Call for Participation „Geographien der Finanzialisierung“ (#GeoWoche)
Richard Bůžek, Laura Calbet i Elias, Simon Dudek, Susanne Heeg, Michael Janoschka, Justin Kadi, Karolin Kautzschmann, Michael Mießner, Sebastian Schipper, Christian Smigiel
Fachsitzung: Freitag, 08.10.2021, 10:00-11:30 Uhr
In den vergangenen Dekaden hat die Finanzialisierung für gesellschaftliche und räumliche Entwicklungen enorm an Bedeutung gewonnen. Wir wollen die #GeoWoche zum Anlass nehmen, um geographische Perspektiven auf Prozesse der Finanzialisierung auszuloten und die Vernetzung unterschiedlicher Arbeiten zu den Geographien der Finanzialisierung im deutschsprachigen Raum vertiefen. Auf dieser Basis wollen wir gemeinsame geographische Perspektiven auf Finanzialisierungsprozesse entwickeln.
Trotz unterschiedlicher Schulen der Finanzialisierungsforschung (Christophers und Fine 2020) lässt sich Finanzialisierung zusammenfassend beschreiben als „the increasing dominance of financial actors, markets, practices, measurements, and narratives, at various scales, resulting in a structural transformation of economies, firms (including financial institutions), states, and households” (Aalbers 2019, S. 3). Entsprechend ist Finanzialisierung zu verstehen als „eine Ansammlung interdependenter Prozesse, die im Ergebnis eine historisch-geographisch spezifische Ausprägung des Kapitalismus konstituieren“ (Klinge 2019, S. 73).
Es ist das Verdienst geographischer Finanzialisierungsforschung innerhalb der breiten und transdisziplinär geführten Debatte, Finanzialisierung als ein zutiefst räumliches Phänomen zu begreifen (French et al. 2011, S. 800). Nicht zuletzt durch die Betonung der Rolle der gebauten Umwelt und folglich neuer Raumproduktionen für die temporäre Überwindung kapitalistischer Krisendynamiken als eine Reihe (finanzialisierter) spatio-temporal fixes (Harvey 2006 [1982]; Belina 2011) bereichern geographische Arbeiten das Verständnis von räumlich ungleich verlaufenden Finanzialisierungsprozessen.
Eine geographische Perspektive auf Finanzialisierung ermöglicht es – auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie und der polit-ökonomischen und gesellschaftlichen „Vielfachkrise“ (Demirović et al. 2011) – die Reproduktion und Verschärfung verräumlichter globaler sozialer und ökonomischer Ungleichheiten (Sokol und Pataccini 2020, S. 402) besser zu verstehen.
- Urbane Räume
- Klimaschutz und finanzialisierte Inwertsetzung von Land und Ressourcen
- Wertschöpfungsketten
- Infrastrukturen und Daseinsvorsorge
- Gouvernementalität und staatliches Regieren
- Globalisierung und globale Abhängigkeiten
Ziel der Fachsitzung ist es, die unterschiedlichen Zugänge geographischer Finanzialisierungsforschung in ihrer theoretisch-konzeptionellen und empirischen Breite zu versammeln und zu vernetzen, um darauf aufbauend zukünftig gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Wir freuen uns über Beiträge, die sich auf die folgenden Aspekte beziehen oder diese um weitere Facetten bereichern:
- Beiträge, die den Stand der Forschung reflektieren:
- Welche Reichweite haben die theoretisch-konzeptionellen Perspektiven der geographischen Finanzialisierungsforschung? Wo werden aktuell Weiterentwicklungen diskutiert, wo erscheinen sie notwendig?
- Welche empirischen Felder werden in der geographischen Finanzialisierungsforschung bearbeitet?
- Welchen Beitrag leistet die deutschsprachige Geographie in der Finanzialisierungsforschung?
- Welche methodischen Zugänge zu Finanzialisierung gibt es?
- Beiträge die Ansätze für gemeinsame Perspektiven eröffnen:
- Was sind Forschungslücken oder offene Forschungsfragen der geographischen Finanzialisierungsforschung?
- Um welche Perspektiven könnte/sollte die geographische Finanzialisierungsforschung erweitert werden?
- Welche Rolle spielt Raum für das Verständnis von Geographien der Finanzialisierung?
Die Fachsitzung möchte eine weitere und tiefgreifende Vernetzung von Finanzialisierungsforscher*innen im deutschsprachigen Raum sowie eine Entwicklung gemeinsamer Perspektiven anstoßen. Wir freuen uns daher über Beiträge, die auf bereits durchgeführten Forschungen beruhen ebenso wie über Impulse zum Stand der Fachdiskussion oder zu zukünftigen Herausforderungen.
Beitragsvorschläge für 10- bis 15-minütige Inputs werden bis zum 30.04.2021 (max. 300 Wörter) erwünscht an Richard Bůžek (richard [dot] buzek [at] uni-muenster [dot] de) und/oder Michael Mießner
(michael [dot] miessner [at] aau [dot] at).
Literaturverzeichnis
Aalbers, Manuel B. (2019): Financialization. In: Douglas Richardson, Noel Castree, Michael F. Goodchild, Audrey Kobayashi, Weidong Liu und Richard A. Marston (Hg.): International Encyclopedia of Geography: Wiley, S. 1–12.
Belina, Bernd (2011): Kapitalistische Raumproduktionen und ökonomische Krise. Zum Begriff des spatial fix bei David Harvey. In: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 55 (4), S. 239–252.
Christophers, Brett; Fine, Ben (2020): The Value of Financialization and the Financialization of Value. In: Philip Mader, Daniel Mertens und Natascha van der Zwan (Hg.): The Routledge international handbook of financialization (Routledge international handbooks), S. 19–30.
Demirović, Alex; Dück, Julia; Becker, Florian; Bader, Pauline (Hg.) (2011): VielfachKrise. Im finanzmarktdominierten Kapitalismus. 1. Aufl. Hamburg: VSA.
French, Shaun; Leyshon, Andrew; Wainwright, Thomas (2011): Financializing space, spacing financialization. In: Progress in Human Geography 35 (6), S. 798–819. DOI: 10.1177/0309132510396749.
Harvey, David (2006 [1982]): The limits to capital. London: Verso.
Klinge, Tobias J. (2019): Finanzialisierung. In: Jan Brunner, Anna Dobelmann und Sarah Kirst (Hg.): Wörterbuch Land- und Rohstoffkonflikte. Ein kritisches Handbuch: transcript-Verlag (Global studies), S. 72–78.
Sokol, Martin; Pataccini, Leonardo (2020): Winners And Losers In Coronavirus Times: Financialisation, Financial Chains and Emerging Economic Geographies of The Covid-19 Pandemic. In: Tijdschrift voor economische en sociale geografie 111 (3), S. 401–415. DOI: 10.1111/tesg.12433.