Auf Wanderschaft durch literarische Klangwelten
Rebecca Unterberger arbeitet zur Klanglichkeit in der Literatur. Sie möchte wissen, was uns an literarischen Texten einnimmt. Ihr aktuelles Untersuchungsobjekt sind Texte von Gert Jonke.
„Die Literatur steht heute in einem Konkurrenzverhältnis zu den audiovisuellen Medien und zu Multimedia-Inhalten. Trotzdem funktioniert sie: Autorenlesungen, Hörbücher und Poetry Slams boomen. Das geschriebene, aber vor allem auch das gesprochene Wort kann sich behaupten“, so die Literaturwissenschaftlerin Rebecca Unterberger. Die Senior Scientist am Robert-Musil-Institut für Literaturforschung möchte wissen: „Wie spricht uns Literatur an?“ Dazu arbeitet sie derzeit mit Nachlassbeständen, zum Beispiel von Gert Jonke, und sichtet textgenetische Fassungen dahingehend, ob die Phänomene Rhythmus und Klang beim Überarbeiten von Einfluss auf den Autor waren. Für Jonke hält sie auch gleich ein Beispiel parat: „In der Erstfassung eines Textes steht an einer Stelle ‚sonnenklar und undurchschaulich‘. Jonke kommt dann nach einigen Überarbeitungen zu ‚sonnenklar undurchschaubar‘. Der nunmehr bestehende reine Reim verändert die Wirksamkeit des Textes: Er klingt eingängiger, wird aber zugleich komplexer, widerborstiger.“ Für Unterberger ergibt sich so etwas „Sinnliches im Text“, an dem nicht nur laienhafte Leserinnen und Leser, sondern auch Forscherinnen und Forscher hängen bleiben. So erklärt sich für sie, dass diese Stelle besonders oft zitiert wird.
Auf vielerlei Weise einnehmend ist auch die Art, wie Rebecca Unterberger über ihren Untersuchungsgegenstand Literatur spricht. Es sind gewählte Worte, bildhaft, mit harten Konsonanten und klaren Vokalen ausgesprochen, klangvoll, melodiös. Man hört ihr nicht an, dass sie hierzulande geboren und aufgewachsen ist. Dennoch wirkt sie authentisch und sehr selbstverständlich in ihrer Rolle. So erklärt sich auch die bescheidene Sicht auf das, was ihre Arbeit zu leisten vermag, denn: „Man stampft ja nichts aus dem Boden, sondern wir stehen ja gewissermaßen schon auf Bergen.“ Und den Ausblick auf die Arbeiten, die sich bereits mit dem Thema befassen, hat sie sich in den letzten Monaten, unter anderem im Rahmen eines Forschungsaufenthalts an der Bergischen Universität Wuppertal, hart erarbeitet.
„Momentan sieht mein Arbeitsalltag so aus, dass ich mich in der Früh in die Kühle des Archivs begebe und mich dann in die Texte von Gert Jonke vergrabe. Vor mir liegen Fassungen eines Texts, aus dem ich mir Passagen aussuche – ein sehr visueller Vorgang. Denn ins Auge springt das, was wiederholt überarbeitet wurde. Gert Jonke ist ein Schriftsteller, der stark auf den Klang und den Rhythmus als Stilmittel gesetzt hat.“ Im nächsten Schritt möchte sich Unterberger auch Autorinnen und Autoren zuwenden, die für sich eher reklamieren, stärker visuell zu arbeiten, d. h. die Leserin oder den Leser mittels Kopfkameras durch Geschichten zu führen. Für sie gibt es aber in beinahe allen Texten Akustisches zu entdecken: „Selbst wenn wir einen Vortrag fertigstellen, ringen wir darum, dass er gut klingt. Ich glaube, es ist ein Grundantrieb, Sprache eingängig zu gestalten. Und da ist der Sound wichtig.“
Wie Musik überhaupt für Rebecca Unterberger wichtig ist. Über die Beschäftigung mit Wechselwirkungen zwischen Jazz und Literatur ist sie in die wissenschaftliche Arbeit „hineingestolpert“. Das Phänomen Musik in der Literatur ist für sie vielgestaltig: Die Autorin oder der Autor kann die Geschichte mit Klang untermalen. Versuchen, Stimmungen lautmalerisch nachzubilden. Klanglandschaften entstehen lassen. „Texte erzeugen nicht nur Kopfkino-Bilder, sondern auch Klangräume. Manchmal verlangen sie uns sogar ab, uns Stille vorzustellen, was wahrscheinlich das Schwierigste ist.“ Und zudem ist Musik Träger von Kontexten aus der Kulturwissenschaft: Wenn ein Text Schubert aufruft, dann bringt er die musikalische Tradition aufs Tapet, wenn er Schönberg nennt, dann klingt dazu mitunter Widerborstiges an. „Musik in Literatur bietet uns ein interpretatorisches Surplus“, so Rebecca Unterberger.
Unterberger ist seit 2008 in verschiedenen literaturwissenschaftlichen Projekten an der Alpen-Adria-Universität tätig. Für ihre Dissertation „Zwischen den Kriegen, zwischen den Künsten: Ernst Krenek – ‚Beruf: Komponist und Schriftsteller.‘“ wurde sie mit dem Wendelin-Schmidt-Dengler-Preis der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik ausgezeichnet. Unterberger ist in der „labilen Post-Doc-Phase“, stürzt sich aber aktuell „gerne in die Forschung hinein“. Gefragt nach der Zukunft, führt sie aus: „Momentan ist der Idealismus noch vortönend. Er bekommt zwar einzelne Schrammen ab, aber eigentlich ist das Dranbleiben vorgesehen.“
für ad astra: Romy Müller
Auf ein paar Worte mit … Rebecca Unterberger
Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin geworden wären?
Vermutlich wäre ich in einem Bereich gelandet, der gleichfalls mit Sprache zu tun hat – Journalismus/Medien, Verlagswesen etc.
Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Ja. Und Nicht-Germanistinnen und -Germanisten verständlich zu machen, woran ich gerade arbeite, ist für mich eine Art Lackmustest dafür, wie schlüssig ein Vorhaben – für mich – bereits ist.
Was machen Sie im Büro morgens als erstes?
Für Frischluftzufuhr sorgen.
Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Es gelingt kaum, aber zunehmend besser.
Was bringt Sie in Rage?
Unwertschätzung.
Und was beruhigt Sie?
Musik.
Wer ist für Sie die/der größte WissenschaftlerIn der Geschichte und warum?
Mich hier festzulegen, erschiene mir – angesichts des Spektrums, über die Grenzen der Wissenschaften hinweg – als vermessen; zudem ist Personenkult nicht das Meine.
Wovor fürchten Sie sich?
Furcht, denn sie lähmt.
Worauf freuen Sie sich?
Auf das, was da noch kommt.