05.03.: Andrea Grill: „Cherubino“, Lesung

Andrea Grill

„Cherubino“

Lesung, 19.30 Uhr

 

Musik: Marie Orsini-Rosenberg
Moderation: Christina Glinik

 

Eine starke Frau, zwei Männer, eine Schwangerschaft und die große Oper – in ihrem neuen Roman erzählt Andrea Grill eindringlich von einer Sängerin zwischen Kind und Kunst.

 

Die 39-jährige Sängerin Iris Schiffer ist zielstrebig, selbstbewusst und auf gutem Karriereweg. Demnächst gibt sie als Cherubino in Mozarts Oper „Hochzeit des Figaro“ ihr Debüt an der Met, und unverhofft wird ihr eine Hauptrolle bei den Salzburger Festspielen angeboten. Aber die schönste Nachricht ist ihre Schwangerschaft, von der Iris zunächst weder den beiden in Frage kommenden Vätern noch ihrer Agentin etwas verrät, zumal die Premiere in Salzburg und der Tag der Geburt nah beieinander liegen. Andrea Grill erzählt von einer souverän handelnden Frau, die erst allmählich bereit ist, ihre Schwangerschaft anzunehmen. Von den Männern nimmt sie, was sie braucht. Denn das, was zählt, sind sie und ihr Kind.

 

Andrea Grill, 1975 in Bad Ischl geboren, studierte u. a. in Salzburg und Thessaloniki und promovierte an der Universität Amsterdam in Biologie. Sie wurde u. a. mit dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis (2011) und dem Förderpreis für Literatur der Stadt Wien (2013) ausgezeichnet. Cherubino wurde für die Longlist zum deutschen Buchpreis 2019 ausgewählt.

 

 

Deutschnationalismus, hohe Schreibkunst und eine blutige Grenze? Öffentliche Vorlesungsreihe zum „Mythos Kärnten“

Gehen in Kärnten die Uhren anders als in den restlichen Bundesländern Österreichs? Spätestens beim dramatischen Abgang Jörg Haiders stellte man sich diese Frage auch im Ausland. Die Vorstellungen von einem Besonders- und Anders-Sein Kärntens ist zu einem Klischee geworden, im Laufe eines Jahrhunderts sind Fakten, Halbwahrheiten und pure Erfindungen zu etwas gefroren, das man als einen Mythos bezeichnen kann. An 15 Terminen bietet die Universität Klagenfurt im Sommersemester eine Ringvorlesung mit Beiträgen hiesiger und auswärtiger Wissenschaftler*innen. Die Veranstaltungsreihe ist öffentlich zugänglich.

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David Jamnig – Zuckerland.

David Jamnig

Zuckerland

Die Riesenspinnen bewegen sich schon wieder. Gerade eben dachte ich noch, sie wären nun endlich ruhig. Nun gut, ich lass die Spinnen, Spinnen sein und zähle weiter mein Geld. Mittlerweile habe ich mehrere Milliarden Euro gesammelt und bald werde ich mir mein Haus kaufen. Natürlich mit großem Pool und Garten. Ja sogar einen eigenen Streichelzoo mit Wellensittichen werde ich mir erbauen. In der Garage wird der rote Ferrari stehen, mit dem ich dann über die Landstraße brettern werde.Was will denn meine Schwester schon wieder von mir? Ich verzaubere sie einfach zu Eis und dann habe ich meine Ruhe. Gesagt, getan. Ich kann sie schon nicht mehr hören. Kaum hat man Ruhe von seiner Schwester, geht einem schon wieder die Mutter auf den Wecker. Sie verlangt allen Ernstes, dass ich das Geschirr in das Maul des Monsters stecke. Mit Sicherheit werde ich dir diesen Wunsch nicht erfüllen, denn sonst wird es mich verschlingen. Langsam macht sich bei mir auch der Hunger bemerkbar, deshalb werde ich jetzt den Riesenapfel verschlingen. Somit muss ich nun für ein ganzes Jahr nichts mehr essen.

Heute werde ich mich auch noch auf die mit „Zucker“ bedeckte Wiese stürzen und daraufhin mit meinem Motorfahrzeug Runden im Garten ziehen. Natürlich habe ich auch vor, einen „Zuckermann“ mit einer Karottennase zu bauen. Gleich daneben wird meine „Zuckerburg“ stehen, welche ich vor meiner Schwester, also einem Eindringling, verteidigen werde. Ach, die Welt ist so schön!

Lilah Janjuz – Die Busfahrt.

Lilah Janjuz

Die Busfahrt

 

Mühselig hievte sie den viel zu großen Koffer über die Bordsteinkante auf den Gehsteig. Sie hatte wohl viel zu viel eingepackt, nun aber war es nicht mehr zu ändern. Das Dorf, in dem sie wohnte, hatte keine Bushaltestelle, obwohl die Dorfbewohner sich schon seit Jahren darum bemühten. Und so musste man fünf Kilometer bis ins nächste größere Dorf laufen. Als sie das Dorf durchquerte, spürte sie die Blicke der Dorfbewohner im Nacken. Ihr Fortgehen würde wohl mehrere Tage für regen Gesprächsstoff sorgen. Zunächst würden sie Spekulationen anstellen, nach denen sie zukünftig als Magd auf einem großen Bauernhof, in einem der umliegenden Dörfer arbeiten würde. Die Frau des Bürgermeisters würde allen erzählen, dass sie einen heimlichen Liebhaber im Ausland habe, wahrscheinlich einer der Erntehelfer, die dieses Jahr am Hof der Hansens waren. Wenn niemandem mehr eine neue Geschichte einfallen würde, würden sie zum Hof ihrer Eltern gehen, und diese würden nach langem Hin und Her widerwillig die Wahrheit ans Licht bringen.

Der Bus war bis auf zwei ältere Damen, die strickend und plaudernd im hinteren Teil des Buses saßen, leer. Sie setzte sich in der Mitte des Buses ans Fenster und beobachtete, wie sich die gewohnte Umgebung entfernte. Die Dörfer, an denen sie vorbeifuhren, die dem, in dem sie aufgewachsen war, so ähnlich sahen und doch alle ihren eigenen Scharm hatten. Hin und wieder stiegen Leute zu. Auch diese veränderten sich mit der immer größer werdenden Entfernung ihrer Heimat, wie die Tracht einer Gruppe Frauen, die der ihren zwar ähnlich sahen, aber von der Anordnung der Farben abwich. Mit der Zeit hatte sich der Bus fast vollständig gefüllt und es setzte sich eine Frau auf den Platz neben ihr. Sie trug ein Kleid aus einem so geschmeidig fließenden Stoff, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Unauffällig strich sie mit einem Finger über den samtig weichen Stoff. Ihr kam der Gedanke, dass sie selbst vielleicht eines Tages ein solches Kleid tragen würde, gekauft von ihrem selbst verdienten Geld.

An einer Haltestelle inmitten von goldglänzenden Getreidefeldern stieg eine ältere Frau mit einem großen Hut zu. Sie setzte sich in die Stuhlreihe schräg vor ihr und nahm sogleich ein, in blaue Leinen gebundenes, dünnes Buch hervor und vertiefte sich in seinen Inhalt. Lesen war immer eine Beschäftigung gewesen, die ihr Vater nicht gerne gesehen hatte. Eines der vielen Dinge, die er an ihr kritisierte. Es war nie leicht für sie gewesen, sich Bücher zu beschaffen. Die wenigen, die sich auf dem Hof ihrer Eltern befanden, hatte sie bald gelesen und die Schulbibliothek hatte auch nicht viel zu bieten. Sie hatte es immer geliebt, sich in andere Welten entführen zu lassen, die Geschichten anderer zu erleben. Das Lesen hatte es ihr wahrscheinlich auch ermöglicht, so zu denken, wie sie es jetzt tat und ihr auch dabei geholfen, diese Entscheidung zu treffen. Ab jetzt würde es nicht mehr nur das viele Lesen sein, das ihr Vater an ihr missbilligte. Er duldete, wie alle Männer im Dorf, keine Frauen, die selbstständig denken und handeln wollten. Sie konnte und wollte sich kein Leben an der Seite eines solchen Mannes vorstellen. Sie wollte frei sein, auf eigenen Beinen stehen und sich der Welt öffnen, sie verstehen und ihre Aufgabe in ihr finden.

Der Bus fuhr eine kurvenreiche Bergstraße hinab und dort wo die Bäume nicht zu dicht aneinander standen, konnte man im Tal die Silhouette der Stadt erkennen.