Henry David Thoreau – ein moderner Stoiker?
VeranstaltungsortI.1.71Veranstalter Institut für PhilosophieBeschreibungWährend Henry David Thoreau in Deutschland vor allem als Literat wahrgenommen wird, gilt er im angloamerikanischen Sprachraum weithin als Begründer der Tradition des zivilen Ungehorsams. Diese Einschätzung verdankt sich vor allem seinem postum veröffentlichten Aufsatz Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, ist in den letzten Jahren jedoch zunehmend infrage gestellt worden. Demnach gehe es Thoreau einzig um die Bewahrung individueller moralischer Integrität, sodass er bestenfalls als Verweigerer aus Gewissensgründen angesehen werden könne. In beiden Lesarten besteht die Tendenz, den Diskurs über zivilen Ungehorsam aus seinem philosophischen Kontext zu lösen und einseitig zu vereinnahmen.In meinem Vortrag möchte ich eine alternative Herangehensweise nahelegen, die Thoreaus Denken jenseits der Dichotomie von zivilem Ungehorsam und apolitischem Individualismus ansiedelt. Genau genommen sollen drei Thesen vertreten werden: (1) Die Ambivalenzen der Philosophie Thoreaus lösen sich auf, wenn er als moderner Stoiker verstanden und der fundamental stoische Charakter seines Denkens in den Mittelpunkt gerückt wird. Damit würde zugleich die stoische Tradition um eine dezidiert politische Facette bereichert. (2) Thoreaus politischer Stoizismus beinhaltet ein Konzept öffentlichen Handelns, das berechtigterweise als eine Form zivilen Ungehorsams angesehen werden kann und das ich symbolischen Widerstand nennen möchte. Anders als die von Rawls ausgehende, moderne Tradition zivilen Ungehorsams ersetzt es die Frage nach der Rechtfertigung des Widerstandes durch die nach Mitteln und Konsequenzen. (3) Ein solches, modifiziertes Konzept zivilen Ungehorsams stellt eine fruchtbare Alternative zu Rawls‘ einflussreicher Theorie dar. Zumindest kann es dazu beitragen, einige Mängel in Rawls‘ Strategie zur Rechtfertigung von Akten des zivilen Ungehorsams aufzudecken.Vortragende(r)Dennis SölchZur Person: Dennis Sölch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Institut der Universität Düsseldorf und Geschäftsführer der Deutschen Whitehead Gesellschaft. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Philosophiegeschichte, insbesondere die Prozessphilosophie, der Amerikanische Transzendentalismus und der Pragmatismus. Neben zahlreichen Aufsätzen erschienen bisher Prozessphilosophien: Wirklichkeitskonzeptionen bei Alfred North Whitehead, Henri Bergson und William James sowie Erziehung, Politik, Religion. Beiträge zu A.N. Whiteheads Kulturphilosophie. Eine umfangreiche kritische Anthologie zum Amerikanischen Transzendentalismus erscheint Mitte 2018.KontaktMartin Weiß (martin.weiss@aau.at)