Dem Journalismus eine neue Funktion geben: Forschungsprojekt beschäftigt sich mit Buchclubs in der journalistischen Kultur

In ihrem Forschungsprojekt untersucht Mercedes de Luis Andrés, wie so genannte BoJo-Clubs, – Buchclubs innerhalb der journalistischen Kultur – insbesondere in Post-Konflikt-Gesellschaften, zu einer Veränderung unserer Beziehung zum Journalismus und zu Lesezirkeln beitragen und praktische Einsichten für Gemeinschaften in herausfordernden gesellschaftlichen Kontexten liefern können. Für diese Arbeit erhielt sie kürzlich das CLS INFRA Transnational Access Fellowship, das ihr einen Forschungsaufenthalt an der University of Galway in Irland ermöglichte.  

Ihre Forschung konzentriert sich auf Buchclubs, genauer gesagt auf BoJo Clubs. Was ist das Besondere an diesen Clubs?

Im Gegensatz zu anderen Lesezirkeln unterscheiden sich diese BoJo-Clubs dadurch, dass sie in journalistischen Gemeinschaften stattfinden. Die Teilnehmer:innen kommen nicht unbedingt aus dem journalistischen Bereich, sondern sind Leser:innen aus allen Bereichen des Lebens. Oft werden in diesen Lesekreisen Bücher aus dem journalistischen Bereich ausgewählt und aktiv moderiert.

Entsprechen diese Art von Lesezirkeln noch der gegenwärtigen Medienwelt, in der wir journalistische Inhalte in kleinen, mundgerechten Portionen und in einem sehr schnellen Tempo konsumieren?

Ja, die Art und Weise, wie wir Informationen in diesem Kontext interpretieren, unterscheidet sich stark vom Scrollen durch Social-Media-Kanäle. Ich möchte herausfinden, was mit uns passiert, wenn wir uns der Realität mit einem langsameren, tieferen und partizipativen Ansatz nähern, wie es die BoJo Clubs tun. Das gemeinsame Lesen in einer Gruppe suggeriert ein soziales Ritual, das sich von der Art und Weise, wie wir sogenannte Nachrichten produzieren und konsumieren, entfernt. Ich hoffe, dass sich diese Art der Kommunikation positiv auf das Wohlbefinden der Leser:innen und der journalistischen Gemeinschaften auswirken kann.

Und warum?

Der BoJo Club kann einen sicheren Raum bieten, in dem wir kritisch denken und unsere Eindrücke über das Buch austauschen können. Wir lesen nicht einfach das, was unsere Informationsblasen schon vorgefiltert haben, sondern wir beteiligen uns an offenen Gesprächen und kritischer Reflexion. Diese Oase fördert das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Darin sehe ich auch eine wichtige soziale Funktion des Journalismus.

Welche Rolle kann ein moderierender Journalist in diesem Zusammenhang spielen?

Die Leser:innen in einer solchen Gruppe können vom journalistischen Beruf und der Erfahrung profitieren. Unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, darauf zu achten, dass jeder zu Wort kommt, das sind wichtige Fähigkeiten, die den Dialog und die Empathie fördern können.

Wo kann man BoJo-Clubs finden?

Wir haben einen Katalog mit Beispielen aus Europa und Amerika zusammengestellt, der bald als Bibliothek digitalisiert wird. In Österreich haben wir uns zum Beispiel die Lesegemeinschaft Falter angeschaut. Es ist sehr interessant, wie unterschiedliche kulturelle Kontexte unterschiedliche BoJo Clubs hervorbringen. Diese Gemeinschaften geben uns auch Aufschluss über eine Gesellschaft und ihren Zeitgeist.

 Können Sie einige Beispiele für empfohlene Lektüre nennen?

Darunter gibt es viele lehrreiche Beispiele: In Kolumbien zum Beispiel arbeiten die BoJo Clubs oft mit Biografien, die im Stil des erzählenden Journalismus geschrieben sind und die konfliktreiche Zeit von La Violencia beschreiben. Jenseits des Mainstream-Diskurses sind diese Bücher alles, was wir haben, in denen sich eine menschliche Erfahrung entfaltet und bewahrt wird.

Ein anderes heißes gesellschaftliches Thema steht in Madrid im Mittelpunkt, nämlich die Nachhaltigkeit. Die Leser dort beschäftigen sich vor allem mit wissenschaftlichen und journalistischen Essays zu den Herausforderungen des Klimawandels, wie zum Beispiel „Breading Sweetgrass“ von Robin Wall Kimmerer.

Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie davon ausgehen, dass BoJo-Clubs das Wohlbefinden von Leser:innen und Journalist:innen steigern könnten. Dem öffentlichen Diskurs nach zu urteilen, scheinen viele Journalist:innen jedoch unter immer größerem Druck zu stehen. Wie lassen sich diese Aspekte unter einen Hut bringen?

Ich spreche nicht nur als Forscherin, sondern auch als Journalistin. Ich glaube, dass der Journalismus tief in der künstlerischen Sensibilität verwurzelt ist, ähnlich wie ein Handwerk. Sein Unterricht ist bereits außergewöhnlich, da er sich auf einen transdisziplinären Lehrplan stützt.

Indem man den Schreibprozess in handgeschriebenen Notizbüchern verlangsamt, entsteht das Handwerk. Oder durch die Teilnahme an Lesezirkeln, wie wir bereits in den ersten Ergebnissen feststellen, ist der Druck zur Unmittelbarkeit nicht mehr notwendig. Die Sicherheit des Journalismus, sowohl physisch als auch emotional, ist glücklicherweise ein zunehmendes Thema in der wissenschaftlichen Forschung und der öffentlichen Debatte.

Haben Sie selbst solche Erfahrungen gemacht?

Ich hatte die Gelegenheit, ein Buch im Genre des erzählenden Journalismus zu schreiben. Es bedarf zwar noch weiterer Untersuchungen, um diesen Wandel zu erklären, aber ich habe auf jeden Fall erlebt, wie sich die Perspektive eines Schriftstellers verändert, wenn er den Druck der Unmittelbarkeit beiseite schiebt. Später, als Dozentin für Reisejournalismus, bildeten wir einen „Bojoclub“, um lange journalistische Erzählungen zu integrieren. Dieser Ansatz hat das Journalismus-Studium neu gestaltet und gleichzeitig die Beteiligung der Studierenden am Lernprozess verändert – mit sehr interessanten Ergebnissen.

Und jetzt sind Sie im akademischen Bereich gelandet. Wie kam es dazu?

Journalismus und Wissenschaft sind komplementäre Sphären, zumindest aus meiner Sicht. Ich habe immer wieder Forschungsaufenthalte und Beratungsprojekte an skandinavischen Universitäten kombiniert, als ich in Dänemark tief im Kulturjournalismus verwurzelt war. Es war für mich immer interessant, beide Hüte zu tragen – den der Wissenschaft und den des Journalismus. Ich fühle mich glücklich, das Beste aus beiden Welten zu haben. Hier, im Rahmen eines großen Projekts und meiner Promotion, habe ich nun die Möglichkeit, eine systematische Analyse der BoJo Clubs durchzuführen. Das ist eine wunderbare Herausforderung, der ich mich mit ganzem Herzen widme.

Zur Person



Mercedes de Luis Andrés ist PhD-Studentin an der Universität Klagenfurt und ehemalige Senior Scientist am CMC der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie schloss ihr Bachelor- und Master-Studium an der Universität Madrid mit einem Aufenthalt an der Universität Kopenhagen ab. Einige ihrer früheren Forschungs- und Literaturprojekte wurden vom spanischen Kulturministerium, dem dänischen Filmregisseurverband und der dänischen Kunststiftung unterstützt. Ihr Promotionsprojekt wird von Rainer Winter (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften der Universität Klagenfurt) betreut.



Mercedes de Luis Andrés