Johannes Schrittesser | Foto: aau/Müller

„Angeblichen Kannibalen wurde jede Zivilisationsfähigkeit und Menschlichkeit abgesprochen.“

Johannes Schrittesser arbeitet an seiner Dissertation zu Kannibalismus im Mittelalter. Uns hat er erzählt, welche Aspekte hierfür relevant sind und warum der Leib Christi vielerorts im Mittelpunkt des Diskurses dazu steht.

Alexander „Swaney“ Bean ist die Gruselfigur Schottlands. Der Legende nach habe er gemeinsam mit einer kannibalistischen Familie im 15. Jahrhundert gelebt und mit seiner Frau, ihren Kindern und Enkeln über 1.000 Menschen getötet und gegessen. Schließlich soll die blutrünstige Familie festgenommen und hingerichtet worden sein. Der Stoff, über dessen Realitätsbezug man sich uneinig ist, dient bis heute als Vorlage für filmische und literarische Verarbeitungen. Die Legende, die erstmals im 18. Jahrhundert niedergeschrieben wurde, zeigt heute aber vor allem, dass die grauenbesetzte Faszination des Menschen, der seinesgleichen tötet und isst, fortwirkt. Auch Johannes Schrittesser, externer Doktorand bei Johannes Grabmayer am Institut für Geschichte, interessiert sich dafür, welche Ausnahmen und Notsituationen den Menschen dazu brachten, vom gewohnten sozialen Verhalten abzuweichen. Er hat seine Master-Arbeit zu Hexen im Spätmittelalter verfasst. Dabei ist er auf Anschuldigungen gestoßen, dass Hexen vermeintliche Kannibalinnen wären. Für ihn Anlass genug, sich nun in seiner Dissertation – gefördert mit einem Dissertationsstipendium der Fakultät für Kulturwissenschaften – mit Kannibalismus im Mittelalter zu beschäftigen.

„Im Mittelalter gab es gegenüber vielen Gruppen der Gesellschaft Kannibalismusanschuldigungen. Solche Vorwürfe ließen sich gut gebrauchen, um Verfolgungen zu legitimieren, weil man so dem Verfolgten die Zivilisationsfähigkeit und auch seine Menschlichkeit absprechen konnte“, so Johannes Schrittesser. Dokumentierte Fälle von Kannibalismus gebe es im Mittelalter besonders für jene Phasen, in denen auch von Hungersnöten berichtet wurde. „Der Mensch wusste sich wohl unter gewissen Extrembedingungen manchmal nicht anders zu helfen“, führt Schrittesser weiter aus. Auch aus der Not heraus erklärt sich, dass im Bereich der Medizin menschliches Fleisch, Knochen oder Blut verarbeitet wurden: „So glaubte man schon seit der Antike, dass Blut gegen Epilepsie helfen würde.“

Einen besonderen Stellenwert nimmt der symbolische Kannibalismus ein, spricht man in der katholischen Kirche doch bis heute vom Blut und Leib Christi, die in der Eucharistie gewandelt und dann von Priester bzw. Gläubigen entgegen- und eingenommen werden. „Es gibt viel Literatur dazu, dass die Lehre früher davon ausging, dass die Wandlung wahrhaftig stattfindet. Aber auch schon im Mittelalter gab es Gegenstimmen, die häufig als Ketzer mundtot gemacht wurden.“ Die Frage, ob bei der Eucharistie nun der tatsächliche Leib Christi an die Gemeinde ausgeteilt wird, spielte auch für die Glaubensspaltungen im Spätmittelalter eine entscheidende Rolle. Für Schrittesser ist dieser symbolische Kannibalismus für das Mittelalter das entscheidende Thema, weil es sich auch auf andere Quellen ausgewirkt habe. „Berichte, die sich mit Magie, Hexen & Kannibalismus beschäftigen, sprechen auch von einer Pervertierung der Eucharistie“, so Schrittesser. Aus vielen Richtungen beziehe man sich so auf dieses Phänomen.

Johannes Schrittessers Forschungsthema zieht schnell Interesse auf sich. Er ist aber überzeugt, dass sich die meisten Menschen ganz generell für historische Themen interessieren. Er fügt dazu aber den Nebensatz an: „Der Wissensdurst gilt nur leider nicht immer wissenschaftlichen Beiträgen. Bei vielen populären historischen Inhalten steht die Faktentreue nicht unbedingt im Zentrum.“ Schrittesser möchte selbst gerne in der Wissenschaft bleiben, obgleich es jetzt noch schwierig zu sagen sei, ob dies auch gelingt. Aktuell hat er den Einstieg in seine Dissertation gut geschafft: „Der Anfang ist aber vielleicht noch das Leichteste, das andere kommt nun.“

 

Auf ein paar Worte mit … Johannes Schrittesser

Was würden Sie derzeit machen, wenn Sie nicht an Ihrer Dissertation arbeiten würden?

Keine Ahnung. Ich habe mich riesig über meinen Masterabschluss gefreut und danach sofort den Plan gefasst, eine Dissertation zu schreiben. Mit einer Alternative habe ich mich nicht ernsthaft beschäftigt.

Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?

Ja, weil ich mit Ihnen viel über mein Studium spreche. Ich freue mich, dass sie meiner Arbeit so großes Interesse entgegenbringen, ohne sie hätte ich ohnehin nicht die Möglichkeit zu studieren. Die Unterstützung und Neugierde meiner Eltern bringt mir zusätzliche Motivation, immer zu versuchen, mein Bestes zu geben.

Was machen Sie morgens als erstes?

Als erstes knuddle ich meinen Hund, danach gönne ich mir eine Tasse Kaffee.

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?

Längere Urlaubsreisen kaum. Im Sommer mache ich gerne Ausflüge, das Angeln ist eine Leidenschaft von mir. Da vergesse ich alles um mich herum und kann total abschalten und relaxen. Auch bei meinen anderen Hobbies kann ich gut entspannen.

Was bringt Sie in Rage?

Menschen, die keinen Respekt vor ihren Mitmenschen haben oder andere schlecht behandeln.

Und was beruhigt Sie?

Das Kuscheln mit meinem Hund. Meine Hündin ist ein wahrer Ruhepol und gibt mir tagtäglich viel Kraft und Energie.

Wer ist für Sie die größte WissenschaftlerIn in der Geschichte und warum?

Ich möchte hier keine Rangliste anführen oder jemanden über andere stellen. Wissenschaft bedeutet, von anderen zu lernen, deren Wissen zu respektieren und wenn möglich, weiterzuentwickeln.

Wovor fürchten Sie sich?

Vor vielen Dingen. Auf viele Geschicke im Leben hat man keinen Einfluss, das macht mir manchmal Angst. Die Liebe und Freundschaft von wichtigen Menschen in meinem Leben hilft aber ungemein.

Worauf freuen Sie sich?

Dass Sturm Graz endlich mal wieder Fußball-Meister wird, hoffentlich schon dieses Jahr. Und selbstverständlich hoffe ich, meine Dissertation in zwei, drei Jahren gut abgeschlossen zu haben, das wäre eine riesengroße Genugtuung und unbeschreibliche Freude für mich.