Helden und Heilige
Deutsche Texte in Einbandfragmenten lateinischer Kloster-Handschriften
Neue Funde – Neue Einsichten
Falzstreifen in situ Foto ÖNB
Beim Blick in mittelalterliche Kloster-Handschriften fallen pergamentene Makulaturobjekte wie Einbandblätter, Falzstreifen oder Schutzumschläge auf, deren Zweck sich in einer nachhaltigen Buchbindung zu erschöpfen scheint. Sieht man aber genauer hin, so enthalten diese Objekte oftmals selbst Texte, die jedoch auf Grund der Fragmentierung nur noch schwer zu identifizieren sind. Sie sind Überbleibsel untergegangener Bildungs- und Lesekontexte und legen Zeugnis ab von Paradigmawechseln in der Entwicklung der mittelalterlichen Wissenskultur. Die dahinterstehende intellektuelle Dynamik wurde u.a. durch geistliche Reformbewegungen (z.B. Melker Reform, Devotio moderna) erzeugt und zielte auf bewusste Wissensselektion. „Verbraucht“ wurden die materialen Träger des exkludierten Wissens. Erhalten blieb das unter dem Maßstab des jeweiligen Hier und Jetzt Relevante. Auch die mittelalterliche Bibliothek war also ein dynamischer Raum.
In den Handschriften der UB Klagenfurt wurden im Laufe der Zeit Fragmente zentraler Texte der mittelalterlichen Adelskultur aufgefunden. Die prominentesten unter ihnen sind das Nibelungenlied-Fragment PE 46, das aus der Handschrift PA 152 – einer im 15. Jh. für den Eigenbedarf eines Geistlichen zusammengestellten Sammlung von Predigtmaterialen – ausgelöst wurde und zu den ältesten Textzeugen des NL gehört, ferner das Iwein-Fragment PE 63, das ebenfalls aus einer Predigtsammlung (Frühdruck II FD 10022, 1509) stammt, und das Lanzelet-Fragment PE 47, ausgelöst aus der Handschrift PA 23 (= Missale Romanum cum Calendario, 1476, St. Paul). Auch das Dorothea-Fragment KLA Hs. GV 6/30 stammt aus einem geistlichen Kodex („Riesenbibel“, KLA Hs. GV 4/6). Neu entdeckt wurden u.a. ein Buchrückenfragment der Virginal (PE 74) und ein Einbandfragment der Hieronymus-Briefe in der Übersetzung von Johannes von Neumarkt (PE 73). Die Reihe der Neuentdeckungen ließe sich beträchtlich erweitern und verweist auf eine nicht unerhebliche Dunkelziffer.
Jedes einzelne Objekt birgt seine individuelle, oft überraschende Geschichte. Im Prämonstratenser-Stift Schlägl wurden z.B. Iwein-Fragmente aufgefunden, die ursprünglich zur gleichen Handschrift gehörten wie die Klagenfurter Fragmente. Dies verweist auf einen gemeinsamen dritten Ort, an dem die ehemalige Iwein-Handschrift makuliert und für die Restaurierung bzw. Neueinbindung mehrerer Objekte wiederverwendet wurde. Diese nahmen dann ihren Weg hin zu verschiedenen Besitzern. Der Prozess des Recyclings würde sich somit von einer einzelnen klösterlichen Institution ablösen und eine nachgerade professionelle Dimension erhalten.
Die Ausstellung möchte auf das vielversprechende Forschungsfeld zur Geschichte untergegangenen Wissens aufmerksam machen.
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