Wie lassen wir uns zu Umweltaktivismus „bewegen“?

Ist es Wut über Ungerechtigkeit sowie Ärger, die uns dazu animieren, uns für Umweltschutz einzusetzen? Oder gibt es auch positive Gefühle, die uns dazu bewegen, uns einer Gruppe anzuschließen und uns gemeinsam einzusetzen? Helen Landmann, Professorin am Institut für Psychologie der Universität Klagenfurt, forscht zu Emotionen in der Umweltpsychologie. Für ihre Arbeit mit dem Titel Being Moved by Protest – Collective efficacy beliefs and injustice appraisals enhance collective action intentions for forest protection via positive and negative emotions wurde sie kürzlich mit dem Carl-Friedrich Graumann Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychologie ausgezeichnet.

Wie kam es, dass Sie die Motive von Umweltaktivist:innen untersucht haben?

Ich war zuletzt an der Fernuniversität Hagen tätig, in deren Nähe sich der Hambacher Wald befindet. Dieser Wald war über 4000 Hektar groß, er wurde aber nach und nach für den Braunkohleabbau abgeholzt, sodass dort heute nur noch ein kleiner Streifen von ca. 500 Hektar Wald übrig ist. Viele Menschen haben sich für den Erhalt dieses Waldes eingesetzt und sich in den Jahren 2018/19 an Protesten beteiligt. Dabei ist bei uns die Idee entstanden, mehr darüber herauszufinden, was die Menschen dazu motiviert, sich für Umwelt- und Klimaschutz zu engagieren.

Was weiß man bereits über die Motive?

Wir konnten bei unserer Untersuchung auf das social identity model of collective action zurückgreifen. Dieses beschreibt im Wesentlichen zwei Pfade, die uns dazu motivieren, an Protesten teilzunehmen. Der eine Pfad stellt die Emotion des Ärgers in den Vordergrund: Wir wollen also dem Ärger Luft machen und das ist für uns motivierend. Der zweite Pfad wurde bisher als der „rationale“ Pfad bezeichnet. Dahinter steht die Überlegung, dass man sein Ziel besser erreicht, wenn man sich mit anderen zusammenschließt. Dieses Modell habe ich mir genauer angesehen, weil ich den Eindruck hatte, dass hier noch etwas fehlt.

Was haben Sie gefunden?

Schon länger habe ich mich mit positiven Gefühlen des Bewegtseins beschäftigt. Sie kennen das bestimmt: Wenn man etwas besonders Schönes erlebt – eine Hochzeit, die Geburt eines Kindes, aber auch außergewöhnlich selbstloses Verhalten einer Person – ist man bewegt und hat Tränen in den Augen. Für mich passt dieses Gefühl auch in den zweiten Pfad, weil man auch überwältigt und ergriffen sein kann von der Idee, gemeinsam mit anderen etwas zu erreichen.

In dem Fall passt die Bezeichnung „rationaler“ Pfad aber nicht mehr, oder?

Ja, das ist dann genauso emotional wie der Ärger, aber auf eine positive Weise.

Wie sind Sie diesem Gefühl des Bewegtseins bei Protesten dann auf den Grund gegangen?

Wir haben eine Feldstudie durchgeführt, im Rahmen derer wir über 200 Unterstützer:innen und Aktivist:innen befragt haben. Wir wollten wissen, ob sie sich ärgern, aber auch, ob sie sich bewegt fühlen. Zusätzlich wollten wir wissen, ob sie in Zukunft vorhaben, an solchen Protesten teilzunehmen. Mit diesen Daten haben wir ein Modell berechnet, das uns schließlich gezeigt hat: Es gibt tatsächlich beide emotionalen Pfade. Je mehr die Menschen daran geglaubt haben, etwas gemeinsam verändern zu können, desto stärker waren sie auch in Bezug auf die Proteste ergriffen Und desto eher hatten sie vor, sich zu engagieren. Unsere Ergebnisse haben wir dann noch in einem zweiten Experiment überprüft.

Funktioniert dieser Mechanismus besser, wenn man sich um ein konkretes, auch räumlich nahe liegendes Vorhaben bemüht oder funktioniert das auch bei Protesten für Klimaschutz im Allgemeinen?

Aus den Antworten der Aktivist:innen rund um den Hambacher Wald wissen wir, dass sie es für die Entwicklung von Engagement sehr hilfreich fanden, dass es einen konkreten symbolbehafteten Ort gab, für den zu kämpfen motivierend war. Wir haben die zwei Pfade aber dann noch in einer anderen Studie untersucht, in der Fridays-for-Future-Aktivist:innen befragt wurden. Ihre Proteste sind sehr viel globaler, es hat sich aber gezeigt, dass auch bei diesen Demonstrationen positive Emotionen sehr präsent waren. Wir sehen das auch bei den Veranstaltungen selbst, wo Leute Freude ausstrahlen. Kürzlich haben wir auch eine qualitative Studie mit Vertreter:innen der Letzten Generation durchgeführt.

Wie passen Ihre Erkenntnisse in eine Zeit, in der Gesellschaften stärker individualisiert sind?

Positive Beziehungen zu anderen zu haben, ist ein sehr dominantes menschliches Bedürfnis, das wissen wir aus der Sozialpsychologie. Wenn Menschen aus einer Gruppe ausgeschlossen werden, löst das Hirnaktivität aus, die sonst mit körperlichen Schmerzen verbunden ist. Wir sehen also, dass Gruppenerlebnisse auch jetzt sehr wichtig sind.

Auch politische Parteien inszenieren sich immer wieder als „Bewegungen“. Kann man Menschen auch bewusst „bewegen“?

Vermutlich ja. Ich untersuche gerade, inwiefern Emotionen von extremistischen Gruppen missbraucht werden können, um Menschen für bestimmte Ziele einzuspannen. In Rekrutierungsvideos werden manchmal bewegende Filmschnipsel verwendet und auch für Radikalisierung spielen Gruppenprozesse eine wichtige Rolle. Aus der Extremismusforschung wissen wir, dass nach einer Sensibilisierungsphase, in der die Menschen auf ein Thema aufmerksam werden, häufig in einem nächsten Schritt die Anbindung an eine Gruppe und damit Zugehörigkeit ins Spiel kommt.

Sie haben bereits die Emotionen des Ärgers sowie des Bewegtseins angesprochen. Welche Rolle spielt denn das Gefühl der Angst bei Umweltaktivist:innen, die sich ja häufig vor dem Hintergrund von Schreckensszenarien für den Klimaschutz engagieren?

Menschen, die sich für Klimaschutz einsetzen, geben auch häufig stärkere Befürchtungen in Bezug auf den Klimawandel an. Wie diese Gefühle mit positiven Emotionen zusammenspielen, wissen wir noch nicht genau. Wir haben aber bereits mit systematischen Untersuchungen belegen können, dass die Gefühle des Bewegtseins stärker sind, wenn die Umstände schlechter sind. Wenn man beispielsweise ein Video von Brüdern sieht, die sich herzlich umarmen, dann wird das als wesentlich ergreifender wahrgenommen, wenn man weiß, dass die beiden eigentlich zerstritten sind. Das findet man in unterschiedlichen Bereichen – und vielleicht lässt es sich auch auf den Umweltbereich übertragen. Dadurch, dass die Situation bedrohlich ist und man gegen widrige Umstände ankämpft, ist es vielleicht besonders bewegend und überwältigend, wenn man dem etwas Positives entgegensetzen kann.

Zur Person



Helen Landmann studierte Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Cardiff University (UK). Sie promovierte mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung 2017 an der Humboldt-Universität zu Berlin zu moralischen Emotionen. In der Zeit von 2016 bis 2024 forschte sie an der FernUniversität in Hagen zur Rolle von Emotionen für das soziale Zusammenleben. Von 2022 bis 2023 hatte sie an der Universität Bremen eine Vertretungsprofessur im Fachbereich „Sozialpsychologie mit Arbeits- und Organisationspsychologie“ inne. Helen Landmann ist sowohl Sprecherin des Fachnetzwerkes „Sozialpsychologie zu Flucht und Integration“ als auch des Clusters „Lehre“ der Interessensgruppe „Mensch – Klima – Nachhaltigkeit“ der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Helen Landmann untersucht in ihrer Forschung die Rolle von Emotionen für sozialen Wandel. Zu ihren Schwerpunkten zählen umweltpsychologische Fragestellungen (z. B. weshalb protestieren Menschen für oder gegen Umweltschutz?) und community-psychologische Fragestellungen (z. B. wie können Menschen aus unterschiedlichen Kulturen gut zusammenleben?).

Foto: Ralf Rottmann