Anstrengend, schön, aber nicht genügend wertgeschätzt: Elementarpädagogik braucht bessere Arbeitsbedingungen

Bis zu 13.700 Fachkräfte könnten in der Elementarpädagogik bis 2030 fehlen. Der Fachkräftemangel wird vielerorts schon durch frühere Schließzeiten der Kindergärten sichtbar – mit großen gesellschaftlichen Folgewirkungen. Veronika Michitsch, Senior Scientist im Arbeitsbereich Transnationale Migrations- und Solidaritätsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, arbeitet gemeinsam mit namhaften Stakeholdern im Bildungsbereich daran, die Arbeitsbedingungen und Bleibefaktoren für das elementarpädagogische Fachpersonal zu verbessern.

Die Personalknappheit in den Kindergärten führt zu Engpässen in der Betreuung. Die Folgen werden auch medial breit diskutiert. Worin liegt das Problem? Belegen zu wenige Schüler:innen die Bildungsanstalten und Kollegs für Elementarpädagogik?

Wir haben vor allem in den fünfjährigen BAfEPs eine gute Auslastung. Viele junge Menschen interessieren sich für den Beruf und auch von den Eltern wird die Schulwahl oft unterstützt. Immerhin schließen die Schüler:innen nicht nur mit der Matura, sondern auch mit einer fertigen Berufsausbildung ab. Wir sehen aber, dass einige Schüler:innen aufgrund der Mehrfachbelastung die Ausbildungszeit als sehr fordernd erleben. Viele steigen dann gar nicht in den Beruf der Elementarpädagog:in ein oder arbeiten nur kurz in Einrichtungen der Frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE).

Warum ist das der Fall?

Die dann 19- bis 20-jährigen Elementarpädagog:innen steigen in ein herausforderndes Berufsfeld ein, das sie oft persönlich überfordert. Es gibt viele Faktoren, die den Berufseinstieg erschweren. Denken wir nur an die Vielzahl an schwierigen pädagogischen Situationen, die es zu bewältigen gilt, in einem Umfeld, das durch Personalknappheit gekennzeichnet ist. Ein Beispiel dafür sind die Eingewöhnungsphase und diverse Transitionsprozesse im Kindergartenalltag. Die Umsetzung der Dimensionen der pädagogischen Qualität hat in den letzten Jahren viel professionelle Aufmerksamkeit bekommen. Kinder werden nicht mehr einfach „abgegeben“, sondern werden schrittweise mit viel individueller Begleitung eingewöhnt. Dazu gilt es auch die Eltern in diesem Prozess zu begleiten. Das braucht wesentlich mehr Zeit und achtsames Personal.

Im Dezember 2022 wurde eine alarmierende Studie von Ihnen im Auftrag des Bildungsministeriums veröffentlicht, wonach bis 2030 bis zu 13.700 Fachkräfte fehlen würden. Ist in den vergangenen zwei Jahren etwas passiert, um die Situation zu verbessern?

Ja, unsere Grundlagenstudie war bahnbrechend. Seitdem wurden auf Bundes- und Landesebene wichtige Maßnahmen angestoßen, um die Arbeitsbedingungen im FBBE-Bereich zu verbessern. Ein Beispiel dafür sind bessere Onboarding-Prozesse, um jungen Pädagog:innen direkt nach der Schule den Einstieg in den Berufsalltag zu erleichtern. Dazu gehören auch Mentoring-Strukturen für den professionell begleiteten Austausch in den Teams, damit pädagogische Qualität gemeinsam entwickelt und gesichert werden kann. Im vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie der UNICEF und der EU getragenen TSI-Projekt „Improving staff working conditions for better quality in early childhood education and care“ durfte ich auf operativer und wissenschaftlicher Ebene meine Expertise einbringen. Auch konnten einige meiner Studierenden mit elementarpädagogischen Fragestellungen an einem Teil des Projektes mitarbeiten. In diesem bundesweiten Projekt arbeiteten wir mit namhaften Vertreter:innen aus Bildungspolitik, Forschung, Wirtschaft und Praxis an einem Framework für qualitätsvolle Rahmenbedingungen in der FBBE, die auf Bundesebene Umsetzung finden sollen.

Betrifft der Drop-Out aus dem Beruf vor allem die jungen Pädagog:innen?

Ja. Wir sehen, wer älter, und aufgrund der Lebenserfahrung oft resilienter im frühpädagogischen Bildungsalltag ist, bleibt auch im Beruf. Der Beruf der Elementarpädagog:in ist ja auch ungemein schön: Man darf junge Menschen in dieser so wichtigen Phase ihres Lebens, in der sie jeden Tag lernen, wachsen und sich entwickeln, begleiten. Man darf dabei aber nicht unterschätzen, wie komplex es ist, kindliche Bildungsprozesse, die ausschließlich im Spiel passieren, anzustoßen und zu begleiten. Das braucht viel professionelle Kompetenz, pädagogisches Handlungswissen, Erfahrung und vor allem Haltung. Das wird gesellschaftlich, und monetär, oft nicht im adäquaten Ausmaß wertgeschätzt.

Eine Möglichkeit ist auch der Quereinstieg in das Berufsfeld. Wird das hinreichend genutzt?

Quereinsteiger:innen oder Kolleg-Absolvierende, die sich für den elementarpädagogsichen Weg entscheiden, verfügen oft schon über mehr Lebenserfahrung und haben damit die Chance, im Berufsalltag auf mehr Resilienz zurückgreifen zu können. Es gibt glücklicherweise großes Interesse an elementarpädagogischen Ausbildungen, die – je nach Wahl des Typs an Universitäten, FHs, PHs und BAfEPs absolvierbar sind. Ebenso die Ausbildung zur Kleinkinderzieher:in oder zum Tageselternteil ist vielversprechend und verhilft Menschen, die auch über keinen akademischen Abschluss verfügen, zu einem raschen Berufseinstieg. Ich selbst biete Interessierten in einem vom Land Kärnten akkreditieren Lehrgang die Möglichkeit, sich von mir in sechs bis zehn Monaten in diesem Beruf ausbilden zu lassen. Damit man sich für diesen Zertifikatslehrgang anmelden kann, braucht man jedoch vorher eine abgeschlossene Berufsausbildung und Deutschkenntnisse auf B2-Niveau. Das schließt leider viele aus, die beispielsweise aufgrund einer verfrühten Elternschaft oder aus anderen individuellen Gründen dies nicht vorweisen können. Hier hätten wir aber noch viel Potenzial, Menschen für den Beruf zu gewinnen. Ich bekomme beispielsweise viele Anfragen von Schulabbrecher:innen, die außerhalb des Systems Schule eine elementarpädagogische Qualifikation erlangen möchten, aber aufgrund der normierten Aufnahmekriterien nicht in meinem Lehrgang zugelassen werden können.

Sie haben bereits den Aspekt der gesellschaftlichen Wertschätzung angesprochen. Die Kindergärten und Kindertagesstätten haben es oft nicht leicht, sowohl was das Berufsfeld, als auch die hierzulande oft negativ konnotierte Fremdbetreuung betrifft.

Das Bild wandelt sich leider zu langsam, was auch in der Arbeit der Kindergärten spürbar wird. In unserer Gesellschaft tief verankerte Narrative sorgen noch immer vielerorts dafür, dass viele Obsorgeberechtigte und Eltern ihre Kinder mit schlechtem Gewissen in die außerfamiliäre Betreuung bringen. Das wiederum wirkt sich auf kindliche Eingewöhnungs- und Loslösungsprozesse aus. Heute steht aber außer Streit: Die in den Kindergärten gelebte Entwicklung und Sicherung von Qualität liegt nicht nur in der Pflicht der FBBE-Einrichtungen begründet, sondern in der Verantwortung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und (bildungs-)politischer Interessen. Nicht nur die Berufstätigkeit der Eltern macht die Betreuung erforderlich, sondern die Kinder selbst profitieren von Bildungs-, Spiel- und sozialen Aushandlungsprozessen unter Gleichaltrigen.

Mit welchem Anspruch wurden Kindergärten begründet?

Die Gründung erster Kinderbewahranstalten geht ins frühe 19. Jahrhundert zurück und verfolgte aufgrund der Verelendung von Arbeiterfamilien eine Sozialhilfe- und Pflegefunktion. Anfänglich hatten die Kinderbewahranstalten vier Aufgaben zu erfüllen: Vorbeugung von Verwahrlosung, Verbrechensverhütung, Ermöglichung des Schulbesuches und christliche Erziehung. Die Kinderbewahranstalten entwickelten sich jedoch rasch weiter und verfolgten bald pädagogische Aspekte wie kindliche Verstandes- und Herzensbildung. Es folgte ein regelrechter „Run“ auf die Einrichtungen. Da Bildung für Kinder im vorschulischen Alter aber nicht als Aufgabe des Staates betrachtet wurde, gingen die ersten Kinderbewahranstalten auf die Gründung von karitativen Vereinen, Adeligen oder bürgerlichen Wohltäter:innen zurück. Die erste Kinderbewahranstalt in Klagenfurt entstand 1833. Der klassische Kindergarten, der sich von der Kinderbewahranstalt pädagogisch unterscheidet, geht auf Friedrich Fröbel zurück und entstand 1840 in Thüringen.  Aber bereits Johann Wolfgang von Goethe soll 1752 in eine Spielschule gegangen sein.

Wir sprechen immer von Pädagog:innen, und meinen damit auch Männer. Gibt es mittlerweile mehr Männer in dem Beruf?

Die Entwicklung ist interessant, weil die Mitbegründer elementarpädagogischer Entwicklungen und Verfasser vieler wegweisender Schriften Männer waren. Friedrich Fröbel hat die erste Kinderbewahranstalt, die so genannte „Anstalt zur Pflege des schaffenden Beschäftigungtriebes und des Selbsttuns der Kindheit und Jugend“ geschaffen. In Wien gründete der Unternehmer Josef Ritter von Wertheimer 1830 die erste Kinderbewahranstalt. Heute sind Männer in dem Berufsfeld noch immer stark unterrepräsentiert, obwohl sie viel Wertvolles einzubringen hätten, besonders für jene Kinder, die ohne Vater aufwachsen. Eine Gefahr sehe ich aber bei den Karriereperspektiven im Berufsfeld, die sich aufgrund des Geschlechts den Pädagogen oft eher darbieten. Da kann es schnell passieren, dass sie karrieretechnisch in den „gläsernen Aufzug“ gestellt werden. Ich bin der Meinung, dass das nicht sein muss – vor allem dann nicht, wenn es gleich oder höher qualifizierte Frauen gibt.

Welche Karriereperspektiven gibt es denn für Elementarpädagog:innen? Und sind diese wirklich attraktiv?

Der klassische Weg führt zur Leitung einer Kindergruppe oder gesamten elementarpädagogischen Einrichtung. In vereinzelten Fällen gehen die Karrierewege in behördliche oder akademische Ebenen weiter. Für die elementarpädagogische Praxis gilt aber: Die hohen Anforderungen an den Beruf schlagen sich nicht adäquat in den Gehältern nieder. Eine elementarpädagogische Führungskraft hat Managementqualitäten vorzuweisen und ein sehr verantwortungsvolles Aufgabenfeld: von der Kommunikation mit den Obsorgeberechtigten bis hin zur Personalführung und -entwicklung, von der Qualitätssicherung bis hin zur Konzeptionierung von pädagogischen Innovationen in den Betrieben.

Die Rahmenbedingungen für Qualität in der Elementarpädagogik sollen weiter steigen, und zwar durch kleinere Gruppengrößen und besseren Betreuungsschlüsseln. Wie soll sich das angesichts knapper Ressourcen ausgehen?

Ja. Deshalb wurde im September 2023 vom Land Kärnten das neue Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz verabschiedet. Mein Forschungsteam und ich evaluieren im Auftrag des Landes Kärnten aktuell das neue Kinderbildungsgesetz. Eines ist klar: Für kleinere Gruppen brauchen wir mehr Personal. Dieses Personal zu finden, ist schwierig. Gleichzeitig entstehen natürlich auch höhere Kosten für Gemeinden und Träger. Es ist eine Frage gesellschafts-, bildungs- und wirtschaftspolitischer Prioritätensetzung, wie hoch das Investment in die Elementarpädagogik ist. Fakt ist: Aufgrund der Professionalisierung des Berufsfeldes muss viel mehr in die Implementierung frühpädagogischer Studiengänge und elementarpädagogischer Forschung investiert werden. Dies betrifft vor allem auch elementarpädagogische Forschung und Entwicklung in Kärnten.

Zur Person



Veronika Michitsch ist Senior Scientist und Arbeitsbereichssprecherin im Arbeitsbereich Transnationale Migrations- und Solidaritätsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung. Neben ihrer Forschungstätigkeit im Arbeitsfeld der frühkindlichen Bildung und damit verbundenen Bildungs(ort)kooperationen, ist sie auch in der Aus- und Weiterbildung für elementarpädagogische Fachkräfte tätig, berät Bildungspolitik und Wirtschaft in elementarpädagogischen Fragen, und begleitet Träger:innen elementarpädagogischer Einrichtungen in Qualitätsmanagement- und Recruitingprozessen, in der pädagogischen Konzeptionsarbeit sowie in der institutionsübergreifenden Kooperation Kiga – Kita – Schule und im Kinderschutz.

Den Transfer von der elementarpädagogischen Forschung in die Bildungspraxis möchte Veronika Michitsch neben dem von ihr angebotenen Lehrgang für Kleinkinderzieher:innen und Tageseltern, demnächst auch in zwei von ihr gegründeten Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen in Wien sicherstellen. Aus eigener Kraft ist die Start-up-Unternehmerin an ihren Wochenenden auf den Kindergarten-Baustellen in der Bundeshauptstadt aktiv, um künftig moderne Elementarpädagogik entlang wissenschaftlicher Forschung in ihren eigenen Einrichtungen anbieten zu können.