Anerkennen, was Menschen können
Was Hänschen nicht lernt, kann Hans später lernen – auch abseits von Schule, Lehre und Hochschule, so das Credo der EU, die die Anerkennung von informell erworbenen Kompetenzen ermöglicht. Auch Österreich entwickelt derzeit die Details für den Nationalen Qualifikationsrahmen.
„Die EU fordert die Entwicklung von Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) als Übersetzungsinstrument zwischen den verschiedenen Qualifikationssystemen und deren Niveaus für alle Bereiche der Bildung. Zusätzlich ermöglicht der NQR Lernergebnisse, die außerhalb der formalen Strukturen erworben werden, entsprechend zu wertschätzen und anzuerkennen“, erläutert Monika Kastner (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung). „Das Bildungssystem in Österreich ist recht starr, weil wir eine sehr elaborierte Struktur der berufsbildenden Einrichtungen mit Lehre und Schulen haben.“ Für Österreich sei die Entwicklung eines NQR, so Kastner, ein großer Vorteil, weil es die bisher recht rigiden Systeme aufbricht: „Für die großen Player wie die Fachhochschulen, die Universitäten oder die berufsbildenden Schulen ist das Vorhaben eine Herausforderung. Es geht dabei vor allem um die Akzeptanz, dass man auch auf anderen Wegen zu Qualifikationen kommen kann.“
Diese „anderen“ Wege beschreiten viele, die früh keinen Zugang zu den formalen Bildungswegen finden (können): „Bildung wird in Österreich sehr stark ‚vererbt‘. Wer in Familien aufwächst, wo sie keine so große Rolle spielt, hat es oft schwer, zu einem Abschluss zu kommen“, so Kastner. Der Europäische Qualifikationsrahmen, an den die nationalen Pendants angelehnt sind, ermöglicht diesen Menschen ein späteres „Nachholen“ der Qualifikationsbescheinigung. Das bedeutet für das hiesige Bildungs- und Ausbildungssystem einen Kulturwandel: „Man geht bei den Qualifikationsrahmen davon aus, dass Menschen, die beruflich, beispielsweise als HilfsarbeiterInnen, schon lange in einem Feld arbeiten, genauso zu anerkanntem ExpertInnenwissen kommen können wie jemand, der einen Lehrabschluss hat.“ Dass das für viele Akteure am klassischen Bildungsmarkt schwer vorstellbar ist, ist selbsterklärend.
Die Sorge, dass so die Formalabschlüsse abgewertet werden könnten, sei, so Kastner, nicht berechtigt: „Wenn der NQR implementiert ist, wird es nationale Validierungsstellen geben: Diese prüfen, ob Qualifikationen qualitätsgesichert sind, im Feld anerkannt und nachgefragt werden und einer bestimmen Ausbildung entsprechen, die man im formalen System erwerben kann. Wird das erfüllt, wird es eine Form der Anerkennung und Zertifizierung geben.“ Zusätzlich können aber auch Qualifikationen, die keine Entsprechung im formalen Bildungssystem haben, dem NQR zugeordnet werden, sofern sie entsprechende Qualitätsstandards erfüllen.
Kastner hat dazu mit ihrem Team an einem Qualifikationsraster für Menschen ohne formalen Berufsabschluss gearbeitet, die in sozialen Unternehmen am „zweiten“, d. h. geförderten Arbeitsmarkt befristet beschäftigt sind und im Prozess der Arbeit Kompetenzen entwickeln. Begleitend sollen Personalentwicklungsmaßnahmen angeboten und die Transitarbeitskräfte in ihren Aktivitäten beraten und begleitet werden. „Das Verfahren zeigt mittels Selbst- und Fremdeinschätzung auf, was diese Menschen können. Erfasst werden die Kompetenzen mithilfe einer Software, für die ein Prototyp entwickelt wurde.
Eine Zusammenfassung der Lernergebnisse wird auf einem Zertifikat mit Supplement angeführt, das an die Deskriptoren des NQR auf Niveau 1 bzw. 2 angebunden ist und Arbeitgeber über vorhandene Kompetenzen informieren wird“, so Kastner. Das Projekt KOMKOM wurde vom Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF) gefördert.
für ad astra: Romy Müller