Unsere Leseempfehlungen für die Advent- und Weihnachtszeit 2021
Die Gelegenheiten für freudvolle Zusammentreffen sind in diesen Tagen eingeschränkt. Umso wertvoller wird wieder das, was die Begegnung mit Literatur zu bieten hat: Ausflüge in unbekannte Welten, Erhellendes und Einleuchtendes, Bewegendes und Bewegtes. Mitarbeiter*innen der Universität Klagenfurt empfehlen folgende Bücher für die (Vor-)Weihnachtszeit – entweder, um sie selbst zu lesen oder um sie zu verschenken. Wir wünschen: Schöne Lektüre!
Fredrik Backman (2021). Eine ganz dumme Idee. Goldmann Verlag.
Ein ganz bezaubernder Roman voller großer Gefühle, Humor und Tiefsinn. Für all jene, die an das Gute im Menschen glauben, für Zusammenhalt einstehen und die Liebe feiern. Herzerwärmend!
Eine englische Übersetzung ist auch erhältlich: Anxious people.
Eine Empfehlung von Nataša Ottowitz (Universitätsbibliothekt)
Franz Werfel (2016). Eine blaßblaue Frauenschrift. Verlag Kröner.
Diese psychologisch feinfühlige Erzählung, die mit Recht zu den „Preziosen der österreichischen Literatur“ gezählt wurde, spielt 1937 in der Zeit des Antisemitismus und entfaltet die Bewährungsprobe eines auch durch Heirat gesellschaftlich avancierten Sektionschefs, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird: durch den Bittbrief einer ihm charakterlich überlegenen Jüdin, mit der er früher einen Seitensprung gewagt hat …
Eine Empfehlung von Barbara Neymeyr (Institut für Germanistik)
Isaac Asimov (2017). Die Foundation-Trilogie. Heyne Verlag.
Ich habe als Teenager Isaac Asimovs „Foundation“ aus der Kremser Stadtbibliothek ausgeliehen und gelesen. Das Buch habe ich dann wieder vergessen.
Als ich die Ankündigung fuer die neue Fernsehserie „Foundation“ sah (bzw Paul Krugmans Verriss davon), habe ich (bis jetzt zumindest) die ersten beiden Bände nochmal gelesen. Es geht in der Foundation-Serie um vieles, das sich über sehr lange Zeiträume erstreckt (was sie für eine einigermaßen textnahe Verfilmung nicht unbedingt qualifiziert), aber die thematische Klammer wird durch die Wissenschaft der psychohistory hergestellt, eine mathematische Sozialwissenschaft, die langfristige Gesellschaftsdynamiken erklären und dadurch auch akkurat vorhersagen kann.
Asimov hat den ersten teil dieser Geschichten 1942 geschrieben, zwei Jahre vor Neumann & Morgensterns „Theorie der Gesellschaftsspiele,“ dem offiziellen Geburtsjahr der Spieltheorie. Psychohistory setzt an Aggregaten an und kann Individualentscheidungen deshalb nicht erklären, ist also in gewissem Sinn das Gegenteil der Spieltheorie. Aber der Sinn ist der Gleiche: Beide verstehen sich als umbrella science der gesamten Sozialwissenschaften, einer Methode, die das Feld einen und methodisch voranbringen soll. Krugman schreibt, er hätte wegen dieser Vision begonnen, (Makro)ökonomie zu studieren. Ich würde gerne wissen, wie viele Spieltheoretiker*innen einen Teil ihrer Motivation aus diesem Buch geschöpft haben.
Eine Empfehlung von Paul Schweinzer (Institut für Volkswirtschaftslehre)
Alice Munro (2013). Dear Life. Random House UK.
Alice Munro schafft es, in diesen Kurzgeschichten mehr zu erzählen als andere auf Hunderten von Seiten. Ihre starken Figuren sind facettenreich und folgen keinen Schablonen und werden uns mit beeindruckend schöner Sprache vorgestellt.
Eine Empfehlung von Irina Andreitz (Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung)
Monika Helfer (2021). Die Bagage. DTV.
Die Vorarlberger Autorin schreibt über die Geschichte ihrer Familie mütterlicherseits. Im Zentrum steht die schöne, allerseits begehrte Großmutter, die damaligen Lebensumstände für eine kinderreiche Familie, der Großvater im Krieg und ein Kind, für das er die Vaterschaft nicht annehmen kann.
Eine Empfehlung von Heide Steinwidder (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung)
(2021). Identitti. Hanser Verlag.
Der Debütroman „Identitti“ von Mithu Sanyal setzt sich zentral mit Fragen der Identitätspolitiken auseinander v.a. mit der Frage „Was ist race?“. Dabei werden Konstrukte wie Identitäten, Rassismen und Sexualitäten witzig und originell verhandelt. Absolut lesenswert!!!
Eine Empfehlung von Kirstin Mertlitsch (Universitätszentrum für Frauen- und Geschlechterstudien)
Peter Heller (2019). Der Fluss. Nagel & Kimche.
Ein Kanu-Abenteuer in der kanadischen Wildnis wird zum Überlebenskampf, als ein Waldbrand den beiden Freunden Jack und Wynn immer näher kommt. Packender Thriller, der die Leser*innen lange im Ungewissen lässt und die Frage stellt, was gefährlicher ist: Die wilde Natur oder die Abgründe des Menschen?
Eine Empfehlung von Katharina Perschak (Institut für Germanistik)
Irene Cívico & Sergio Parra (2019). Las chicas van donde quieren: 25 aventureras que cambiaron las historia. Montena.
This book served to a great inspiration to me and my daughter (10 years old). She said: “This book brought to me the lives of great women in history.“
Eine Empfehlung von Glenda Garcia-Santos (Institut für Geographie und Regionalforschung)
Christopher Hood (1998). The Art of the State: Culture, Rhetoric and Public Management. Clarendon Press.
Ein schön geschriebener und leicht zu lesender Klassiker des ehemaligen Professors für Public Management an der London School of Economics and Political Science mit einem kulturanalytischen Ansatz zur Erklärung des häufigen Scheiterns öffentlicher Organisationen (Krankenhäuser, Universitäten, Schulen, Ministerien, Stadtverwaltungen, usw.) und was dagegen getan, oder nicht getan, werden kann.
Eine Empfehlung von Paolo Rondo-Brovetto (Institut für Öffentliche Betriebswirtschaftslehre)
Dirk Brockmann (2021). Im Wald vor lauter Bäumen: Unsere komplexe Welt besser verstehen. DTV.
Food for thought.
Der Physiker Dirk Brockmann erklärt die Welt. Er beschreibt grundlegende Muster und sucht nach faszinierenden Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Phänomenen in unserer komplexen und vernetzten Welt: Was hat eine Pandemie mit einem Sandhaufen zu tun? Wie können Murmeln dabei helfen, die Klimakrise besser zu verstehen? Wieso haben ihre Bekannten mehr Freunde als Sie? Sein populärwissenschaftliches Buch „Im Wald vor lauter Bäumen“ ist ein Augenöffner. Mir persönlich gibt dieses Buch viele Denkanstöße, auch für die Forschung.
Eine Empfehlung von Christian Bettstetter (Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme)
Richard David Precht (2021). Von der Pflicht. Goldmann Verlag.
Ich empfehle dieses Buch, weil es den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft schön beschreibt und hervorragende philosophische Überlegungen betreffend Umgang mit der Pandemie und Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten anbietet. Precht nimmt die Corona-Krise zum Anlass, um die Pflichten des Fürsorge- und Vorsorgestaates zu prüfen. Er hinterfragt ebenso die Pflichten von Bürger*innen, zumal sich der weitaus größere Anteil der Bevölkerung solidarisch verhält, während sich eine Minderheit „entpflichtet“ und gegen den Staat rebelliert. „Als politisch interessierter Philosoph beschäftigt mich vor allem eines: Wie werden Rechte und Pflichten, seit jeher ein großes Thema der Philosophie, heute wahrgenommen? Wie sehen sich Menschen als Staatsbürger*innen? Was denken sie, was ihnen zusteht, und worin sehen sie ihre staatsbürgerliche Pflicht? Wie gestaltet sich das Spannungsfeld von Pflicht und Recht, Gefahr und Maßnahme, Besonnenheit und Wahn, Leben und Tod? Und was verrät uns die Krise über den diesbezüglichen Zustand der Gesellschaft?“ (S.11-12)
Diese Fragen analysierend führt er ein sich zuspitzendes Dilemma vor Augen: Einerseits sind wir darauf konditioniert, egoistische Konsument*innen zu sein und das eigene Wohl als höchstes Gut anzusehen. Andrerseits braucht der Staat zu seinem Funktionieren genau das Gegenteil, nämlich solidarische Bürger*innen, die das Gemeinwohl als höheren Wert ansehen und entsprechend handeln. „Wenn alle ein Maximum an Freiheit bei einem Miminum an Pflichtgefühl leben, steuert die Demokratie in den Zustand der Unregierbarkeit, in die Anomie“ (S. 167-168).
Um das zu verhindern, braucht der Staat gewissermaßen eine Stärkung seiner Grundrechte. „Nur wenn das marktwirtschaftliche „Individualprinzip“ des persönlichen Vorteilsstrebens durch ein durchdachtes „Sozial- und Humanitätsprinzip“ ausgeglichen wird, können freiheitliche Staaten gelingen.“ (S.141). Es sollten die „üblichen Bürger*innenpflichten“ neu definiert werden; er plädiert hier für eine Art politischer Bildung – eine Einübung in staatsbürgerliche Pflichten („Gesellschaftsjahre“).
Eine Empfehlung von Barbara Lesjak (Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung)
Lars Amend (2019). It’s all good. Ändere deine Perspektive und du änderst deine Welt. Kailash.
Im Buch geht’s darum zu erkennen, welche Dinge wirklich von Wert sind im eigenen Leben. Sei es die Wertschätzung der Familie oder der Mut, für seine eigenen Träume einzustehen. Er beschreibt in seinem Buch die Wichtigkeit jeden Augenblick des Lebens zu genießen und gibt Morgenroutinen oder Glücks-Challenges vor die dabei nützlich sein können. „Du brauchst nichts und musst nichts sein, außer du selbst. Es ist alles nur eine Frage der Perspektive. Alles ist gut so, wie es ist.“ (Lars Amend in It‘s all good)
Eine Empfehlung von Anna Weißenbrunner (Universitätssportinstitut)
Harald Welzer (2021). Nachruf auf mich selbst. S. Fischer.
Bestseller-Autor Harald Welzer stellt fest, dass unsere Kultur kein Konzept vom Aufhören hat. Deshalb baut sie Autobahnen und Flughäfen für Zukünfte, in denen es keine Autos und Flughäfen mehr geben wird. Und sie versucht, unsere Zukunftsprobleme durch Optimierung zu lösen, obwohl ein optimiertes Falsches immer noch falsch ist. Damit verbaut sie viele Möglichkeiten, das Leben durch Weglassen und Aufhören besser zu machen. Diese Kultur hat den Tod genauso zur Privatangelegenheit gemacht, wie sie die Begrenztheit der Erde verbissen ignoriert.
Harald Welzer zeigt in einer faszinierenden Montage aus wissenschaftlichen Befunden, psychologischen Einsichten und persönlichen Geschichten, wie man aus den Absurditäten dieser gesellschaftlichen Entwicklung herausfindet.
Man muss rechtzeitig einen Nachruf auf sich selbst schreiben, damit man weiß, wie man gelebt haben will.
Eine Empfehlung von Christa Herzog (Universitätsbibliothek, Sondersammlung)
Ianina Ilitcheva (2015). 183 Tage. Kremayr & Scheriau.
Einige Jahre vor der kollektiven Erfahrung von Social Distancing hat sich die Autorin Ianina Ilitcheva freiwillig für 183 Tage in soziale Isolation begeben. Aus ihren Erlebnissen in der Einsamkeit dichtet, erzählt und zeichnet Ianina Ilitcheva in dem wunderschön aufbereiteten Buch über die Leiden und Freuden des Alleinseins, über ihre Hoffnungen und Ängste und nimmt eine poetische Interpretation der Lockdowns vorweg.
Eine Empfehlung von Thomas Hainscho (Universitätsbibliothek, Karl-Popper-Sammlung)
Abbas Kiarostami (2015). A Wolf on Watch: Poems. Sticking Place Books.
Abbas Kiarostami, der uns vor allem als Autor von Filmen (Der Geschmack der Kirsche, Der Wind wird uns tragen, 10), bekannt ist, hat nicht nur längere und kürzere Filme, von ihm mitunter auch „Ein-Wort-“ oder „Zwei-Wort-Filme“ genannt, gemacht, sondern auch Gedichte geschrieben. In wenigen Worten evozieren sie Bilder und Bewegtbildfolgen und fungieren als Wortgebilde, die unseren Alltag verwandeln und leicht machen können. Leider sind fast alle Gedichtbände von ihm vergriffen. Dieser ist noch erhältlich. Ein besonders schönes Beispiel aus einer leider derzeit nicht erhältlichen deutschsprachigen Gedichtsammlung:
Ein roter Apfel
Dreht sich in der Luft
Tausendmal
Und fällt
Einem ausgelassenen Kind in die Hände
Eine Empfehlung von Anna Schober (Institut für Kulturanalyse)
Die Reading List zu Weihnachten 2021 wird unterstützt von der Buchhandlung Heyn. An den Mittwochen vor Weihnachten verlosen wir auf unseren Social-Media-Plattformen Buchgutscheine.