Mladen Savić: Destination Bios

Überschattet von der Corona-Krise, ihren medialen Schwerpunkten, sozialen Umstellungen und existenziellen Fallen, ist nahezu nebenher der Frühling ins Land gezogen und hat seine flauschigen Fühler nach allen Seiten hin ausgestreckt. Im großen Garten hinter der For-Forest-Villa hat sich über Boden und Flächen überall dichter Blütenstaub gelegt. Sattes Grün in allen Nuancen hat sich in die Äste und Baumkronen gehängt. Flügelförmige Baumsamen trudeln, um ihre Achse tänzelnd, von oben herab und bedecken Gras und Liegen. Die Goldfische im Teich, ein paar Dutzend an der Zahl, lassen sich davon nicht stören. Die Vogelkonzerte schon früh morgens scheinen hier, mitten in der Stadt, lauter und lebendiger zu sein als auf den Waldwegen von Kreuzbergl. Das wohltuende Wetter lässt die Laune nie kippen. Sonne und Wärme, blauer Himmel mit weißen Wölkchen und die Buntheit der Blüten stimmen die Tage auf einen gelassenen Gang und eine heitere Note ein. Es tut gut, jedes Mal aufs Neue zu erleben, wie das frühlingshafte Erwachen der Natur sich selbst besingt und feiert, wie zügig der Sommer immer einzieht, jahrein, jahraus, so als wäre der Vergänglichkeit vorübergehend eins ausgewischt und sie selbst vorerst wieder besiegt worden. Mit fortschreitendem Alter und welkender Lebenskraft geht meist einher, dass der Kreislauf der Natur sich für uns Menschen melancholisch einfärbt. Deshalb, wie ich annehme, kümmern die Alten sich so liebevoll und geschäftig um ihre angelegten Zierbeete.

 

Alle Blumen könne man abschneiden und doch den Frühling nicht verhindern, habe ich vor einigen Jahren auf einer Hauswand von Barcelona zu lesen bekommen, unweit des Strands in einer kleinen Seitengasse. Bestimmt würde es Pablo Neruda, den Poeten der Lebensbejahung und Verständigkeit, nicht stören, dass ihm das Zitat zugeschrieben wird, wenn auch fälschlicherweise. Sein Name ist nämlich unter das Graffiti gesprüht gewesen. Die Natur sei gewissermaßen eine mächtige Größe, mit der wir erstens rechnen müssen – und zweitens mit ganz anderen Maßstäben als den gegenwärtigen. So deute ich die Aussage. Weltbezogenheit dieser Art stellt ein hohes Gut dar in Zeiten, in denen Konsum, Industrie, Transport und Ökosystem in einen zweifelsfreien Zusammenhang gesetzt worden sind, geradezu als gruseliger Gemeinplatz des Jahrhunderts. Wie sehr ich mich also zur Außenwelt in Bezug setze, so sehr nehme ich an ihr auch teil, nicht mehr und nicht minder, und der Bezug sollte möglichst sinnvoll sein. Ohne diese Anteilnahme aber begegnen wir der Wirklichkeit mit der Zärtlichkeit eines Stemmeisens und unweigerlich auch dem Subjekt als bloßem Objekt. Eine Situation zu unserem Nachteil ist dann teilweise vorprogrammiert. Zu sagen, wenngleich in bester Absicht, wir könnten gegen die Natur niemals siegen, impliziert indes, dass wir gegen sie längst Krieg führen, gegen ihr empfindliches, bewegtes Gleichgewicht, gegen ihr Überleben und das unsrige. Ein umsichtiger Umgang mit Mensch und Umwelt täte jedenfalls not, und Umsicht als ein Baustein der Intelligenz hat freilich viele Formen und Facetten.

 

Doch das falsche Wirkliche hat immer auch dessen innewohnende Wendung gebracht und hervorgebracht: das an sich Mögliche, das nur noch nicht Wirkliche, den richtigeren Gedanken, den besseren Entwurf – infolge innerer Entwicklung und in Form von kritischer Fantasie und realer Kritik. Kein Ort existiert zwar, an dem nicht das falsche Wirkliche triumphieren würde, sondern allein das richtige Mögliche. Ich zumindest kenne keinen, aber ich glaube auch nicht an die bestehende als die beste aller Welten. Jedoch, keine Zeit hat jemals existiert, da der utopische Nicht-Ort als etwas Notwendiges und Wünschenswertes nicht auch Druck gemacht und Zugeständnisse an die Verbesserung erzwungen hätte. Diese Dynamik ist ebenfalls nichts Neues. Die Forderung nach einem Ausgleich mit der Welt, der natürlichen wie der menschlichen, nach einem dem Logos naturgemäßen Leben, nach einer Verbindung von tätigem Dasein mit geistigen Dingen, diese Forderung ist in der Philosophie recht alt und reicht, in der Begriffsgeschichte bekannt als Bios, bis in die Antike zurück. Die Sozialphilosophen der Moderne haben auf ihre Weise nach einem höheren Gleichgewicht gesucht durch den Grundgedanken einer harmonisierten Befriedigung der Bedürfnisse und einer Befreiung von Arbeit. Die Ökologen, bemüht um eine gesamtheitliche Perspektive und nachhaltige Harmonie, verkörpern, aus einem geschichtlichen Winkel heraus, die weitere Ausweitung der Fragestellung und insoweit die nächste Stufe auf dem Weg ins Reich der Freiheit, denn sie fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit von Leben und nach dessen Gesetzen. Und gut so! Die Anerkennung allgemeiner Größenordnungen und Abhängigkeiten erweitert als geistige Grenzziehung schlussendlich unseren Handlungsspielrahmen.

 

Kurz, Koexistenz kann keine Herrschaftstechnik sein – nicht mehr in diesem Jahrhundert, und sicherlich nicht in Bezug auf die Naturgewalten. Die Industrie hat sich als ökologische Massenvernichtungswaffe herausgestellt. Da werden, um die obige Metapher abermals aufzugreifen, nicht bloß Blumen geschnitten, sondern Wälder gerodet, Flüsse verödet und Berge leergepumpt. Die Motorisierung fährt wörtlich Land und See zugrunde. Vielleicht ließe sich der Frühling am Ende doch noch verhindern, indem wir durch Extremklima die Jahreszeiten auslöschen? Der Mensch, mehr als nur eine Tierart und weit weniger als ein Gott, hat sich sozusagen selbst vom Thron der Welt gestoßen. Wie irreparabel die angerichteten Schäden an seinem Lebensraum und mitunter am eigenen Wesen sind, am menschlichen Körper, an der Psyche, am Massencharakter, wird sich schon noch zeigen … Bios und Logos müssten umso umgehender zueinanderfinden wie auch die Kultur zur Natur und der Massenmensch zur Umwelt als seiner wichtigsten Existenzbedingung. Ein umfassender Umbau der gesamten Lebensweise steht bevor, entgegen herrschenden Interessen und samt allem, das an Maßnahmen dazugehört. Nur an diesem noch nicht geschaffenen Ort erkannter Notwendigkeit, rationaler Grenzen und nützlicher Fantasie wird kommenden Generationen genuin gelingen, was wir gemeinhin als Frieden, Glück und Sinn bezeichnen. Mit alledem könnten die Kids von morgen ziemlich ins Schwitzen kommen, etwa, wenn die Feuchtkugeltemperatur über 30 Grad Celsius ansteigt, was nicht nur der Grenzwert dafür ist, wie kühl unser Schweiß den Körper halten kann, sondern auch das, was bestimmte Erdregionen für unsere Spezies atmosphärisch unbewohnbar macht. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich hier keinerlei Zukunftsprognose zeichne – solche Zonen und Regionen gibt es auf dem Planeten bereits. Ausgleich mit der Welt sieht anders aus, würde ich meinen.

 

Nun ist aber das meiste, was uns als modernen Menschen normal und vertraut vorkommt, streng genommen, ein durch und durch künstliches Umfeld, von Menschenhand gebaut. In freier Natur finden sich weder Treppen noch Gehsteige, weder Maschinen noch Glühbirnen. Fragt sich: Was ist schon „natürlich“, was soll das letztlich sein? Wir lernen, während wir aufwachsen, wofür das sprachliche Zeichen, der Begriff ungefähr steht, und wissen ausgewachsen immer noch nicht, was es wirklich bedeutet, konzeptuell, emotional, weil uns der entsprechende Erfahrungswert fehlt und weil die Natürlichkeit als solche zu einem reinen Konzept geworden ist, welches sich nirgends unmittelbar beobachten lässt. Einerseits hilft uns im Urteil der Komparativ: die Kategorie des nächst Natürlicheren oder eben des weniger Natürlichen. Andererseits müsste vorher genauer geklärt werden, wie die Bestimmung der Natürlichkeit an und für sich zustande kommt, nach welchen Kriterien, ob aus hinreichenden Gründen, und so in einem fort. Vieles verkompliziert sich in der kollektiven Entscheidungsfindung sehr schnell. Was uns unbenommen bleibt und mich als Zeitzeugen bizarrer Weise tröstet, ist die Einsicht, ihrerseits immer manifester in der Weltgemeinschaft, dass die Künstlichkeit auf uns zurückwirkt und alle allmählich davon erfahren – sodass wir uns ein bisschen bewusster aussuchen sollten, was uns da, als gesellschaftlich Ersonnenes und Hingestelltes, im Gegenzug beeinflusst. Immerhin eröffnet sich durch Information ein menschliches Betätigungsfeld.

 

Wenn man zu lange oder ausschließlich im künstlichen Umfeld weilt und verweilt, verliert sich der würdige Bezug zu äußeren Determinanten, und man merkt manchmal, in welchem Maße man verlernt hat, den kulturellen Tunnelblick abzulegen und das Natürliche und seine Macht in und außer uns wahrzunehmen. Am besten offenbart sich dieser Umstand in der nervösen, urbanen Unfähigkeit, in einer Naturlandschaft entspannt Zeit zu verbringen, zur Ruhe zu kommen und sie vollends zu genießen sowie Pflanzen und Tiere überhaupt noch als Lebewesen zu empfinden, außer dem Wissen nach, im klassifizierenden Sinne, aber nicht dem Verhalten nach. So oder so interagieren wir mit Flora und Fauna. Vor allem persönliche Erlebnisse mit Lebendigem prägen dahingehend meinen Zugang. In Wien füttere ich unter meinem Fenster im ersten Stock regelmäßig die schreckhaft-vorsichtigen Krähen, unter die sich hin und wieder Täubchen mischen, und sehe verwundert zu, wie ein wenig Rasen sich im Nu schwarz färbt und in ein gefräßiges Getümmel verwandelt. Dabei kann ich nicht behaupten, durch ein Schnabelklopfen auf die Fensterscheibe noch nie geweckt worden zu sein, im Gegenteil. Lebewesen reagieren immer auf uns. In Klagenfurt habe ich bislang keine solche Angewohnheit entwickelt, wundere mich nach jedem Fensteröffnen wiederum über die unaufdringliche Anwesenheit oder eben Abwesenheit eines Holzameisenvolks, das drinnen im Rahmen und wohl in der Mauer wohnt und sich zum Glück nicht in mein Hoheitsgebiet ausbreitet, vermutlich weil es draußen genügend Nahrung zu finden weiß. Wir haben wenig miteinander zu tun. Dafür sind die hiesigen Amseln viele und äußerst zutraulich. Was ich damit sagen will: So oder so reagieren Flora und Fauna auch auf uns.

 

An erstaunlichen Erfahrungen mangelt es mir dahingehend nicht, weder mit irgendwelchen mir am Arbeitsplatz geschenkten Topfblumen, die ich so sehr gehasst habe, dass sie – ohne Übertreibung – unerklärlicherweise über Nacht eingegangen sind, noch mit einer legendären Sandbiene am Wienerbergsee, die so lange und so lästig um meinen Kopf gekreist ist, bis ich nachgebend mein Handtuch um einen Meter verschoben habe und sie, aha, zu ihrem Hauseingang hat gelangen können – von faszinierend persönlichen Beziehungen mit eigenen und fremden Haustieren ganz zu schweigen. Manche Geschichten sind rührend. Ein argentinischer Fischer, habe ich in einem Dokumentarfilm einst gesehen, hat alljährlich Besuch von einem Pinguin, den er früher gerettet und gesundgepflegt hat, wobei dieser tausende von Kilometern zurücklegt, nur um seinen menschlichen Freund zu besuchen. Und Koko aus Kalifornien, ein unlänst gestorbener Gorilla, der den Spiegeltest bestanden und die Gebärdensprache mit einigen hundert Worten beherrscht hat, soll recht reflektiert gewesen sein und sich selbst nach einem Tobanfall als „störrischer Teufel“ beschrieben haben. Diese Wunder der Natürlichkeit sind in Wirklichkeit keine, sondern vielmehr der sichtbar gewordene Kommunikationsraum alles Lebendigen unter sich.

 

Die Natur ist insgesamt mehr als ein biologisches Faktum. Sie bedeutet Leben in der ganzen Breite des Begriffs. Wenn wir heutzutage lapidar von Umweltschutz und Klimaveränderungen reden, darf nicht vergessen werden, dass es auch ein neues gesellschaftliches Klima braucht, um den Herausforderungen der Zukunft entsprechend sensibel entgegenzutreten, eine angepasste Haltung, eine andere Form von Bewusstsein, völlig veränderte Modelle für das Arbeiten, Ernähren, Wohnen und Mobilsein in Massen. Nicht nur unser irrationales Verhältnis zu den natürlichen Ressourcen, beispielsweise zu den Bodenschätzen, dem fruchtbaren Land und dem trinkbaren Wasser, müsste strukturell überwunden, sondern individuell auch der Blick für die äußeren und inneren Gefährdungen des Ökosystems geschärft werden: von den kosmischen, klimatischen, tektonischen, vulkanischen und viralen Phänomenen über Rodungen, Schädlinge, Kriege, Urbanisierung, unkontrollierte Demografie und industrielle Verschmutzung bis hin zur madig modernen Mentalität, alles Leben – Pflanzen, Tiere, Menschen! – für Objekte zu halten, die man sich untertan machen kann, sprich, bis hin zur gesellschaftlich funktionellen Desensibilisierung des Einzelnen, was wiederum zu global instabilen Systemen führt. Wie könnte das keine Konsequenzen haben? Das Eintreten verschiedener Gefährdungen in engeren Intervallen erfordert, wie mir scheint, eine Vielzahl verschiedener Strategien zur Eindämmung der Folgeschäden. Anfangen kann man mit der persönlichen Sicht, und die meinige hat sich durch die Beschäftigung mit diesen Themen gewiss gewandelt. Ich kann Lebewesen längst nicht mehr nur als Nutznießer betrachten. Das Leben lebt und bejaht sich selbst, und zu leben heißt insofern, mit Lebendigem in Berührung zu kommen.

 

Kommentar von Gernot Waldner

Einer Deiner Gedanken, die mich am meisten überzeugt haben, findet sich auf Seite 3: „Immerhin eröffnet sich durch Information ein menschliches Betätigungsfeld.“ Mir ist dieser Gedanke beim Grammatikunterricht das erste Mal klar geworden. Die meisten Studierenden landen mit einer normativen Vorstellung von Grammatik an der Universität: Grammatik bestimmt, wie man richtig schreibt. Als erstes muss man ihnen leider beibringen: das ist falsch. Grammatik bestimmt nicht, wie man richtig schreibt, sondern versucht mit Regeln zu beschreiben, wie Sprache funktionieren kann.

Dennoch sitzt das Ressentiment tief: Warum muss ich denn lernen, welche sieben Arten des Genitiv sich bestimmen lassen? Die einfachste Antwort ist die: weil man mit dem Wissen über die sieben Arten des Genitiv mehr mit seiner Sprache anfangen kann als ohne sie. Übertragen auf die Ökologie fällt mir dazu ein Format von BBC4 ein: Gardener’s Question Time. In dieser Radiosendung rufen Leute mit Gartenproblemen an: perverser Nachbar, tote Hecke, Hund mit Verdauungsproblemen, schottische Winter ohne Blüten. Alle Probleme haben mit einer ökologischen Situation zu tun und die vier ExpertInnen, die auf die Anrufenden reagieren, haben fast immer vier unterschiedliche Antworten auf das Problem. Auch für die Ökologie gilt also, dass mehr Information zu einem größeren Betätigungsfeld führen. Gerade für eine Kulturstiftung scheint mir dieser Gedanke unbezahlbar wertvoll.

Bei Deinem Absatz zum „kulturellen Tunnelblick“, in dem Du meinst, es gebe eine „nervöse, urbane Unfähigkeit, in einer Naturlandschaft entspannte Zeit zu verbringen“, war ich mir nicht sicher, ob ich Dir zustimme. Zunächst wegen dem Argument, das Georg Simmel in „Die Großstädte und das Geistesleben“ gemacht hat, dass gerade in Städten intellektuell anregendere Gespräche stattfinden können. Meine Erfahrung bestätigt das und was von Dir „Unfähigkeit“ genannt wird, würde als Fähigkeit sozusagen mein Wiener Biotop bedrohen. Die grundlegendere Frage ist aber, ob der Zugang zur „Natur“ nicht immer auch ein entfremdeter sein muss, sofern man darüber wissenschaftlich etwas lernen will. Natürlich ist „Entspannung“ und „Ökologie“ kein Widerspruch, aber dass ersteres eine Bedingung für letzteres sein soll, leuchtet mir nicht ein.

Schließlich thematisiert der Text einen „Ausgleich mit der Welt, der natürlichen wie der menschlichen“ und bietet einen kurzen Überblick über die Geschichte dieses Gedankens, von den antiken Philosophie über die „Sozialphilosophen der Moderne“ bis zur Ökologie. Was mir hier etwas zu kurz kam, war, dass „Information“ über Natur auch immer schon politisch genutzt wurde und es nicht leicht ist, ein Kriterium zu finden, wie man ideologische Beschreibungen von „anderen Modellen für Arbeit…“ unterscheiden könnte.

Ein Autor, der den letzten Teil seines Lebens in der niederösterreichischen Natur verbracht hat, hat gegenüber dem Vorbild der Natur seine schönsten Bedenken angemeldet:

 

W.H. Auden: Bestiaries are out (July 1964)

A sweet tooth tought us to admire

The bees before we’d made a fire:

Nemorivagrant tribes at least

Could serve wild honey at a feast

 

Accustomed in hard times to clem

We started soon to envy them

An industry that stocks their shelves

With more food than they need themselves

 

By estimation, too, inclined

Towards a social stead of kind

We sought from study of their hives

To draw some moral for our lives,

 

And when conspiracy, revolt,

Gave Princes of this world a jolt,

Philosophers and Christian Preachers

Upheld the Bee as Civics Teacher

 

Now bestiaries are out, for now

Research has demonstrated how

They actually behave, they strike us

As being horridly unlike us:

 

Though some believe (some even plan

To do it) that from Urban Man,

By advertising plus the aid

Of drugs, an insect might be made.

 

No. Who can learn to love his neighbor

From neuters whose one love is labor,

To rid his Government of knaves

From commonwealths controlled by slaves?

 

How, for us children of the word,

Anthropomorphic and absurd

To ask what code they satisfy

When they swoop out to sting and die,

 

Or what catharsis undergo

When they put on their biggest show,

A duel to the death between

A tooting and a quacking Queen.

 


FOR FOREST – Serie in Kooperation mit dem Musil-Institut, Teil 5

 

 

Miriam H. Auer: Violent Dancing – Lesung der Autorin

Literatur in CORONA-Zeiten
Miriam H. Auer: Violent Dancing

 

Miriam H. Auer liest aus ihrem Roman „Violent Dancing“, der im Januar 2020 als vierzehnter Band der EDITION MEERAUGE im Verlag Heyn erschienen ist.
Am 04.06.2020 hätte sie den Text im Robert-Musil-Institut vorgestellt.

Da die Präsentation des Buchs aufgrund der Corona-Maßnahmen für Veranstaltungen abgesagt werden musste, hat Miriam H. Auer einige Ausschnitte daraus eingelesen.

 

 

»Wirbellose haben unzählige Methoden entwickelt, um sich zu schützen. Rückgratlose auch.«

Menschen, die man allzu leicht übersieht, Tiere vor dem Aussterben, Puppen aus allerlei Weggeworfenem: Auf kunstvoll gebauten Schachteltheaterbühnen lässt Miriam H. Auer die Geschöpfe um ihr Leben tanzen.

Zwischen Gegenwartskritik und Empowerment, Heavy Metal und Tandava, Tang-Poesie und Schopenhauer, sozialem Realismus und Kammerspiel, Schatten-theater und frühem Animationsfilm …

In den Hauptrollen von Violent Dancing tanzen:
Ling aus dem Club Venus Wonnen, die biegsam genug ist, um für ihre Freier in Koffer zu kriechen, und nach einem Unfall das Zimmer 6 des Pflegeheims bezieht.
Rita/Lita mit der Old-Hollywood-Figur, die Ling nicht immer wohlgesonnen war und ihr dennoch nicht von der Seite weicht – vielleicht, weil sie sich in den Fäden der Erinnerung verstrickt hat.
Jens, der mit LKW Elke zwischen Wien und Reggio di Calabria Kunst transportiert, in Dragmars Dragonbaby-Den feiern geht, Zebras liebt und Ling lieber etwas vorspielt als sie aufzugeben.

 


Miriam H. Auer, geboren 1983 in Friesach, Studium der Anglistik und Germanistik, 2015 Promotion zum Thema Poetry in Motion and Emotion, lebt als freie Schriftstellerin und externe Lehrbeauftragte am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Alpen-Adria-Universität in Kärnten und in der Steiermark.

Als Autorin trat Miriam Auer erstmals 2012 in Erscheinung und fiel prompt mit zahlreichen Auszeichnungen bei kleineren Literaturwettbewerben auf. Ihr Buchdebüt Hinter der Zeit. Umnachtungsnovelle (Edition Meerauge 2014) erregte dann größere Aufmerksamkeit: 2015 erhielt die Schriftstellerin den Förderpreis für Literatur des Landes Kärnten, 2016 wurde das Buch auf die Shortlist für den Literaturpreis ALPHA der Casinos Austria gewählt.

Neben Prosa schreibt Auer auch Lyrik, Lesedramen und Songs. Zahlreiche Texte sind in Anthologien, Zeitschriften und Online-Magazinen veröffentlicht, darunter Zebraritäten, in: Aber sicher! Die besten Texte aus dem Ö1-Literaturwettbewerb, Braumüller 2017; 6 Gedichte, ausgezogen, in: Freie Räume, Anthologie zum Wiener Werkstattpreis 2017, Edition FZA; Bärte im Glas 1 – Cruz, in: Lichtungen 151/38. Jg., 2017; Wegen Wes, in: entwürfe Nr. 82, Zürich 2016; Travestie der Einsamen, in: Triëdere Sonderheft alternativlos: flüchtling, Wien 2016; Der Feberkaul, in: tanz.zwischen.welten. Anthologie zum Wiener Werkstattpreis 2015, Peter Schaden (Hg.), Edition FZA, Wien 2015; SEELENGARTELN oder Wurmlöcher im Hortus Animae, in: Mein Garten, Gabi Russwurm-Biró (Hg.), Drava, Klagenfurt/Celovec 2015; Opal crocodile, Text für eine Performance mit Sabinna (Sabina Rachimova), in: Writing Fashion, International Fashion Showcase 2015, London Fashion Week, Another Austria, www.anotheraustria.com

Miriam H. Auer ist Mitglied der IG Autorinnen Autoren und des Kärntner SchriftstellerInnenverbandes.

 

Mladen Savić: Was tun? Gute Frage!

„Das Schlimmste im Leben“, hat mir ein Freund einmal gesagt, „ist es, wenn man eine Situation, aber keine Strategie hat“. Immer wieder denke ich zu den unterschiedlichsten Anlässen an die Aussage und ertappe mich genauso oft dabei, dass ich schmunzle. Es umfasst ja einiges, wenn man so will, und ist auf vieles anwendbar. Insbesondere in der Umweltfrage stellt sich automatisch auch die Frage der Praxis und kulturellen Reaktion auf die neuen Gegebenheiten: auf die längst bekannte Bedrohung des Ökosystems, die wir vorzugsweise mit vermeidendem Verhalten bewältigen.

Die Anpassung an situative Sonderlichkeiten lässt sich allgemein auffassen als Fähigkeit von Systemen, ungünstige Einwirkungen der Umgebung so abzufangen, dass ihr inneres Gleichgewicht nicht geschädigt wird. Dieses innere Milieu ist letztlich verantwortlich dafür, wie angenehm oder unangenehm das Überleben sich gestaltet und wie möglich es darin ist: nicht nur in Staat, Ehe oder Job, sondern in der Natur insgesamt, in erster Linie für ihre Lebewesen, von den primitivsten Organismen bis zu den komplexesten, welche wir Menschen darstellen – angesichts unseres großen, gefurchten, gelegentlich genutzten Gehirns.

Wenn wir die Natur beobachten und daraus lernen, durchschauen wir die Dynamiken von Prozessen in natürlichen Systemen. Wenn wir Experimente durchführen, versuchen wir beispielsweise, ein System von den Faktoren der Umgebung zu isolieren. Entsprechend systematisieren wir das aus der Erfahrung gewonnene Wissen, das wir dann über die Welt haben, und gliedern es in Wissenschaften und Disziplinen. Um der kommenden Klimakrise gewappnet zu begegnen, werden wir die Hilfe und Kooperation aller wissenschaftlichen Forschungsfelder auch bitter brauchen, doch sie allein werden nicht reichen. Auch die Massen brauchen Bewusstsein.

Als literarischer Utopist, der an den Primat der Intelligenz und prinzipiell die Macht der Wahrheit glaubt, gebe ich die Hoffnung indes nie auf, dass es sich irgendwann herumspricht: Die Abhängigkeit des Menschen von der Umwelt ist schier eine Tatsache, auch wenn die Umwelt nun eine nur unterworfene Natur ist und kein Haus des Lebens. Interessanterweise bedeutet das altgriechische Wort „oikos“, das im Begriff „Ökologie“ steckt, Hausgemeinschaft, Hof, Heim. Wir freilich fühlen uns in der Natur und auch in unserer gesellschaftlichen, zweiten Natur nicht eingebettet, sondern von ihr vielmehr getrennt. Dieser Umstand ist teils Erziehungssache, teils der ungebremsten Ausweitung des künstlichen Umfelds, allgegenwärtiger Nicht-Natur, geschuldet.

So thronen wir auf dieser 6.000 Trillionen Tonnen schweren und 4,56 Milliarden Jahre alten Erde innerhalb einer bedrohten Biosphäre, wo Leben sich in den buntesten Formen erhält, in einer Blase sozusagen, einem geschlossenen System mit weiteren, wechselwirkenden Subsystemen. Auf allen Ebenen des Lebens vermeine ich darum eine Dialektik von System und Umfeld vorzufinden, einen Tanz der Natur am gespannten Tau des Abgrunds entlang, den Kampf gegen Entropie und Tod neben der Anpassung zum Überleben und Gedeihen. Und wir tanzen mit.

Mein Onkel, wenn er einen guten Tag hat, meint manchmal, er sei in eine Welt geboren, die weder die humanste noch die intelligenteste wäre, aber immerhin in einer Zeit, da er die Möglichkeit gehabt hätte zu erleben, wie Blumen duften und ein blauer Himmel aussieht, was saubere Luft ist, trinkbares Wasser und eine sichere, warme Mahlzeit. Würde er zur letzten Generation gehören, die Gleiches behaupten könnte? Die Natur wird vielfach für eine Endlosressource und obendrein für eine Mülldeponie gehalten! Obwohl ich weiß, dass es einstmals vielleicht üblich gewesen ist, muss ich zugeben, dass nicht nur meinem Onkel, sondern auch mir trinkende Pferde am Fluss als romaneskes Bild heute schwer vorstellbar erscheinen – ich würde in den meisten Gewässern, dreckig, schaumig, industriell verschmutzt, wie sie sind, nicht einmal meine Socken waschen.

Eine Gegenüberstellung von Mensch und Umwelt lehne ich ab. Jakob Uexküll, der Wortschöpfer des Umweltbegriffs, hat 1909 das Ökologieverständnis auf den Menschen erweitert und damit einen Referenzbezug auf das Individuum und handelnde Subjekt geschaffen: Umwelt sei ihm zufolge zu unterscheiden von der Umgebung eines Organismus, denn die Umgebung nehme Lebewesen als Objekte auf, während die Umwelt von ihnen gestaltet werde. Kurz, das Leben soll und darf nicht isoliert betrachtet werden! Wenn wir uns gedanklich und handelnd aus der Naturgeschichte ausgliedern und Weltgeschichte als abgetrennt davon deuten, verkennen wir, über kurz oder lang, die Notwendigkeit zur Anpassung im Prozess permanenter Veränderungen. Das Milieu ist, wo alles stattfindet, jene Umgebung eines Lebewesens, welche auf es selbst einwirkt und seine Lebensumstände beeinflusst. Dies gilt, genau genommen, auch auf unsere Gattung im Umgang mit natürlichem und künstlichem Lebensraum.

In Bezug auf die Umwelt ist das Schlagwort des global village wohl wahrer als sonstwo; das Ökosystem kennt schließlich keine Landesgrenzen, und der Planet ist ein einziger und dieser allein. Unser Beitrag zu seiner Zerstörung ist zudem evident. Wenn wir demnach von den Umständen gebildet werden, die auf uns zurückwirken – und in ökologischer Hinsicht ist das für Milliarden von uns Menschen entscheidend –, dann müssen wir menschliche Umstände bilden, die die Natur und den Lebensraum und die Lebensgrundlagen der Menschheit schonen. Praktisch zu denken und gezielt zu handeln täte not, denn das Schlimmste wäre doch, für diese globale Situation keine Strategie zu entwickeln … Ich schreibe es, wenn nötig, gerne auf jede Wand und Mauer.

Das Leben in all seinen Erscheinungen und Formen und in seiner ganzen genialen Vielfalt ist bislang ausschließlich auf dem Planeten Erde zu finden. Darauf als Gegenstand, und auf nichts Anderes, konzentriert sich die Ökologie. Als Wissenschaft untersucht sie die Parameter des dynamischen Gleichgewichts alles Lebendigen im Austausch von Materie und Energie sowie das Auftreten von Phänomenen: einmal, mehrmals, zyklisch. Prozesse, deren Gesetzmäßigkeiten und Abweichungen inklusive, werden in einzelnen Disziplinen erforscht und sind aus ökologischer Sicht von größter Bedeutung. Mehr noch, da alle Ökosysteme dynamische Eigenschaften aufweisen, ist die elementare Form ihres Bestehens in einem operativen System die ständige Wiederholung eines Zyklus. Das macht, genau genommen, das dynamische Gleichgewicht aus, auf das wir als Laien vermehrt achten sollten.

Leben auf der Erde, möchte ich ergänzend noch erwähnen, erhält sich vorrangig auf Basis primärer Prozesse, aufgrund von: Photosynthese, Eutrophie, Dissimilation und Reproduktion. Die Photosynthese produziert mithilfe von Sonnenenergie, Kohlensäure, Wasser und Mineralien organische Materie und bildet somit den Anfang der Nahrungskette, sodass sie zur Steigerung der gesamten organischen Produktion beiträgt, nicht zuletzt durch das Nebenprodukt Sauerstoff, zuerst bei Blaualgen, dann bei Pflanzen. Die Eutrophie als regelmäßige Versorgung mit Nährstoffen bei Energiezufuhr macht sich diesen Umstand zunutze. Die Dissimilation als Verbrauch von Körpersubstanz besteht darin, dass komplizierte Stoffe abgebaut und in einfache umgewandelt werden – ohne dem wäre es unmöglich, Energie aus dem Abbau organischer Nahrung zu ziehen. Die Reproduktion als zuerst diploide, dann zweigeschlechtliche Vermehrung ermöglicht durch Rekombination der Gene eine Höherentwicklung von Organismen und deren gesteigerte Anpassungsfähigkeit.

Alles in allem, und ich versuche mich schlicht und kurz zu halten: Wenn die primären Prozesse gestört werden, geschieht Gefährdung – was Gegenmaßnahmen verlangt, versteht sich. Übersäuern die Meere infolge fossiler Brennstoffnutzung und der Massentierhaltung durch Ausschüttung von CO2 und Methan, reißt ein Glied in der globalen Nahrungskette, und die Welt geht wörtlich unter. Verschwinden die Lebensräume für Tierarten infolge fortschreitender Urbanisierung und industrieller, chemisch-monokultureller Landwirtschaft, führt die schwindende Biodiversität zu Problemen in der Pflanzenbestäubung und mittelbar in der menschlichen Nahrungsversorgung ebenso. Verschmutzen die Böden, das Grundwasser und die Biotope bis zu ihrem Zusammenbruch, wird die Nährstoffaufnahme für die irdische Biomasse überhaupt problematisch.

Die rücksichtslose Einwirkung auf Ökosysteme abseits wissenschaftlicher Kriterien – beispielsweise aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen oder Ähnlichem – führt dauernd zu ihrer Degradierung, zu ungewollten Veränderungen, gewichtigen Nebenfolgen, Langzeitschäden oder Zerstörung. Die Warenwirtschaft, soviel steht jedenfalls fest, verhält sich ihren Imperativen und Resultaten nach nicht nachhaltig. Man muss kein Spezialist sein, um zu begreifen, was Ernst Haeckel 1866 mit seiner ersten Definition der Ökologie geliefert hat, nämlich, dass Leben nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist – und dass die Verhältnisse der Organismen zur Natur samt ihren existenziellen Voraussetzungen mitbedacht werden müssen. Eines wird wohl nicht nur mir klar sein: Eine gesamtgesellschaftlich strategischere Haltung wäre hierbei vonnöten. Was tun? Gute Frage! Ich komme darauf zurück …

 

Kommentar von Gernot Waldner

Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass sich der Author@Musil mit dem heutigen Text in ein neues Gebiet gewagt hat. Der Titel des Textes „Was tun? Gute Frage!“ zerfällt in zwei Teile, die den Aufbau des Textes antizipieren und auch deutlich machen, wie sich der Autor seinem neuen Gebiet nähert. Der erste Teil des Titels spielt auf Lenins Hauptwerk von 1902 an, in dem, kurz gesagt, diskutiert wird, ob man eine gesellschaftliche Situation selbst verstehen kann, da man ja in dieser Situation steckt, oder ob einem das Wissen vermittelt werden muss, da es nicht spontan entsteht. Lenin hatte ein Position in dieser Frage, ob seine institutionellen Konsequenzen (Zentralkomitee , etc.) dieser Antwort gerecht wurden, ist ein anderes Thema. Der Author@Musil fragt sich, ausgehende von einem „Freund“ (Kautsky?) ähnliches, kündigt aber bereits im Titel mit einem Ausrufezeichen an, das hier noch einige Dinge zu klären sein werden, bevor es neue Stellenausschreibungen (Naturagitator, Homöostasevorsitzender, etc.) in Kärntner Tageszeitungen zu lesen geben wird.

 

Mir selbst ist die globale Situation, in der wir uns befinden, nicht klar, womit ihre katastrophalen Folgen nicht bezweifelt werden sollen, über letztere herrscht breiter wissenschaftlicher Konsens. Ausgehend vom Text hab ich mir zwei Fragen gestellt:

1) Muss man die Grundlagen verstehen, um die Folgen beachten zu können? Mir scheint zum Beispiel, dass ich eine Rede analysieren kann, ohne Experte für den menschlichen Artikulationsapparat zu sein. Ist das mit den „primäre[n] Prozesse[n]“ der Ökologie anders? Stichwort Emergenz. Oder wäre die primären Prozesse zu ignorieren schon eine Art von ökologischem „Populismus“?

2) Bei einer unserer letzten Gespräche ging es darum, dass es kaum noch gut erhaltene Naturlandschaften in Österreich gibt. Dennoch gab es z.B. in Kärntner Fichtenwäldern eine Art Gleichgewicht, in dem bewaffnete Jäger (trotz aller sozialen Gefahr) die Rolle von Wölfen übernahmen und Wildtiere töteten, was man ökologisch interpretieren kann: Jungbäume wurden gerettet. Kann man in bestimmten Fällen daraus schließen, dass Menschen erst ein Teil eines ökologischen Gleichgewichts erkannt werden, wenn letzteres beschädigt ist? Und heißt das nicht auch, dass es für ein Ökosystem unterschiedliche Formen von Gleichgewicht gibt? Warum klingt das Reden über „Natur“ selten so, als würde es mehrere Formen von Gleichgewicht geben?

 


FOR FOREST -Serie in Kooperation mit dem Musil-Institut, Teil 4

Harald Schwinger: Das Melonenfeld – Lesung

Literatur in Corona-Zeiten
Harald Schwinger: „Das Melonenfeld“

 

Text und Textauswahl: Harald Schwinger
Stimme: Heinrich Baumgartner
Filmbearbeitung: Siegfried Ortner
Sounds: Hörspielbox

 

Der Roman „Das Melonenfeld“ ist im März 2020 als fünfzehnter Band der EDITION MEERAUGE im Verlag Heyn erschienen.
Die für 02.04.2020 geplante Buchpräsentation im Robert-Musil-Institut musste aufgrund der Corona-Maßnahmen für Veranstaltungen abgesagt werden.

 

 

Ketil ist als Gerichtsvollzieher zuständig für Delogierungen in Manhattan, einem Hochhauskomplex, wo sich die Armut festgebissen hat. Mit dem Job kommt er bestens zurecht, sollte er Mitgefühl für seine Klienten empfinden, kann er das gut verbergen.
Sorgen bereitet ihm vielmehr die eigene Familie: Ehefrau Margot scheint depressiv, zunehmend verwirrt und davon überzeugt, dass in Tochter Metti das Böse schlummert. Tatsächlich ist die 16-Jährige rebellisch und abweisend – aber gefährlich?
Um die Dinge wieder ins Reine zu bringen, unternimmt Ketil mit ihr eine Reise, ausgerechnet auf die Insel, auf der er als junger Soldat im Friedenseinsatz stationiert war.

Harald Schwinger: Das Melonenfeld (Roman)

Edition MEERAUGE
Verlag Heyn, Februar 2020
139 Seiten
ISBN: 978-3-7084-0630-5

 


Buchbesprechung in der KLEINEN ZEITUNG von Marianne Fischer
04. April 2020

Von Macht, Machtmissbrauch und verdrängten Erinnerungen

Harald Schwinger erzählt von einem Gerichtsvollzieher, dem die Familie entgleitet. Packend und bitterböse.

 

„Ein Frosch springt nur an eine bestimmte Stelle, wenn die Chance besteht, dort auch eine Fliege zu fangen. Unser Leben liegt also in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit.“ Das hat ihr Ketil erklärt. Aber was tun, wenn verdrängte Erinnerungen wieder an die Oberfläche kommen? Wenn nichts zurückbleibt außer „verbrannter Erde, Asche, Schmerz und Erinnerung“?
Margot glaubt als Archäologin, dass das Jetzt sich aus der Vergangenheit erklärt. Aber nichts fürchtet ihr Mann Ketil mehr als diese Ausgrabungen, hat er doch ein schreckliches Geheimnis zu verbergen.

Harald Schwinger erzählt in seinem neuen Roman „Das Melonenfeld“ von Macht und Machtmissbrauch, von Verwundung und Verdrängung. Ketil ist als Gerichtsvollzieher zuständig für Delogierungen in Manhattan, einem Wohnblock, in dem vor allem sozial Schwächere wohnen. Seine Macht nutzt er gerne für seine eigenen Zwecke: „Manhattan gehört mir, die Menschen, die hier wohnen, gehören mir.“ Nur seine Familie hat er nicht unter Kontrolle: Nicht nur seine Frau Margot macht ihm zunehmend Sorgen, weil sie glaubt, dass in der 16-jährigen Tochter das Böse schlummert. Auch Metti selbst ist rebellisch und schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Deshalb beschließt Ketil, mit seiner Tochetr nach Zypern zu reisen, wo er einst als junger Soldat im Rahmen einer Friedensmission stationiert war und ein traumatisches Erlebnis hatte. Doch beim Versuch, mithilfe der Wahrheit die Dinge wieder ins Lot zu bringen, entgleitet sie ihm immer mehr.

Schon im Roman „Die Farbe des Schmerzes“ beschäftigte sich der Villacher Autor, der auch für die Kleine Zeitung schreibt, mit den Folgen von Verdrängen, Totschweigen und der Frage: Wann werden aus Opfern Täter? Manchmal werden die Sünden über Generationen hinweg weitervererbt – in diesem Fall packend und schonungslos erzählt bis zur bitterbösen Abrechnung.

 


Harald Schwinger, geboren 1964, Studium der Anglistik, Amerikanistik und Medienkommunikation, lebt als freischaffender Journalist und Autor von Prosa, Lyrik und dramatischen Texten in Wernberg bei Villach/Österreich. Für seine literarische Arbeit erhielt Harald Schwinger zahlreiche Anerkennungen, darunter der Literaturpreis des Club Carinthia (2000), der Förderpreis des Carl-Mayer-Drehbuchwettbewerbs der Diagonale/Stadt Graz (2004, gemeinsam mit Simone Schönett), der Preis des Kärntner Schriftstellerverbandes (2012), der zweite Platz beim Kärntner Lyrikwettbewerb der STW Klagenfurt Gruppe (2014), der Kärntner Jugendbuchpreis (2018) sowie verschiedene Stipendien.

Harald Schwinger ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und Mitbegründer des Kunstkollektivs WORT-WERK (www.wort-werk.at), das u. a. die „Nacht der schlechten Texte“, ein Wettbewerb für experimentelle Formen von Literatur, veranstaltet.
Veröffentlichungen (u.a.): „Das dritte Moor“ (2006), „Zuggeflüster“ (Erzählungen, 2011), „Zala. Drama in sieben Bildern / Drama v sedmih slikah“ (gemeinsam mit Simone Schönett, 2011), „Die Farbe des Schmerzes“ (2013), „Mirós Mädchen“ (Erzählungen, 2016), „Held“ (Jugendroman, 2018).

 

FOTO Harald Schwinger: Siegfried Ortner