STS auf der Langen Nacht der Forschung 2022

Das Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung (STS) präsentierte aktuelle Forschungsergebnisse zur Digitalisierung.

Wie verändert Digitalisierung Zusammenarbeit in der Medizinforschung? Wie macht Digitalisierung uns verwandt? Und überhaupt: Was haben Schweinsohren mit Digitalisierung zu tun?

Kinder, Jugendliche und Erwachsene probierten im Datenbankspiel wie die Suche nach den passenden Forschungsmaterialien mit dem Katalog des europäischen Netzwerks für Proben- und Datenbanken in der Medizinforschung (BBMRI-ERIC) funktioniert. Diese digitale Infrastruktur hat das Ziel, Qualität und Prozesse von Biobanken in Europa zu vereinheitlichen und Austausch zu vereinfachen.

Trotz großer Bemühungen der Besucher*innen der Langen Nacht der Forschung, ließ sich das Gesuchte analog manchmal aber nicht finden – ganz so wie in der digitalisierten Forschungspraxis, erklärte Erik Aarden.

Julia Malik führt in das Datenbankspiel ein. (Foto: Helene Sorgner)

Digitalisierte Verwandtschaftsmessungen, wie etwa Gentests, versprechen mit Wahrscheinlichkeiten von Vaterschaft oder Prozentsätzen von ethnischer Zugehörigkeit Präzision. Doch auch diese scheinbar objektiven Messergebnisse sind umkämpft: Welche Datenbanken wurden für die vergleichende Berechnung herangezogen? Anstatt eindeutige Ergebnisse zu liefern, fügen neue Messungen außerdem weitere Bedeutungsebenen durch zusätzliche Indikatoren hinzu.

Beim Stammbaumzeichnen mit Erik Aarden. (Foto: Helene Sorgner)

An den Tischen mit Genealogien, DNA-Analysen, Blutgruppentests, Fotos, Dokumenten, Anruflisten, Geldscheinen, Zahnbürsten und Hochzeitskleidung wunderten sich Jung und Alt über die Vielfalt der Indikatoren, mit denen weltweit Verwandtschaft gemessen wird, um über Zugehörigkeit und damit über Rechte, Pflichten und Zugang zu Ressourcen zu entscheiden.

Christof Lammer berichtet, dass sich in Ritualen im nördlichen Laos, in denen Geister über die Zugehörigkeit eines Kindes zum Haus der Mutter entscheiden, viele Gespräche um Quantitäten drehen: Wie viel ist das geopferte Schwein wert? Wurde von allen Teilen auch genug gegeben, vor allem vom zähen Schweinsohr, von dem es am schwierigsten ist, etwas herunterzureißen? Diese Diskussionen verweisen darauf, dass angenommen wird, dass die Geister auch Verwandtschaft messen, selbst wenn deren Messungen für die Menschen nicht direkt zugänglich sind – ähnlich wie für viele Nutzer*innen Gentests eine „Black Box“ bleiben. (Foto: Helene Sorgner)

Neuerscheinung! Sonderheft zu „Messungen von Verwandtschaft und Aushandlungen von Zugehörigkeit“

Messungen von Verwandtschaft strukturieren ökonomische und politische Ungleichheiten weltweit. Obwohl sie weit verbreitet sind, werden sie selten als solche wahrgenommen.

Hinter scheinbar eindeutigen Messergebnissen, beispielsweise aus genetischen Vaterschaftstests, stecken komplexe Prozesse und viele kleine Entscheidungen mit großen Auswirkungen. Indikatoren von Verwandtschaft als Nähe oder Ähnlichkeit werden erfunden und durch überzeugende Visualisierungen etabliert; Messeinheiten wie Verwandtschaftsgrade auf Genealogien werden unterschiedlich definiert; Beweise werden gesammelt, versteckt oder zerstört, für Entscheidungen zugelassen oder auch nicht; verschiedene Messungen werden miteinander kombiniert oder gegeneinander ausgespielt; Grenzwerte werden hinauf- oder herabgesetzt. All diese Praktiken haben Auswirkungen – teilweise tödliche – auf Aushandlungen von Zugehörigkeit: von der Familie, über Ethnizität, Nationalität und „Rasse“ bis hin zur Menschheit an sich.

Das Sonderheft „Measuring Kinship“ (Social Analysis 65:4), herausgegeben von Christof Lammer (Klagenfurt) und Tatjana Thelen (Wien), untersucht diese Produktivität von Verwandtschaftsmessungen anhand von sieben Beiträgen aus Afrika, Asien, Europa und Nordamerika. Diese beleuchten Messungen hinter Einwanderungsbeschränkungen und Zwangssterilisation, inklusiven Neudefinitionen von Nationalität, Versicherungsleistungen für Opfer von Verkehrsunfällen, Bewertungen von Gesundheitsrisiken sowie Entscheidungen über Erbschaften und Pflegeleistungen. Die Vielfalt der Messungen in Bürokratie, Recht, Medizin und Ritual zeigen, dass letztlich fast alles zu Indikatoren von Verwandtschaft gemacht wurde bzw. werden könnte: von der Ähnlichkeit von Namen, über Blutgruppen und DNA bis hin zur Anzahl von Zahnbürsten im Badezimmer oder im Körper abgelagerten toxischen Chemikalien.

Das gesamte Sonderheft ist hier frei zugänglich.

Christof Lammer ist Postdoc-Assistent am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der AAU.

Neuerscheinung! Wie entstehen individuelle Doktorarbeiten in kollaborativen Forschungsprojekten?

In ihrer Studie „Constructing Doable Dissertations in Collaborative Research: Alignment Work and Distinction in High-Energy Physics Settings” untersucht Helene Sorgner die „Machbarkeit“ individueller Doktorarbeiten in einer Forschungskollaboration mit mehreren tausend Mitgliedern.

Link zur Publikation: https://sciencetechnologystudies.journal.fi/article/view/109709

Neuerscheinung! “Samples Are Precious”: Value Formations in the Potentiality and Practices of Biobanking in Singapore (Erik Aarden)

Biobanking in Singapore is characterized by contested relations between funding ambitions and research practices, and different notions of what the (potential) value of storing samples and data for medical research is. Different biobanking efforts anticipate the production of public goods from stored materials in specifically situated ways. These efforts to produce public goods in the form of scientific and economic value can be fruitfully understood in terms of extraction, a complex sociotechnical process of retrieving (potential) value from raw materials, which both informs and is informed by specific social values. In exploring the extraction of potential value in relation to practice values, I propose the notion of value formations to account for the coproduction of and intersections between different forms of value(s) in scientific practices situated in particular social contexts. I trace value formations across the life span of biobanking collections, which range from recruitment, collection, and processing of samples to their storage, retrieval, and use. Observations along this life span show the social and temporal complexity of value-making in biobanking in Singapore, pointing to the contextual specificity of how biobanking is understood as a public good.

weitere Info: https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/01622439211069129