Commencement Speech: Über die Verantwortung von Absolvent:innen im Kontext von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Der Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, Christoph Grabenwarter, hielt bei den Akademischen Feiern an der Universität Klagenfurt am 18. Oktober 2024 die Festrede. Die Universität Klagenfurt folgt mit den sogenannten Commencement Speeches einer US-amerikanischen Tradition: Herausragende Persönlichkeiten sind eingeladen, den Absolvent:innen ihren Werdegang und ihre Perspektiven auf die Welt zu schildern. Dieses Mal konnte Christoph Grabenwarter gewonnen werden – mit einer ebenso gesellschaftskritischen wie ermutigenden und visionären Rede.

Christoph Grabenwarter, neben seiner Rolle an der Spitze des Verfassungsgerichtshofes auch Mitglied der Venedig-Kommission und Universitätsprofessor der WU Wien, thematisiert in seiner deutsch- und slowenischsprachig eröffneten Rede die zentrale Rolle von Bildung in der Gesellschaft – und die damit verbundene Verantwortung von Akademiker:innen im Kontext von Demokratie, Verfassung und Rechtsstaatlichkeit. Aktuelle Statistiken der Association of Public and Land-grant Universities (APLU) unterstreichen die signifikanten Vorteile eines Hochschulabschlusses: Akademiker:innen haben demnach eine um 24 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, dauerhaft beschäftigt zu sein und eine dreieinhalbmal geringere Gefahr der Armutsbedrohung.

Diese Zahlen sollen die Absolvent:innen darin bestärken, den Tag der Sponsion mit Stolz und Zuversicht zu genießen, denn die erlangten akademischen Qualifikationen können getrost als solides Fundament für ein erfülltes Leben betrachten werden. Grabenwarter weist darauf hin, dass höhere Bildung auch mit einem stärkeren Engagement in der Zivilgesellschaft einhergeht, was sich in einem aktiven Ehrenamt und einer erhöhten Wahlbeteiligung widerspiegelt. Damit sei man bei einem grundlegenden Prinzip der Bundesverfassung, nämlich dem Demokratieprinzip, angelangt: Grund- und Menschenrechte, wie das Recht auf freie Wahlen, sind nicht nur unveräußerlich, sondern auch essenziell für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft. Denn Gesetze regeln das Zusammenleben der Menschen und damit die Abgrenzung von Freiheitssphären. Insbesondere verweist Grabenwarter auf das Recht auf Bildung und auf die als Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes von 1867 in der Eingangsaula der Universität Klagenfurt zweisprachig wiedergegebene Wissenschaftsfreiheit. Dass der Zugang zur Bildung in Österreich weitgehend offen und diskriminierungsfrei ist, bilde einen grundlegenden Wert der Gesellschaft.

Darüber hinaus thematisiert Grabenwarter den Einfluss von politischen Veränderungen in Europa und die Notwendigkeit, die Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte zu verteidigen. Dies wird besonders vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen, Wahlen und Regierungsbildungen in Österreich und in den USA, relevant. Die Verantwortung, die mit einem Hochschulabschluss einhergeht, bedeute auch, sich aktiv für die Werte des demokratischen Rechtsstaates einzusetzen. Niemand könne sich einzelne Rechte herauspicken, denn in ihrer Gesamtheit stellen sie ein ausbalanciertes Gefüge dar. Die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte verdeutlicht Grabenwarter auch durch Verweise auf literarische Werke, wie Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“:

Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel,
Und holt herunter seine ew’gen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst.

Darin wird nicht nur die Unerlässlichkeit der Rechte des Einzelnen und des Schutzes von Minderheiten in einer demokratischen Gesellschaft deutlich, auch spiegelt sich darin das Leitbild der Universität Klagenfurt wider – per aspera ad astra, wörtlich „durch das Raue zu den Sternen“. Absolvent:innen seien dazu aufgerufen, sich als Botschafter:innen der europäischen Werte zu verstehen und ein starkes Bewusstsein für die Bedeutung von Demokratie, Verfassungsstaatlichkeit und Menschenrechten zu entwickeln – wenn nicht mit „Verfassungspatriotismus“, so zumindest mit „Verfassungsbewusstsein“.

Abschließend wünscht Grabenwarter den Absolvent:innen viel Glück, Erfolg und Freude bei der Umsetzung der in der Universität erlernten Fähigkeiten und Kenntnisse, sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben. Er verknüpft dies mit dem dringenden Appell, die akademische Bildung nicht allein als individuelle Errungenschaft zu betrachten, sondern als Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und ihren Werten.