Aus den chinesischen Erfahrungen lernen

Xiang Zhao forscht zu Gesundheitspsychologie an der Universität Klagenfurt. Wir haben mit ihm über den Umgang Chinas mit COVID-19 gesprochen. Zhao empfiehlt unter anderem genauere Anweisungen an die Bevölkerung.

Das Interview wurde am 11. März 2020 schriftlich geführt und am 12. März 2020 veröffentlicht. Es steht auch in englischer Sprache zur Verfügung.

Herr Zhao, wie geht es Ihnen in diesen Tagen?

Ziemlich gut. Ich habe die Auswirkungen von COVID-19 vor einiger Zeit erlebt, als ich Ende Dezember 2019 nach China geflogen bin. Obwohl meine Heimatstadt weit von Wuhan entfernt ist, stand das gesamte Land unter Kontrolle, um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern. Restaurants und Einkaufszentren waren Großteils geschlossen oder schlossen früh am Nachmittag. Jedes Mal, wenn jemand öffentliche Gebäude betrat, wurde die Körpertemperatur von Sicherheitspersonal gemessen. Ich schätze, dass die meisten dieser Maßnahmen noch immer in China zum Einsatz kommen. Verglichen mit diesen aggressiven Zugängen, sehe ich in Klagenfurt bisher noch keine dramatischen Veränderungen. Es wird einige Zeit dauern, bis wir Sitzungen und Lehrveranstaltungen bzw. das schulische Lernen in Online-Formate übertragen haben werden, aber ich sehe da kein großes Problem. Geschäfte und Lokale bieten ihre Services normal an. Generell würde ich sagen: Die meisten Dinge laufen wie immer.

Wie schätzen Sie die Lage generell in Österreich ein?

Ich forsche seit über zehn Jahren in den Bereichen der Gesundheitserziehung und Gesundheitskommunikation. Es ist mir ein großes Anliegen, den Menschen dabei zu helfen, ein gesundes Leben zu führen und zu genießen. Deshalb ist es wichtig, Erfahrungen aus China mit COVID-19 auch hier zu teilen. Aktuell kommt es zu einer deutlich sichtbaren Verringerung von COVID-19-Fällen in China. Expert*innen der WHO haben China für seine gewissenhafte Bekämpfung des Virus gelobt. Ich denke, es gäbe viel für Österreich daraus zu lernen. Neben der medizinischen Behandlung ist es auch sehr wichtig darüber nachzudenken, wie die Menschen dazu ermutigt werden können, positiv und konstruktiv auf die kommenden Herausforderungen zuzugehen. Seit dem Ausbruch von COVID-19 sprechen mich viele Menschen auf die aktuelle Situation an. Ich denke, dass Gespräche wie diese wichtig sind, um mehr konstruktiven internationalen und interdisziplinären Austausch zu forcieren.

Sie arbeiten als Wissenschaftler im Bereich der Gesundheitspsychologie. Wie bewerten Sie die globale Situation aus Ihrer wissenschaftlichen Perspektive?

Ich habe mit vielen internationalen Kolleg*innen zusammengearbeitet und denke, dass die Gesundheitspsychologie durch die Forcierung einer Veränderung von Glaubenssätzen und Handlungen dazu beitragen könnte, Krankheiten wie diese zu verstehen und deren Ausbreitung zu verhindern. Im Angesicht der globalen Epidemie können Gesundheitspsycholog*innen und andere Gesundheitsforscher*innen viel für die Öffentlichkeit tun. Man kann zwar durch die verschiedenen Entwicklungen kein einheitliches globales Bild definieren, aber trotzdem gibt es Skills in der Gesundheitserziehung, die für alle Gesellschaften wichtig wären. Die Interventionen in China lassen sich in „Hardware“- und „Software“-Bereiche einteilen. Die Hardware beinhaltet die laborbasierten Untersuchungen, die tägliche intensive Arbeit von Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen und die Koordinationsarbeit der Regierung. Dieser Anteil wird von den Medien regelmäßig beschrieben. Was bisher wenig Erwähnung fand, ist der „Software“-Teil, also die Gesundheitskommunikation mit den meisten Menschen, die nicht infiziert sind oder waren. China hat gut mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Zum Beispiel lese ich hier in Klagenfurt häufig, dass man „regelmäßig seine Hände waschen solle“. Für mich macht diese Information wenig Sinn. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die Hände zu waschen? Wie lange soll ich meine Hände waschen? Wenn Sie die chinesischen Anweisungen damit vergleichen, würden Sie sich über deren Detailliertheit wundern. Ich will aber nicht die Gesundheitskommunikation hier kritisieren, sondern betonen, dass auch in China zu Beginn die Anweisungen unklarer waren. Glücklicherweise haben wir aus einer Milliarde Leser*innen solcher Anweisungen gelernt. Ich muss auch sagen, dass Gesundheitskommunikation eine systematische Arbeit ist, in der traditionelle Medien wie Fernsehen und Zeitungen und Soziale Medien gleichermaßen eine Schlüsselrolle dabei spielen, die Menschen umfassend zu informieren. Ich schätze die Arbeit dieser Gesundheitsforscher*innen sehr, die – auch ihre Ferien opfernd – sich in den Dienst der Gesundheitserziehung gestellt haben und stellen. So erinnere ich mich beispielsweise an ein Gerücht, das Anfang Februar die Runde machte. Einige Raucher*innen sagten, dass Tabakrauch präventiv für COVID-19 wirkt. Schnell haben einige Forscher*innen evidenzbasiert darauf reagiert und ihre Informationen – mit schönen Illustrationen – über WeChat (weitverbreitete Social-Media-App in China) geteilt. Das Rauchen von Zigaretten ist auch in Österreich ein ernstes Gesundheitsproblem, und es ist dringend nötig, Raucher*innen über das hohe Risiko zu informieren. Raucher*innen, die sich mit COVID-19 infizieren, weisen einen schlechteren Lungenzustand auf als Nichtraucher*innen.

Das Coronavirus brach in China vor ein paar Wochen aus, nun scheint es, dass es sich in Österreich zunehmend ausbreitet. Reagieren wir schnell genug auf die jüngsten Entwicklungen?

Ich verstehe, dass es schwierig ist, mit den Fragen der öffentlichen Gesundheit umzugehen. Die Regierung muss nicht nur mit klinischen und epidemiologischen Fragen umgehen, sondern auch Risikomanagement betreiben. Die aktuelle Situation ist ein realer Test der Gesamtkompetenz der Regierung. In China gab es, verursacht durch verschiedene Gründe, eine Verzögerung. Der Hauptgrund dafür war, dass das Virus völlig neu war. Niemand weiß, wie man dem Virus begegnen soll, nicht mal, wenn man der Präsident wäre. Es ist, als ob ein Räuber dein Haus betritt, während du schläfst. Auch für diesen Fall sind die meisten Menschen nicht vorbereitet. Die WHO hat erst jüngst den Ausbruch von COVID-19 zur Pandemie erklärt. Die österreichische Regierung setzt nun zeitnah Maßnahmen. Ich denke, dass wir gut in der Zeit sind, uns dem Virus kämpferisch entgegenzustellen.

Welche psychologischen Faktoren spielen aktuell eine Rolle, wenn es darum geht, die Restriktionen zu befolgen?

Meiner persönlichen Erfahrung nach hängt viel von der Risikowahrnehmung ab. Viele Menschen in Klagenfurt sehen COVID-19 noch als normale Grippe, wie mir Gespräche zeigen. Die meisten Menschen haben auch noch den Eindruck, dass es wahrscheinlicher ist, dass ältere Menschen mit COVID-19 infiziert werden. Diese Glaubenssätze zeigen ein paar Ungenauigkeiten auf. Die Risikowahrnehmung kann durch genaue Informationen verändert werden. Zum Beispiel ist es nötig, dass Gesundheitskommunikator*innen medizinische Informationen wie den „COVID-19 Diagnosis and Treatment Plan“ für die Öffentlichkeit übersetzen, sie über die Übertragungswege von COVID-19 informieren und über Präventionsmaßnahmen aufklären. Beispielsweise leitet die 7. Version dieses Dokuments vom Wissen zur Tröpfcheninfektion ab, dass das Reinigungspersonal stärkere Schutzmaßnahmen braucht, wenn es Toiletten reinigt. Solche speziellen Punkte helfen den Menschen dabei, genau auf sich aufzupassen. Schlecht wäre es, wenn die Menschen panisch wären, ohne zu wissen, was sie für sich tun können. Mit stärkeren öffentlichen Maßnahmen werden die Menschen die Lage auch ernster nehmen, denke ich.

Wie ergeht es den Menschen in der Quarantäne?

Wenn Quarantänemaßnahmen ausgerufen werden, und ich hoffe, das wird nicht für weite Teile der Bevölkerung nötig sein, entwickeln die Menschen oft Angst und ein Isolationsgefühl. Als ich in China war, wo öffentliche Verkehrsmittel und Geschäfte geschlossen waren, hatte ich viele Sorgen, obwohl ich dort ein gutes soziales Netz habe. In einem Fall weitreichender Quarantänemaßnahmen wäre es nötig, dass Universitäten schnell Online-Netzwerke aufbauen, um potenzielle psychische Probleme bei Menschen zu verhindern, die wenig soziale Unterstützung haben. Dies betrifft beispielsweise internationale Studierende. Brooks et al. haben zeitnah ein Review zu dem psychologischen Impact von Quarantäne veröffentlicht. Darin enthalten sind einige sinnvolle Empfehlungen für Entscheidungsträger. Es könnte hilfreich sein, dies zu lesen:

Brooks, S. K., Webster, R. K., Smith, L. E., Woodland, L., Wessely, S., Greenberg, N., & Rubin, G. J. The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence. The Lancet. doi:10.1016/S0140-6736(20)30460-8

Wie schnell gewöhnen sich Menschen an Ausnahmezustände wie diesen?

Das hängt wirklich von der Qualität der Gesundheitskommunikation ab. Mehr als vorherzusagen, wie schnell Menschen Ausnahmezustände akzeptieren, ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie die Kontrollmaßnahmen besser werden können. Ich denke, gesellschaftlicher Zusammenhalt und moralisches Handeln sind in schwierigen Zeiten sehr wertvoll. Konsistente und transparente Information soll von den verschiedenen politischen Organen angeboten werden. Mehr E-Learning und Cyber-Kommunikation zu ermöglichen ist wichtig, um die Übertragung des Virus zu verringern und den Menschen dabei zu helfen, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Für das Leben substanzielle Waren wie Nahrung sollen hinreichend zur Verfügung stehen, damit sich die Menschen sicher fühlen. Weil Klagenfurt ein Ort großer Internationalität ist, ist es wichtig, Informationen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung zu stellen. Sprachliche Missverständnisse und eine Epidemie können zusammen zu einem Riesenproblem für jeden werden! Ich kann die zukünftige Entwicklung von COVID-19 nicht vohersagen, aber lasst uns positiv bleiben und uns auf einen langwierigen Kampf vorbereiten. Lassen Sie mich schließlich mit einem Zitat des Vorsitzenden Mao enden: „In times of difficulty, we must not lose sight of our achievements, must see the bright future, and must pluck up our courage.“

Zur Person

Xiang Zhao ist Postdoc-Forschungsassistent am Institut für Psychologie der Universität Klagenfurt. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der Gesundheitserziehung und –promotion unter Berücksichtigung einer globalen Perspektive. Zhao will verstehen, wie wir mit großen Gesundheitsherausforderungen wie dem Rauchen umgehen können und will zur Entwicklung von Kommunikations- und Aufklärungsstrategien beitragen.

ORCID: https://orcid.org/0000-0003-1054-9462

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