Forschung für bessere Empfehlungssysteme: Dietmar Jannach im Interview
Dietmar Jannach ist Professor am Institut für Artificial Intelligence und Cybersecurity. Er hat mehr als 150 Publikationen in Bereichen wie Recommender Systems, wissensbasierte Systementwicklung, Constraint-basierte Systeme, semantische Webanwendungen und Web Mining sowie Software Engineering verfasst. Unter anderem ist Jannach Mitautor des Buches „Recommender Systems: An Introduction“. Zudem ist er Co-Editor-in-Chief der neuen Zeitschrift ACM Transactions on Recommender Systems (TORS).
Wir haben mit Jannach über seinen Forschungsbereich Recommender Systems gesprochen und darüber, wie sich dieser in den letzten Jahren (weiter-)entwickelt hat. Jannach hat uns auch über seine neuen Aufgaben und Ziele für TORS erzählt.
Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihren aktuellen Forschungsbereich (Recommender Systems). Worum geht es und womit beschäftigen Sie sich?
An vielen Stellen im Internet werden uns heute personalisierte Empfehlungen gemacht, zum Beispiel welche Musik wir hören sollten, welche Filme für uns interessant sein könnten, oder was wir sonst noch im Online-Shop kaufen könnten. In gleicher Weise entscheiden heutzutage Algorithmen auch auf sozialen Medien, welche Inhalte wir angezeigt bekommen. In unserer Forschungsgruppe beschäftigen wir uns mit verschiedenen Aspekten der dahinterliegenden Empfehlungssysteme (Recommender Systems). Zum einen gibt es hier laufend neue Entwicklungen hinsichtlich ständig verbesserter Algorithmen, die entscheiden, was den Benutzer*innen angezeigt werden soll. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig zu verstehen, welche Wirkung diese Empfehlungen sowohl auf Benutzer und Unternehmen als auch auf die Gesellschaft als Ganzes entfalten können. So kann es durchaus auch negative Auswirkungen geben, zum Beispiel, wenn Empfehlungssysteme auf sozialen Medien die Verbreitung von Falschinformationen verstärken.
Inwieweit hat sich dieser Forschungsbereich in den letzten Jahren entwickelt? Wo funktionieren Recommender Systems heute schon gut und wo nicht?
Empfehlungssysteme haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem eigenständigen und sehr aktiven Forschungsbereich entwickelt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das über die Jahre kontinuierlich steigende Interesse von Unternehmen, die diese Technologien für sich erfolgreich nutzen. Die führenden internationalen Unternehmen in diesen Bereichen sind hier oft eng mit der akademischen Forschung verbunden.
Empfehlungssysteme funktionieren heutzutage in manchen Anwendungsbereichen oft erstaunlich gut, z.B., wenn es darum geht, uns bisher nicht bekannte Musik oder Künstler*innen vorzuschlagen. Auch die Empfehlungen auf TikTok werden aktuell als sehr effektiv angesehen. An anderen Stellen wirken Empfehlungen aber oft noch ziemlich verbesserungswürdig – ich denke zum Beispiel an Jobempfehlungen auf einzelnen sozialen Plattformen. Hier liegt eine der Schwierigkeiten sicher in der Unschärfe und Unvollständigkeit der Daten, auf denen die Empfehlungsverfahren aufsetzen.
Mit welchen Methoden werden Recommender Systems heute weiterentwickelt?
Im industriellen Umfeld und bei großen Unternehmen wie Netflix oder Spotify werden laufend sogenannte A/B-Tests durchgeführt. Bei dieser Art von Feldtests werden einem Teil der Nutzer für einige Zeit Empfehlungen mit einem veränderten und hoffentlich verbesserten Empfehlungsverfahren angezeigt. Nach dem Ablauf des Tests wird das Verhalten dieser Testbenutzer*innen mit dem Verhalten der Benutzer*innen verglichen, die Empfehlungen mit dem alten System erhalten hatten. Wenn die Performance des neuen Systems dann besser ist – zum Beispiel, wenn mehr Dinge gehört oder gekauft wurden – wird dieses nachfolgend in den Produktivbetrieb übernommen.
Im akademischen Umfeld kann man an solchen Tests selten mitwirken. Der überwiegende Teil der Forschung basiert daher auf datenbasierten Experimenten. Dazu werden zuvor aufgezeichnete Daten herangezogen, zum Beispiel, ob ein Benutzer ein „Like“ für einen Film gesetzt hat oder nicht. Das Ziel ist es dann, laufend verbesserte Verfahren aus dem Bereich des maschinellen Lernens zu entwickeln, die diese „Likes“ für jeden einzelnen Benutzer korrekt vorhersagen. Neben diesen datenbasierten Methoden gibt es noch die Möglichkeit, Benutzerstudien durchzuführen, bei denen die Studienteilnehmer zumeist mit einem eigens für die Studie entwickelten Empfehlungssystem interagieren und dann ihre subjektiven Eindrücke bekanntgeben.
Sie sind Co-Editor-in-Chief (zusammen mit Li Chen von der Hong Kong Baptist University) der neuen Zeitschrift ACM Transactions on Recommender Systems (TORS). TORS ist die erste Zeitschrift ihrer Art, die sich ausschließlich mit verschiedenen Aspekten von Empfehlungssystemen beschäftigt. Wie geht es Ihnen mit Ihrer neuen Aufgabe? Welche Ziele haben Sie für TORS?
Nachdem eine Vielzahl an Vorbereitungs- und Koordinationsarbeiten nunmehr erledigt ist, geht es mit dem neuen Journal soweit sehr gut. Es muss jedoch gerade jetzt in der Anfangsphase noch sehr viel Arbeit investiert werden, um das Journal bekannt zu machen, gute Beiträge zu bekommen und über die Jahre dann eine gewisse Reputation zu erlangen. Wir konnten glücklicherweise sehr viele internationale Koryphäen gewinnen, die für das Journal als Editoren fungieren und hoffen daher, dass die Sache sich wie geplant entwickelt.
Mit dem Journal wollen wir in der Zukunft das zentrale internationale Publikationsmedium im Bereich der Empfehlungssysteme werden. Derzeit werden Aufsätze zu dem Thema in verschiedensten Journalen publiziert, zum Beispiel in Journalen, die sich der Künstlichen Intelligenz im Allgemeinen widmen. ACM TORS soll im Gegensatz eine Plattform sein, in der Arbeiten zu Empfehlungssystemen aus verschiedensten Perspektiven veröffentlicht werden können. Dies umfasst nicht nur algorithmische Arbeiten, sondern insbesondere auch Aufsätze, die sich mit Fragen der Benutzerschnittstelle befassen oder Studien, die die Wirkung von Empfehlungssystemen auf das Entscheidungsverhalten der Benutzer untersuchen.