Neuerscheinung! Computermodelle in Nachhaltigkeitsabschätzungen der Europäischen Kommission (Titus Udrea & Anja Bauer)

Computermodelle in Nachhaltigkeitsabschätzungen der Europäischen Kommission. Between control and independence: computational modelling within EC’s trade sustainability impact assessments

Titus Udrea & Anja Bauer

Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen (SIA) sind ein zentrales Instrument für in der EU-Handelspolitik. Computergestützte Modelle sind das wichtigste Analyseinstrument zur Bewertung der potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen von Handelsabkommen. Während die Modellierung lange Zeit von externen Beratungsfirmen vorgenommen wurde, führt die Generaldirektion Handel bei den jüngsten SIAs die Handelsmodellierung selbst durch. Vor dem Hintergrund dieser Verlagerung von der externen zur internen Modellierung befasst sich der Artikel mit der (wahrgenommenen) Rolle und Autorität der Modellierung in SIAs. Anhand zweier aktueller SIAs, nämlich TTIP und EU-Australien, skizziert der Artikel die sozio-technischen Arrangements von Modellen in SIAs und erörtert die unterschiedlichen Auffassungen über die Rolle der Modellierung durch politische Entscheidungsträger*innen, Expert*innen und Interessenvertreter*innen. Außerdem werden die möglichen Auswirkungen der Verschiebung der Modellierung auf die Autorität von Modellen in SIAs erörtert. Unsere Studie legt nahe, dass die interne Modellierung Vorteile wie Kontrolle, Flexibilität und Konsistenz bietet. Diese Vorteile könnten jedoch auf Kosten der wahrgenommenen Unabhängigkeit der Bewertungen gehen.

Erschienen in Impact Assessment & Project Appraisal

zum Artikel: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14615517.2022.2112811

Veranstaltungshinweis 23. Juni 2022: Prof. Daniel Barben über DIE ENERGIEVERSORGUNG DER ZUKUNFT

Institutsvorstand Prof. Dr. Daniel Barben spricht bei der Veranstaltung „Die Energieversorgung der Zukunft“ an der AAU (23. Juni 2022, ab 18 Uhr, Stiftungssaal) über „Politik und Ethik nachhaltiger Energiezukünfte: Konjunkturen evidenzbasierten (Nicht)Handelns“. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist auch online möglich.

Nähere Information zur Veranstaltung finden Sie hier.

STS auf der Langen Nacht der Forschung 2022

Das Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung (STS) präsentierte aktuelle Forschungsergebnisse zur Digitalisierung.

Wie verändert Digitalisierung Zusammenarbeit in der Medizinforschung? Wie macht Digitalisierung uns verwandt? Und überhaupt: Was haben Schweinsohren mit Digitalisierung zu tun?

Kinder, Jugendliche und Erwachsene probierten im Datenbankspiel wie die Suche nach den passenden Forschungsmaterialien mit dem Katalog des europäischen Netzwerks für Proben- und Datenbanken in der Medizinforschung (BBMRI-ERIC) funktioniert. Diese digitale Infrastruktur hat das Ziel, Qualität und Prozesse von Biobanken in Europa zu vereinheitlichen und Austausch zu vereinfachen.

Trotz großer Bemühungen der Besucher*innen der Langen Nacht der Forschung, ließ sich das Gesuchte analog manchmal aber nicht finden – ganz so wie in der digitalisierten Forschungspraxis, erklärte Erik Aarden.

Julia Malik führt in das Datenbankspiel ein. (Foto: Helene Sorgner)

Digitalisierte Verwandtschaftsmessungen, wie etwa Gentests, versprechen mit Wahrscheinlichkeiten von Vaterschaft oder Prozentsätzen von ethnischer Zugehörigkeit Präzision. Doch auch diese scheinbar objektiven Messergebnisse sind umkämpft: Welche Datenbanken wurden für die vergleichende Berechnung herangezogen? Anstatt eindeutige Ergebnisse zu liefern, fügen neue Messungen außerdem weitere Bedeutungsebenen durch zusätzliche Indikatoren hinzu.

Beim Stammbaumzeichnen mit Erik Aarden. (Foto: Helene Sorgner)

An den Tischen mit Genealogien, DNA-Analysen, Blutgruppentests, Fotos, Dokumenten, Anruflisten, Geldscheinen, Zahnbürsten und Hochzeitskleidung wunderten sich Jung und Alt über die Vielfalt der Indikatoren, mit denen weltweit Verwandtschaft gemessen wird, um über Zugehörigkeit und damit über Rechte, Pflichten und Zugang zu Ressourcen zu entscheiden.

Christof Lammer berichtet, dass sich in Ritualen im nördlichen Laos, in denen Geister über die Zugehörigkeit eines Kindes zum Haus der Mutter entscheiden, viele Gespräche um Quantitäten drehen: Wie viel ist das geopferte Schwein wert? Wurde von allen Teilen auch genug gegeben, vor allem vom zähen Schweinsohr, von dem es am schwierigsten ist, etwas herunterzureißen? Diese Diskussionen verweisen darauf, dass angenommen wird, dass die Geister auch Verwandtschaft messen, selbst wenn deren Messungen für die Menschen nicht direkt zugänglich sind – ähnlich wie für viele Nutzer*innen Gentests eine „Black Box“ bleiben. (Foto: Helene Sorgner)

Neuerscheinung! Sonderheft zu „Messungen von Verwandtschaft und Aushandlungen von Zugehörigkeit“

Messungen von Verwandtschaft strukturieren ökonomische und politische Ungleichheiten weltweit. Obwohl sie weit verbreitet sind, werden sie selten als solche wahrgenommen.

Hinter scheinbar eindeutigen Messergebnissen, beispielsweise aus genetischen Vaterschaftstests, stecken komplexe Prozesse und viele kleine Entscheidungen mit großen Auswirkungen. Indikatoren von Verwandtschaft als Nähe oder Ähnlichkeit werden erfunden und durch überzeugende Visualisierungen etabliert; Messeinheiten wie Verwandtschaftsgrade auf Genealogien werden unterschiedlich definiert; Beweise werden gesammelt, versteckt oder zerstört, für Entscheidungen zugelassen oder auch nicht; verschiedene Messungen werden miteinander kombiniert oder gegeneinander ausgespielt; Grenzwerte werden hinauf- oder herabgesetzt. All diese Praktiken haben Auswirkungen – teilweise tödliche – auf Aushandlungen von Zugehörigkeit: von der Familie, über Ethnizität, Nationalität und „Rasse“ bis hin zur Menschheit an sich.

Das Sonderheft „Measuring Kinship“ (Social Analysis 65:4), herausgegeben von Christof Lammer (Klagenfurt) und Tatjana Thelen (Wien), untersucht diese Produktivität von Verwandtschaftsmessungen anhand von sieben Beiträgen aus Afrika, Asien, Europa und Nordamerika. Diese beleuchten Messungen hinter Einwanderungsbeschränkungen und Zwangssterilisation, inklusiven Neudefinitionen von Nationalität, Versicherungsleistungen für Opfer von Verkehrsunfällen, Bewertungen von Gesundheitsrisiken sowie Entscheidungen über Erbschaften und Pflegeleistungen. Die Vielfalt der Messungen in Bürokratie, Recht, Medizin und Ritual zeigen, dass letztlich fast alles zu Indikatoren von Verwandtschaft gemacht wurde bzw. werden könnte: von der Ähnlichkeit von Namen, über Blutgruppen und DNA bis hin zur Anzahl von Zahnbürsten im Badezimmer oder im Körper abgelagerten toxischen Chemikalien.

Das gesamte Sonderheft ist hier frei zugänglich.

Christof Lammer ist Postdoc-Assistent am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der AAU.