Jenseits pädagogischer Ratgeberliteratur. Erziehungsphilosophie als philosophische Erkenntniskritik.
Unter dem Label der Erziehungsphilosophie werden heute zumeist Fragen philosophischer Teildisziplinen diskutiert. Die angewandte Ethik etwa widmet sich dem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern, während die politische Philosophie sich damit befasst, welchen Stellenwert der verpflichtende Religionsunterricht in einem säkularen Staat haben kann und darf. Obwohl solche Fragen zweifellos wichtig sind, gerät dabei doch leicht aus dem Blick, dass das Verhältnis von Philosophie und Erziehung bereits auf sehr viel grundlegendere Weise miteinander verwoben sind. Schon für Platon trifft Philosophie nicht primär dort auf Erziehung, wo es um spezifische Inhalte geht, die erst rational durchdrungen und dann vermittelt werden sollen, sondern ist in den Erziehungsprozess immer schon eingelassen. Das philosophische Geschäft geht aus Erziehungs- und Entwicklungsprozessen hervor, in denen einen neue Weise entsteht, die Welt zu betrachten und zu beschreiben, und mündet zugleich wieder in eben solche Prozesse. Vor diesem Hintergrund ist auch das Projekt einer fundierenden Erkenntnistheorie, die den Rahmen möglicher oder sinnvoller Reaktionen auf unsere Erfahrung im Voraus abstecken will, zumindest mit einem gewichtigen Fragezeichen zu versehen. Exemplarisch an Alfred North Whitehead und Bertrand Russell orientiert, soll in dem Vortrag gezeigt werden, auf welche Weise unser Philosophieverständnis durch die Reflexion auf Erziehungsprozesse geprägt werden kann. Vor dem Hintergrund eines geteilten Anliegens, der Liberalisierung des Bildungswesens, lassen sich mit Whitehead und Russell zwei fundamental verschiedene Begriffe von Philosophie aufweisen, die nicht zuletzt daraus resultieren, wie beide Autoren jeweils Erziehung und Bildung bewerten.