Coaching und Linguistik | Foto: zinkevych/Fotolia

Coaching bedeutet, ein Gespräch zu führen

Eva-Maria Graf forscht an der Schnittstelle zwischen Linguistik und Coaching. Sie interessiert sich dafür, welche kommunikativen Aktivitäten das Beratungsformat ausmachen und welche Paradoxien es aufweist.

Während Gespräche in Psychotherapie oder Medizin seit vielen Jahren beforscht werden, ist Coaching ein neuer Forschungsgegenstand in der Linguistik. Dieser Blick auf das Gespräch wiederum fehlt bis dato in der Coachingforschung. Die Forschung der angewandten Linguistin Eva-Maria Graf schlägt eine Brücke und fragt, welche kommunikativen Aktivitäten das Beratungsformat Coaching prägen.

Coaching – jung, boomend, arbeitsweltlich und noch wenig erforscht
„Coaching ist eine relativ junge, jedoch boomende Form personenbezogener Beratung im arbeitsweltlichen Kontext“, definiert Graf. „Obwohl sich die Berufsverbände vermehrt um Standards bezüglich Qualität und Ausbildungsanforderungen bemühen, sei Coaching noch nicht institutionalisiert und professionalisiert. Am häufigsten werde Führungskräfte-Coaching eingesetzt für die CEOs großer Unternehmen. Heute fände es aber auch vermehrt auf mittleren und unteren Führungsebenen statt. Daneben etablierten sich auch Formen von Coaching, die sich lebensweltlichen Themen der KlientInnen widmen.“ In der Regel wird Coaching im beruflichen Kontext von externen Coaches abgewickelt und vom Arbeitgeber bezahlt. Eva-Maria Graf erklärt weiter: „Üblich ist, dass sich Coach und Führungskraft über einen durchschnittlichen Zeitraum von einem halben bis dreiviertel Jahr zu fünf bis zehn Gesprächen mit einer durchschnittlichen Länge von zwei Stunden treffen.“ Vermehrt werden auch virtuelle Formen des Coaching eingesetzt. Klassische Themen seien Übernahme neuer Führungsaufgaben bzw. Führungsthemen aller Art, Aufarbeiten eines 360°-Feedbacks, berufliche Entscheidungsfindung, Sinnkrisen etc.

Beitrag der Linguistik
Eva-Maria Graf hat im Rahmen ihrer diskursanalytischen Grundlagenforschung zu den Spezifika des Beratungsformats Coaching Folgendes festgestellt: „Coaching realisiert sich schleifenartig in und durch kommunikative Basis-Aktivitäten, nicht aber in einer linearen und schrittweise prozessualen Abfolge von Gesprächsphasen.“ Dies wird nach wie vor in den Praxisbüchern beschrieben. Im Konkreten haben ihre Analysen die kommunikativen Aktivitäten „Situation definieren“, „Beziehung gestalten“, „Veränderung ko-konstruieren“ und „Coaching evaluieren“ ermittelt. Den Kern bildet die Basis-Aktivität „Veränderung ko-konstruieren“. Hier bearbeiten die Beteiligten all jene kommunikativen Aufgaben, die dazu dienen, das Anliegen und das Ziel des Coachings zu definieren und diese zu bearbeiten, um mit und für die KlientInnen Lösungen zu erarbeiten und so Veränderung, das oberste Ziel im Coaching, zu ermöglichen.

Paradoxien: Coaching – Diener zweier Herren?
Sowohl in der Praxisliteratur als auch im Coaching selbst geht es immer wieder darum, sich von anderen Formaten wie vor allem der Psychotherapie abzugrenzen. Dies muss es tun, „bei gleichzeitigem Einsatz diskursiver Praktiken und Interventionen aus der Psychotherapie im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Emotionen, die auch im Coaching im Zentrum stehen“, wie Eva-Maria Graf feststellt. Eine zweite Paradoxie findet sich in der Definition des Coachings als „ergebnisorientierte Selbst-Reflexion“. Sie führt dazu aus: „Kritisch betrachtet dient Coaching zwei ‚Herren‘: den KlientInnen, die als oftmals überlastete, mit sehr viel Verantwortung und ständiger Veränderung kämpfenden ManagerInnen Zeit und Raum zum Reflektieren jenseits des täglichen
Führungsalltags bekommen, gleichzeitig aber auch der zahlenden Organisation, die sich von diesen Refl exionsräumen konkret messbare Ergebnisse, das heißt insgesamt eine bessere Performance ihrer Führungskräfte, erwarten.“

für ad astra: Romy Müller

 

Zur Person

Eva-Maria Graf ist assoziierte Professorin am Institut für Anglistik und Amerikanistik. In Kürze wird ihre Monographie „The Pragmatics of Executive Coaching“ bei John Benjamins (Amsterdam) erscheinen, das erste Buch dieser Art in der Linguistik. Sie ist Editor-in-Chief von Coaching | Theorie & Praxis, des ersten double-blind peer review open-access Journals zu Coaching im deutschsprachigen Raum.

Eva-Maria Graf