Auf der Spur von Nachrichten, die keine Nachrichten wurden
Jörg-Uwe Nieland ist Teil der Initiative Nachrichtenaufklärung, die jährlich die Top Ten der Vergessenen Nachrichten vorstellt. Im Interview spricht er über Strukturen in der Medienbranche und ein Publikum, das professionell aufbereitete Nachrichten wieder neu für sich entdecken muss.
Warum finden manche Informationen kein Echo in den Medien?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Viele Themen sind sperrig und rechercheintensiv. Sie benötigen Erfahrung im und Ressourcen für investigativen Journalismus. Manche Themen bleiben auch im Verborgenen, weil bestimmte Gruppen kein Interesse haben, dass sie öffentlich werden. Außerdem befinden sich etablierte Journalist:innen oft in einer Blase. Sie verbringen die meisten Zeit mit Menschen, die wie sie aus der gut gebildeten, gehobenen Mittelschicht stammen und meist in einem (groß-)städischen Umfeld leben, sie besuchen beruflich und privat oft die gleichen Abendveranstaltungen, haben eine gewisse Nähe zu Politiker:innen und sind dem Einfluss von Lobbyist:innen ausgesetzt – dies führt zu einem bestimmten Blick auf die Welt. Journalist:innen sehen sich heute gleichzeitig anderen Herausforderungen konfrontiert: Es gibt immer weniger Jobs, vor allem so gut wie keine Festanstellungen mehr, die Ausbildung hat sich verschlechtert, es stehen weniger Zeit und finanzielle Mittel in den Redaktionen zur Verfügung. Nachrichten entstehen heute im Minuten-, ja Sekundentakt. Als Journalist:in kommt man wenig raus aus der Großraumredaktion in Kontexte, die die Lebenserfahrung derer prägen, für die sie berichten.
Sie sind von Beginn an seit 1997 bei der Initiative Nachrichtenaufklärung aktiv. Ist es seither für Verborgenes leichter geworden, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen?
Vor knapp 30 Jahren haben die ersten Non-Profit-Organisationen Pressestellen eingerichtet und ihre Kommunikationsarbeit professionalisiert. Damals fokussierte die Auswahl von Nachrichten durch Journalist:innen vor allem auf Sensationelles, Personenzentriertes, regional Bedeutsames. Es gab weniger professionell an Medien herangetragene Themenvorschläge. Das hat sich gewandelt. Deshalb bekommen wir inzwischen mehr Themen aus der Bevölkerung und aus unseren studentischen Seminaren. Kontinuität gibt es in unserer Zusammenarbeit mit Journalistenausbildungsstellen, um gerade da den Blick zu schärfen: Wo gibt es noch Unentdecktes? Welche Themen haben mehr Öffentlichkeit verdient?
Der mediale Diskurs muss oft auch dorthin gelenkt werden, wo es Missstände gibt, oder?
Ja, auch in dem Kontext sehen wir eine Veränderung. In der Vergangenheit gab es deutlich mehr Medien und mehr gut ausgebildete Journalist:innen, inzwischen gibt es mehr Profis in der PR in den Unternehmen und in der Politik. Diese können auch dafür sorgen, dass Themen eine andere Deutung oder Botschaft bekommen, dass sie abgeschnitten werden oder gar nicht erst erwähnt werden. Journalist:innen sorgen nicht nur für das Agenda Setting, sondern sind auch am Agenda Cutting beteiligt. Es hat sich sehr viel verändert und wir würden sagen: Gerade, weil sich so viel verändert hat, ist es wichtiger denn je, vernachlässigte Themen aufzuzeigen und Begleitforschung zu den Gründen für die Vernachlässigung anzustellen.
Spielt auch eine Rolle, dass „only bad news good news“ sind?
Ja, das stimmt. Und selbstverständlich erregt unsere Top Ten selbst Aufmerksamkeit, weil wir die „schlechte Nachricht“ über die vernachlässigten Themen verkünden, weil wir häufig Missstände aufzeigen. Manchmal gibt es aber auch good news, wie das diesjährige Topthema. Dabei handelt es sich um die Phytosanierung, mit der durch Schwermetalle belastete Flächen und Gebiete umweltfreundlich gesäubert werden können. Durch das Verfahren kann sogar Lebensraum wiederhergestellt werden, dennoch findet sich dieser Lösungsansatz in den Medien kaum wieder.
Wie ist es generell um den Nachrichtenkonsum bei den Leser:innen, Hörer:innen und Seher:innen bestellt?
Wir sehen eine gewisse Nachrichtenmüdigkeit oder gar eine Nachrichtenvermeidungstendenz. Viele informieren sich, teilweise sogar ausschließlich, über die sogenannten sozialen Medien. Die von den US-amerikanischen Plattformen verfolgte Logik der Informationsauswahl und Verbreitung ist aber demokratiegefährdend: Sie treibt die Nutzerinnen und Nutzer in ihre Bubbles, wo unterschiedliche Positionen wenig Platz haben und keine professionelle Einordnung von Geschehnissen passiert. Gleichzeitig fährt das Business-Modell des klassischen Journalismus gerade gegen die Wand, wobei die Medienhäuser noch kein Rezept gegen die Krise gefunden haben. Wir müssen aber auch sehen, dass wir hierzulande in einer glücklichen Position sind: Während wir darüber diskutieren, ob die ORF-Gehälter angemessen sind, werden anderswo Journalist:innen entführt, gefoltert und getötet.
Welche Erkenntnisse gewinnen Sie dazu im Austausch mit Ihren Studierenden?
Ich sehe hier eine große Reflexionsbereitschaft. In den Veranstaltungen fragen wir: Was erfahre ich, wenn ich mich ausschließlich über Klagenfurt Elite informiere? Was hat das für eine Wirkung? Brauchen wir das schnell hochgeladene Bild von einem Unfall, das ein Passant mit einem Handy gemacht hat, oder was würden wir in einem professionell aufbereiteten Bericht, zum Beispiel mit einem Statement der Polizei, erfahren? Ist das, was in den Medien stattfindet, aufklärend und erhellend? Ist das ein Diskurs, der es uns erlaubt, Positionen auszutauschen? Viele unserer Studierenden wollen „irgendwas mit Medien“ machen. Ich versuche, ihnen Gelegenheit zu geben, „etwas Konkretes mit Medien“ daraus zu machen.
Zur Initiative Nachrichtenaufklärung
Die Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. ist eine medienkritische Nicht-Regierungsorganisation. Sie macht die Öffentlichkeit regelmäßig auf Themen und Nachrichten aufmerksam, die von den deutschen Massenmedien vernachlässigt werden. Einmal jährlich präsentiert die INA die Top Ten der vernachlässigten Nachrichten. Jörg-Uwe Nieland ist seit der Gründung Teil der Initiative, die jährlich auch den Günter-Walraff-Preis für investigativen Journalismus vergibt. Nieland ist Senior-Scientist am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt.