäusern
Vor nicht mal zwanzig Jahren wurde in den USA die Studie „To Err is Human: Building a Safer Health System“ publiziert, wonach jährlich zwischen 44.000 und 98.000 Menschen in den Krankenhäusern, ausgelöst durch ein unerwünschtes Ereignis, sterben. Mit ihr startete ein neues Bewusstsein für Risikomanagement im Gesundheitswesen. Mittlerweile weiß man, dass rund 5 bis 12 Prozent aller PatientInnen Opfer eines unerwünschten Ereignisses, also beispielsweise einer Medikamentenverwechslung oder einer vermeidbaren Infektion infolge mangelnder Händehygiene werden. In den allermeisten Fällen sind die Komplikationen behandelbar; beispielsweise im Fall einer Seitenverwechslung bei einer Nierenentfernung sind die Folgen aber fatal.
„Bis 1999 glaubte man, dass die Fehler im Krankenhaus unvermeidbar sind. Dann hat aber die Wissenschaft damit begonnen, Lösungen für das Risikomanagement zu finden“, erklärt Draganović. Dabei habe man sich Vorbilder aus der Flug- oder der Atomindustrie genommen. Ein Beispiel sind Checklisten: So müssen vor der Operation Patientendaten, Allergien, Krankheitsbilder etc. gecheckt und knapp vor dem Schnitt alle Instrumente im Operationssaal gezählt werden, um die Anzahl nach der Operation zu überprüfen. In Summe sollen es jeweils drei Minuten sein, die pro Checkliste aufgewendet werden müssen.
Macht das auch jemand?
Die Untersuchungen von Šehad Draganović haben gezeigt, dass die Einführung einer solchen Checkliste nicht automatisch dazu führt, dass sie auch effizient wirksam werden kann. Denn: „Mittlerweile werden die Checklisten digital ausgefüllt. Und da lässt sich feststellen, dass viele die Listen nach der Operation abhaken.“ Für Draganović ist es daher essenziell, dass die Risikomanagementinstrumente nicht mit der Top-down-Technik in eine Organisation hineingeworfen werden, sondern dass alle verstehen, worin der Nutzen liegt – sowohl für die PatientInnen als auch für das oft von Klagsdrohungen betroffene Gesundheitspersonal selbst. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen zu Beteiligten gemacht werden“, so ein Ergebnis seiner Befragung, die er mit 32 Health Professionals in AUVA-Einrichtungen durchgeführt hat.
Von der Fehler- zur Sicherheitskultur
Wer bisher in den Krankenhäusern einen Fehler machte und den auch eingestand, wurde bestraft, obwohl derjenige vielleicht gar nicht die Ursache des Fehlers ist. Dagegen existiert in dem Vorreiterland USA schon lange eine Sicherheitskultur, die auf die Suche nach dem Ursprung des Fehlers fokussiert. Dafür brauche es jedoch andere Fehlermeldekulturen: „Alle im Krankenhaus sollen die Möglichkeit haben, anonym gefährliche Situationen zu melden. Ein Team soll sich dann diesen Meldungen zeitnah widmen und Lösungen initiieren.“ So sei es gelungen, in Schweizer Krankenhäusern Glasflaschen durch Gefäße aus Plastik zu ersetzen. Fallen diese zu Boden, zerbersten sie nicht. Es rutschen weniger Menschen aus oder schneiden sich an Scherben.
Eine Frage der Zeit
Der Klinikalltag ist hektisch; vielfach falle, so Draganović, das Zeitargument gegen die Risikomanagementinstrumente. Am Beispiel der Patientenübergaben, die häufig Quelle von unerwünschten Ereignissen sind, lasse sich aber Gegenteiliges zeigen: „Viele PatientInnen werden an der Kaffeemaschine beim Schichtwechsel ‚übergeben‘. Dabei ist klar, dass der
Gesundheitszustand der PatientInnen nicht im Mittelpunkt des Gespräches steht und dass essenzielle Informationen verloren gehen können. Um solche Übergaben zu verhindern, braucht es wissenschaftlich belegte Instrumente, die effektiv und effizient sind.“ Man hat nun eine Checkliste für die Übergabe entwickelt, mit der sich rund die Hälfte aller dadurch verursachten unerwünschten Ereignisse vermeiden lassen.Und zur Zeitfrage: „Eine durchschnittliche Übergabe an der Kaffeemaschine dauert 2,5 Minuten; das Ausfüllen der Checkliste 2,4 Minuten.“
Messen der Sicherheitskultur
In den USA entstand das erste gute Instrument zur Messung der Kultur. Draganović hat diesen Fragebogen nun für das Gesundheitssystem jeweils in Österreich und in Bosnien-Herzegowina übersetzt, übertragen und psychometrisch überprüft. Und damit auch gleich die Sicherheitskultur in den beiden Ländern gemessen. In Österreich haben an der quantitativen Befragung 1.525 Personen, in Bosnien-Herzegowina 2.617 Personen teilgenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Sicherheitskultur und Patientensicherheit in Österreich im internationalen Vergleich hoch entwickelter Länder im Mittelfeld liegt und in allen untersuchten zehn Dimensionen noch reichlich Verbesserungspotenzial besteht. Noch mehr Luft nach oben gäbe es in Bosnien-Herzegowina. Draganović sieht die Lage aber positiv: „Wenn die Sicherheitskultur schon so halbwegs gut ist, ist es schwerer, spürbare Erfolge zu erzielen. In Bosnien-Herzegowina wird es leichter sein, die Health Professionals für die Veränderung zu motivieren.“
(Über)lebensnotwendiges Wissen
Der Schlüssel für eine Veränderung in Richtung einer effizienten Sicherheitskultur sei Wissen und Ausbildung sowie eine systematische Implementierung in den Organisationen. „Je mehr Health Professionals wissen, dass sich durch die Risikomanagementinstrumente die Komplikations- und Mortalitätsraten signifikant senken lassen, desto eher werden Maßnahmen in den Klinikalltag und in die Kultur integriert.“ Profitieren könne man auf mehreren Ebenen, nicht zuletzt auch bei den Kosten, denn „im Gesundheitssystem sinken die Kosten, wenn die Qualität steigt“. Letztlich geht es, so Draganović, in gewisser Weise um alles, nämlich um unsere Gesundheit.
für ad astra: Romy Müller
Zur Person
Šehad Draganović ist Senior Scientist an der Abteilung für Personal, Führung und Organisation an der AAU. Seine Dissertation zum Thema „Messung und Entwicklung der Patientensicherheitskultur im Managementkontext – Qualitative und quantitative Studien aus Österreich und Bosnien und Herzegowina“ will er bis Oktober 2017 abgeschlossen haben.