Mladen Savić: Öl, Sandstrand und Monsun
Der Klagenfurter Himmel, grau in Grau, wölbt sich über die durchnässte Stadt, wo eine rote Bürgermeisterin slowenischen Nachnamens, ein bisschen braun oder bloß blöd, in der Zeitung die Zweisprachigkeit negiert, und gießt seine Endlostränen auf die Gehsteige und Dächer. Der europäische Monsun, an sich eine Neuigkeit und darin einzigartig, von welcher zu berichten, im Gegensatz zu politischen Fieberattacken in Amtes Würden, leider niemand Lust, Interesse oder Mumm hat, ist zurück mit aller Wucht – „zurück“, sage ich nur, weil der unaufhörliche, tagelang trotzig anhaltende Regen sich niemals verabschiedet hat oder Anstalten gemacht, sich völlig zu verziehen. Lange, filigrane Fäden kühler Nässe ziehen sich von der Wolkendecke bis zum Boden und sehen dabei aus, als wären sie ein Sichtvorhang, hinter dem nostalgisch die Sonne scheint. Der grandiose und berühmt-berüchtigte Kärntner Sommer ist, wie ich mittlerweile meine, eher frisch und nichts als ein Gerücht, nämlich eines zum Anlocken großer Heimatfreunde und betuchter Touristen. Der identitär empfundene Urlaub in der Heimat, unter rechter Regierungsführung in Corona-Zeiten einmal mehr in Mode, lässt sich derweil mit dem Snobismus der Luxuskarossenbesitzer, die da den See entlang zu ihren Herrenhäusern und Champagnerpartys düsen, durchaus verbinden. Ökologisch ist das Ganze sowieso die Ankündigung eines zivilisatorischen Desasters, auf das sprichwörtlich die Sintflut folgt. Es macht keinen Spaß, dieses pseudo-sommerliche Sauwetter zu ertragen und im eigenen Wohnraum im inneren Exil auszuharren, anstatt mit Freunden samt Karten, Weintrauben und Gitarre am Strand zu lümmeln und baden zu gehen. Als sich mir die Möglichkeit geboten hat, in den Wörthersee zu hüpfen, habe ich die Gelegenheit dazu zwar oft verpuffen lassen, doch das ändert meine Meinung nicht.
Wie das Leben so spielt … Willkommen in der Wirklichkeit! Der unerfreulichen Nachrichten gibt es eigentlich viele, auch wenn diese nicht die einzigen sind und auch nicht sein können. Ich möchte ein einfaches Beispiel geben. Der hiesige, wilde Garten, ein natürliches Biotop und mein seelisches Refugium unmittelbar vor dem Haus, von dem ich schon ausgiebig erzählt habe, wird demnächst einem Wohngebäude – Ausgabe: Neubau – weichen, heißt es im Umfeld der For-Forest-Villa, unter Umständen, aber es ist nichts Näheres bekannt. Vor ein paar Wochen sind Geschäftsleute hier angeblich aufgetaucht zur Baugrundbesichtigung. Mit anderen Worten, anstehende Eigentümererwägungen und wirtschaftliche Entscheidungen in Bezug auf die Immobilie werden die Sentimentalität meiner Gartenliebe beispielsweise nicht unbedingt beachten und das Grundstück beizeiten anderweitig nutzen wollen. Es ist auch nichts Persönliches. Wo es um Kosten und um Nutzen, um Auflagen und um Gewinne geht, dort geht es, kurzum, ums Geschäft. Überdies kann ein Eigentümer über sein Eigentum nach Gutdünken verfügen. Wir leben eben in so einer Welt. Ich habe die Zwischentöne der Gerüchteküche unzweideutig vernommen und bin wie benommen von der Stoßrichtung dessen, was als gesellschaftlicher Normalbetrieb gilt. Und was wird aus der Villa selbst? Sie stellt doch ein historisches Gebäude dar! Am Gartenrand steht übrigens, von Gebüschen überwuchert und vom Regen und den Jahren ausgewaschen, eine alte Grabanlage aus Stein, die dem Vergessen anheimgefallen ist. Wann wird sie umgeackert werden?! Am liebsten würde ich irgendwohin flüchten, denke ich mir in solchen Augenblicken, die mich beelenden, da sie mir meine Hilflosigkeit vorführen.
Erst letztens habe ich am Papier vom Wert antiautoritärer Hortikultur geschwärmt, habe von seltener Stadtoase und Lebensraum für mehr Biodiversität gesprochen und mich wie ein Kind darüber gefreut, dass entsprechende Orte tatsächlich existieren, bitte sehr, vor meiner Nase, nur einen Schritt aus der Tür hinaus. In wenigen Tagen läuft mein ohnehin schon verlängerter Mietvertrag neuerlich aus. Danach muss ich nach Wien zurück, zum von Kreisky geschaffenen Wienerbergsee, nach Favoriten, in den Arbeiterbezirk der mangelnden Manieren, grotesken Patrioten und billigsten Kebabs. Gelangweilt blicke ich aus dem Fenster. Es schüttet immer noch. Was mich tröstet, ist immerhin, dass mich am Abend meine süße Italienerin besuchen kommt, deren verführerische Augen eigenartig an Ornella Muti erinnern. Ich nenne sie Honigstück. An ihren Lippen und Küssen, an ihrer Stimme, ihrem Schoß und Busen werde ich mich heute laben. Auch dies ist Naturgewalt! Das Wetter kann mir dann ebenso gestohlen bleiben wie die Eigentumsverhältnisse. Dennoch würde ich manchmal gerne meine sieben Sachen packen und ab und davon ins tropische Paradies, das vom Tourismus heimgesucht wird – warum nicht auch von Leuten wie mir, urbanen Subjekten, die vorübergehend ihrer industriellen Zivilisation entfliehen möchten: weg, nur weg, solange man keine Insulinspritzen, keine Asthmapumpe oder Blinddarmoperation benötigt, und ab zum Sandstrand unter Palmen! Das junge Ding, das mir ungewollt ans Herz gewachsen ist, sollte mich begleiten. Wir könnten dort Liebe machen und gemeinsam Sterne schauen, spielen, tanzen. Ein mögliches Reiseziel: Mauritius. Noch nie bin ich in den Tropen gewesen. Hotelzimmer stehen hingegen nicht sehr weit oben auf meiner Lebensliste. Vielmehr liebe ich verrauchte Räume und verwickelte Gespräche bis tief in die Nacht.
Genervt schlage ich die Zeitung auf, um mich von der Gedankenflut, die schließlich auch eine Ebbe sein könnte, abzulenken. Das Ungemach der Welt, die scheinbar in Problemen zu versinken droht, dient wahrscheinlich vielen zur Zerstreuung – und nicht nur mir. Auf eine andere Art und Weise gibt es mir gleichzeitig einen Ruck, mich zu sammeln und den Fokus zu finden. Plötzlich ordne ich meine mickrige Existenz wieder in eine mächtige Außenwelt ein und erfasse fast instinktiv, in welchem Zusammenhang und Verhältnis zu ihr ich ungefähr stehe. Nachrichten lese ich, ehrlich gesagt, nach einem Monat nun zum ersten Mal. Und was entdecke ich zu meinem Erstaunen? Mauritius, seine kristallblauen Lagunen und Korallenriffe sind eingewickelt in einen Erdölteppich aufgrund eines Tankerunfalls von Mitsui O.S.K. Lines Ltd., einer japanischen Firma, deren Schiff freilich, denn so funktioniert Ausflaggung, unter panamischer Flagge fährt. Tausend Tonnen Rohöl sind ausgeströmt, der Tanker selbst ist auseinandergebrochen. Die Bucht zu säubern, wird noch Monate und sogar Jahre dauern. Das Unglück wird die Korallen, Fische und Krebse sterben lassen und nicht nur ökologisch, sondern auch touristisch und folglich sozial fatale Folgen haben. Die Firmenleitung von Mitsui O.S.K. Lines Ltd. gibt, um die internationalen Investoren zu beruhigen, sogleich bekannt, dass der bedauerliche Vorfall in Mauritius selbstverständlich keinerlei Einbußen bei den Einnahmen mit sich bringen würde. Na, umso besser! Aus Unternehmersicht ist diesmal ja alles noch gutgegangen. Die Börse atmet auf. Die Kohle fließt. Es ist sozusagen nichts Schlimmes passiert, oder? Meinen persönlichen Sündenfall, mit Cocktail und Schirmchen an der Hotelbar selber zum spießigen Touristen zu werden, kann ich mir als Träumerei und Plan also abschminken. Davon abgesehen, stimmen solche Nachrichten mich unversöhnlich. Diese neue Normalität wird von Welthandel, Kapitalfluss und Aktiendividenden bestimmt. Damit will ich mich, solange ich mein Gehirn noch gebrauche, innerlich nicht abfinden. Punkt.
Drei Gedanken von Gernot Waldner
1) Die Gerüchte stimmen nicht ganz. Es soll nicht der Garten der Villa For Forest zum Baugrund werden, sondern auf dem Stück, auf dem jetzt das Kutscherhaus steht, etwas gebaut werden. Ich hatte das auch anders verstanden, vielleicht gab es das Gerücht ja wirklich in dieser Form, oder es ist ein Anlass, das eigene Schwarzmalen mit dem Medienkonsum in Verbindung zu bringen: slightly better news is no news.
2) Am Beginn der Kommentare zu Deinen Texte hatte ich geschrieben, romantische Motive in Deinen Texten zu erkennen. Inzwischen scheinen mir diese Motive besser umschrieben zu sein mit der Dialektik von Möglichkeit und Verzicht, vom Sprung in den Wörthersee bis zum Urlaub auf einer Insel. Würdest Du sagen, dass diese Dialektik Dein Schreiben prägt?
3) Die Situation in Mauritius ist wirklich dramatisch, eine der Hilfsaktionen aber bemerkenswert. Weltweit haben sich FriseurInnen zusammengetan, um die Haare, die in ihrem täglichen Geschäft, abfallen, nach Mauritius zu schicken. Grund dafür ist der ökologischste Gedanke, den ich mit dem österreichischen Bundeskanzler in Verbindung bringen kann: Haare binden Öl. So kümmerlich liebenswert diese Geste erscheinen mag – sollte nicht ein Rasierer über sämtliche Köpfe fahren? – Haare sind anscheinend das effizienteste Mittel gegen diese Umweltkatastrophe etwas zu machen. Vielleicht lernt auch die Stadt Wien etwas daraus: ohne Gscherte sähe das Meer anders aus. Welcome back.
FOR FOREST – Serie in Kooperation mit dem Musil-Institut, Teil 9