„Der Klimawandel ist ein Thema der Weltliteratur.“
Der Klimawandel und die Folgen für das Leben auf der Erde sind die wohl drängendsten gesellschaftlichen Probleme. Die Naturwissenschaften bieten uns Modellierungen und Berechnungen von Katastrophen. Julia Hoydis, Professorin am Institut für Anglistik und Amerikanistik, meint, dass wir in der Bewältigung mit den Naturwissenschaften alleine nicht weiterkommen, sondern auch andere Antworten brauchen. Diesen will sie im vom FWF geförderten Projekt „Just Futures? Approaching Cultural Climate Models“ auf den Grund gehen.
Was möchten Sie mit Ihrem Forschungsprojekt erreichen?
Das Projekt hat das große Ziel, eine interdisziplinäre Antwort zu geben, wie Klimazukünfte aussehen können und wie diese – ergänzend zu Zahlen und Statistiken – in Texten modelliert werden können. Wir werden publizieren und unsere Erkenntnisse in die Lehre integrieren. Wir wollen aber auch außerhalb des in der Wissenschaft Üblichen unsere Ergebnisse nach außen kommunizieren. So wird eine Künstlerin eine interaktive Website erstellen, die die Erkenntnisse anschaulich machen soll.
Was können literarische Texte, was Zahlen und Statistiken nicht können?
Sie können auf andere Art Komplexität reduzieren und Sachverhalte anschaulich machen. Sie können ein Szenario so darstellen, dass man sich durch die Charaktere in den Geschichten einfühlen kann. Die Lesenden oder Zuschauer:innen werden anders berührt als durch Zahlen, die man erst verstehen muss. Das geht auch über das Emotionale hinaus. Man kann das so Erfahrene auch in Beziehung setzen zu anderen Werten und kulturellen Themen.
Verstehen Sie Literatur als deskriptiv oder auch als erziehend?
Wir haben in dem Projekt auch einen Kollegen aus der Fachdidaktik dabei, der sich ganz spezifisch dieser Frage widmet: Wie kann man die nächsten Generationen auf die sich aktuell anbahnenden Krisen vorbereiten? Generationengerechtigkeit ist auch ein Fokus im Projekt. Wir schauen uns außerdem auch verschiedene Textsorten an. Manche davon sind pädagogischer als andere. Literatur ist kein Ratgeber: Es ist nicht so, dass alle Menschen den einen richtigen Text lesen und sich dann magisch auf die eine richtige Weise verhalten. Aber Literatur kann schon einen Effekt haben. Wir interessieren uns für beides: Wie werden Klimazukünfte beschrieben, welche Normen sind enthalten und wie wirkt das auf die Menschen, die sich mit den Texten auseinandersetzen?
Welches Material wählen Sie für Ihre Analysen?
Wir schauen uns verschiedene Medien an: Essays, biographische Texte, Theaterstücke, Social-Media-Posts, Lehrmaterialien und auch Romane. Das ist eine große Bandbreite von Texten. Dargestellt werden auch viele dystopische Aspekte. Wir sehen aber, dass viele Autor:innen nicht mehr ferne Zukünfte mit ihren Katastrophen beschreiben, sondern mit ihren Texten immer realistischer werden. Die Klimazukünfte rücken immer mehr in die Gegenwart.
Gibt es auch optimistische Klimazukünfte in den Texten, die Sie aufspüren?
Auch wir stellen uns die Frage: Wie können diese Texte Hoffnung machen? Wichtig ist ja, dass wir Menschen handlungsfähig bleiben, weil wenn man aufgibt, braucht man auch nicht mehr zu lesen. Wir finden auch zunehmend Geschichten mit Enden, die offen sind. Da kann man sich dann denken: Ja, es geht weiter. Vielleicht auch nicht für die ganze Menschheit, aber das sind oft Geschichten, wo ein paar überleben und man die Hoffnung hat, dass es eine Form von Kontinuität und Zukunft gibt.
Findet das große Thema Klimakrise genug Platz in der Literatur und im Theater?
Die Literatur war, speziell im deutschsprachigen Raum im Vergleich zur englischsprachigen Literatur, etwas später dran. Das Drama folgte noch ein bisschen später. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren wurde der Klimawandel aber immer präsenter. Heute kann man sagen: Der Klimawandel ist ein Thema der Weltliteratur.
Gibt es in der Literaturgeschichte einen anderen Zeitpunkt, wo man vor so einer Wand stand, wie wir in dieser Frage? Können Sie sich auf etwas Historisches beziehen?
Ich denke, es gab immer wieder Momente, zu denen man gedacht hat: Das war es jetzt. Die Welt geht unter. Das gab es Ende des 19. Jahrhunderts, dann kamen auch die Weltkriege. Die Ideen der Apokalypse kann man jahrhundertelang zurückverfolgen. In dem Ausmaß, das wir aktuell erleben, ist das etwas Neues, vor allem, weil die gesamte Natur mitbetroffen ist. Die Idee einer Massenauslöschung von allem Leben ist etwas Neues.
Auch wenn es nicht das eine richtige Buch gibt, wie Sie bereits sagten: Gibt es ein Werk, das Sie unseren Leser:innen empfehlen wollen, die sich auf die Auseinandersetzung mit Klimazukünften einlassen wollen?
Ein spannender, aktueller Roman ist Under the Blue (2021) von Oana Aristide, er entwirft ein Szenario in dem Klimazukunft, Pandemie und KI zusammengebracht werden.
Webseite zum Projekt: https://www.cultural-climate-models.org/
Zur Person
Julia Hoydis ist seit März 2023 als Professorin für Literaturwissenschaft am Institut für Anglistik und Amerikanistik tätig. Sie studierte Englische Philologie, Medienwissenschaften und Philosophie an der Universität zu Köln. 2010 promovierte sie dort in der englischen Literaturwissenschaft im Bereich der postkolonialen Studien. Ihre Habilitation verfasste sie mit dem Titel „Risk and the English Novel. From Defoe to McEwan“ und erhielt 2018 die Lehrbefugnis (venia legendi) für das Fach Englische Literatur- und Kulturwissenschaft. Julia Hoydis war Lektorin an der University of Cambridge (Murray Edwards College), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Englischen Seminar der Universität zu Köln (2010-2019), Gastprofessorin an der Universität Duisburg-Essen (2020-2022) und Professorin für Englische Literatur und Kultur an der Universität Graz (2020-2021). Bis zu ihrer Berufung an die Universität Klagenfurt war sie an der Universität zu Köln wissenschaftliche Koordinatorin des Zentrums für Multidisciplinary Environmental Studies in the Humanities (MESH). Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte und Entwicklung des englischen Romans (vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart), Erzähltheorie, Literatur und (Natur)Wissenschaft, Posthumanismus und neuere digitale Erzählformen, postkoloniale Studien sowie Ecocriticism.