„Caroline-von-Humboldt-Preis“ für Claudia Brunner
Wie wird der Begriff „Gewalt“ in den Wissenschaften verstanden, welche Verständnisse werden politisch wirksam und inwiefern ist Wissenschaft selbst beteiligt an gesellschaftlichen Gewalt-Verhältnissen im weiteren Sinne? Claudia Brunner (Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik) wird am 6. November 2012 für ein diese Fragen aufgreifendes Projektvorhaben mit dem „Caroline-von-Humboldt-Preis“ ausgezeichnet.
„Wir alle haben ein relativ klares Bild davon, was Gewalt ist und stellen uns dabei meist körperliche, direkte Übergriffe mit schadhaften Folgen vor“, erklärt Claudia Brunner vom Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der Alpen-Adria-Universität. In den 1970er und 1980er Jahren habe sich der Gewaltbegriff jedoch erweitert: Hinzu kamen die so genannte „strukturelle Gewalt“, die sich beispielsweise in ökonomischen Zwängen (Armut) oder Diskriminierung ausdrückt und das Konzept der „symbolischen Gewalt“, die in unseren Verhaltens- und Kommunikationsformen oder auch in medialen Darstellungen, Werbung und anderen Bildern deutlich werden kann. Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und Forschungsfelder haben einen entscheidenden Anteil daran, wie wir Gewalt verstehen. „In den letzten Jahren verengt sich der Gewaltbegriff wieder: Zum Beispiel hat der Umgang mit und die gesellschaftliche Bewertung von Terrorismus dazu geführt, dass die strukturellen und symbolischen Aspekte von Gewalt wieder stärker außer Acht gelassen werden“, so Brunner.
Brunner bringt folgendes sprachliches Beispiel, um zu verdeutlichen, dass Gewalt nicht gleich Gewalt ist: „Im Englischen verwenden wir die Begriffe ‚violence‘ und ‚power‘ für zwei unterschiedliche Konzepte: ‚Violence‘ meint Ordnungszerstörung und ‚power‘ im Sinne von Macht ist die Voraussetzung für Ordnungsbegründung.“ Ein Unterschied, der im Deutschen nicht deutlich wird, wo die „Gewalt“ in einer körperlichen Auseinandersetzung den gleichen Begriff trägt wie die „Gewaltentrennung“ in einem Staat. Diese mangelnde Trennschärfe ist jedoch nicht nur eine sprachliche und konzeptionelle, sondern bisweilen auch eine politische, wie die immer wieder leidenschaftlich geführten Debatten über unterschiedliche Formen von Gewalt in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit zeigen. Die Ambivalenz und Doppeldeutigkeit des deutschsprachigen Begriffs nimmt Brunner zum Ausgangspunkt, um in ihrer theoretischen Auseinandersetzung den Begriff der „epistemischen Gewalt“ konkreter auszuarbeiten. Dieser zielt nämlich auf ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen beidem ab und betont die unsichtbaren Zusammenhänge zwischen Wissensproduktion einerseits und konkreten, durchaus unterschiedlichen, Formen von Gewalt andererseits.
Claudia Brunner wird nun in dem Forschungsvorhaben unter dem Titel „Epistemische Gewalt. Theoretisierung eines Begriffs“ an einem Beitrag zur theoretischen Fundierung und Festigung des Begriffs arbeiten. Aufgaben und Rahmenbedingungen von Wissenschaft, die auch strukturell gewaltförmig oder gewaltfördernd sein können, spielen dabei eine große Rolle. Entsprechende Fragestellungen sind: Welche Gewaltbegriffe sorgen für welche De/Legitimitäten von Gewaltformen? Welche impliziten Normen sind dabei am Werk? Wer bestimmt in den wissenschaftlichen und politischen Deutungskämpfen über Norm und Nicht-Norm? Und: Wessen Stimme wird im wissenschaftlichen Kanon gehört, welche Positionen bleiben warum marginalisiert? Welches Wissen wird gehört und gelesen, welches nicht? Welches Wissen wird in der Gesellschaft wirksam, welches wird verdrängt?
Der Caroline-von-Humboldt-Preis wird jährlich an exzellente Nachwuchswissenschaftlerinnen der Humboldt-Universität Berlin für herausragende Forschung verliehen und ist der höchstdotierte Forschungspreis seiner Art in Deutschland. Claudia Brunner war vor ihrer Tätigkeit in Klagenfurt DFG-Stipendiatin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität sowie Lehrbeauftragte an der Universität Wien.