Wohnen für Alle?! Veranstaltungsreihe lädt alle zum Mitdiskutieren ein

Das Thema „Wohnen“ bestimmt seit mehreren Jahren maßgeblich städtische Debatten und stadtpolitische Auseinandersetzungen. In vielen Städten erheben Initiativen und soziale Bewegungen die Forderung nach „Wohnraum für alle!“ und nach einer sozialen Wohnungspolitik. Eine Online-Ringvorlesung in diesem Wintersemester nimmt dies zum Anlass, aus geographischer Perspektive die Ursachen und Folgen der Wiederkehr der Wohnungsfrage zu beleuchten, sie präsentiert Entwicklungen wie auch konkrete Projekte aus verschiedenen Städten und fragt nach politischen Alternativen. Wir haben mit dem Mitveranstalter Michael Mießner vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Klagenfurt über das Thema gesprochen.

Der Titel der Veranstaltungsreihe lautet „Wohnen für alle?!“ mit einem Fragezeichen und einem Rufzeichen. Wer stellt das Wohnen für alle in Frage und an wen richtet sich ein Appell?

Obwohl letztlich ja jede*r wohnen muss, steht heute vieles in Frage: Mittlerweile können sich viele das Wohnen nicht mehr so einfach leisten. Die Kosten steigen und einkommensschwache Familien sind vielerorts dazu gezwungen, in kleinere Wohnungen zu ziehen. Insofern wird Wohnen zu einem relevanten sozialen Problem. Mit dem Rufzeichen geht gleichzeitig die Aufforderung an die Politik einher, Wohnraum für alle sicherzustellen.

Was ist denn in den letzten Jahren passiert, dass sich dieses Problem so zugespitzt hat?

Da spielen mehrere Problemlagen zusammen. Einerseits haben wir die so genannte „Finanzialisierung der Immobilienwirtschaft“. Angesichts niedriger Zinsen und mangelnder anderer Anlagemöglichkeiten suchen Investor*innen nach neuen profitablen Anlagesphären – und finden sie in Gebäuden und gebauter Infrastruktur. Die Logik der Profitmaximierung wird so in einem Feld verstärkt, das zumindest im deutschsprachigen Raum vor 20 Jahren noch nicht so stark von Renditeinteressen getrieben war. Dadurch steigen auch die Mieten.

Wird auch die Nachfrage höher?

Ja, aber nicht überall. Wir haben es mit einer stark ungleichen räumlichen Entwicklung zu tun. Insbesondere Städte wachsen. Dadurch gibt es eine erhöhte Nachfrage, die um vorhandenen Wohnraum konkurriert. In dieser Situation ist es für Vermieter*innen und Investor*innen leichter, höhere Mieten durchzusetzen.

Gleichzeitig wollen aber auch immer mehr Menschen am Land leben, oder?

Die Pandemie hat hier einer Entwicklung einen zusätzlichen Push gegeben, aber diese zum Teil gegenläufigen Bewegungen gab es auch schon vorher. Wir sehen vor allem im Umland von Städten schon etwas länger einen starken Anstieg von Mietpreisen. Hinzu kommt, dass es zum Beispiel in Österreich auch die Touristifizierung von Landstrichen gibt, wo die einheimische Bevölkerung mit Ferienwohnungsbesitzer*innen um Wohnraum konkurriert.

Wohin geht die Entwicklung insgesamt?

Wir sehen, dass Wohnverhältnisse immer prekärer werden. Es gibt beispielsweise Berichte darüber, dass Zimmer untervermietet werden, um die Wohnung halten zu können. Gleichzeitig sehen wir auch, dass Menschen zunehmend in weniger gute Wohnlagen mit schlechtem Sanierungsstand gedrängt werden oder eine hohe private Verschuldung in Kauf nehmen müssen, um Wohnen zu können. Weil: Wohnen muss man.

Welche Möglichkeiten gibt es denn, dem entgegen zu wirken? Muss einfach mehr gebaut werden?

Nein, das ist nicht nur eine Frage von Bauen, Bauen, Bauen. Letztlich muss der Kreislauf durchbrochen werden, der dafür verantwortlich ist, dass Wohnen nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisiert wird. Solange man mit Wohnen Geld verdienen kann, ist vorprogrammiert, dass die Mieten steigen werden. Das ist die grundsätzliche Perspektive, die manche der Vorträge andiskutieren werden.

Welche Wege schlagen Sie zum nicht-marktwirtschaftlichen Wohnungs“markt“ vor?

Der Lösungsweg wurde noch nicht gefunden; so haben wir beispielsweise in Berlin vor kurzem gesehen, dass der Mietendeckel gescheitert ist, der den ungebremsten Mietpreissteigerungen einen Riegel vorschieben hätte sollen. Wir brauchen aus meiner Sicht eine Stärkung des genossenschaftlichen Wohnens und kommunalen Wohnbaus. Weiters können – geschickt eingesetzt – planerische Instrumente, wie Erbbaurechte, Bodenbevorratung, soziale Erhaltungssatzungen oder städtebauliche Verträge dazu führen, dass die kommunale Wohnpolitik deutlich sozialer ausgerichtet wird.

Sie kommen aus einer Forschungstradition, die ein klares gesellschaftliches Anliegen verfolgt. Gibt es im Gegensatz dazu auch marktwirtschaftlich denkende Geograph*innen, die andere Ansätze haben?

Ja, die gibt es auch, und sie werden vor allem mit dem Argument „Bauen, Bauen, Bauen“ antworten. Aus der Perspektive der Kritischen Geographie ist es dagegen ein wichtiges Anliegen, sich für marginalisierte Gruppen einzusetzen, die unter aktuellen Raumentwicklungen zu leiden haben. In der Humangeographie hat man in den letzten Jahrzehnten gesehen, dass man in funktionierenden Städten die sozialen Belange der Menschen in den Vordergrund rücken muss. Da sich Humangeograph*innen mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen, müssen sie aber zwangsläufig zu gesellschaftspolitischen Debatten Stellung nehmen. Das ist ähnlich wie in anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fachdisziplinen.

 

Zur Person



Michael Mießner ist Postdoc-Assistent an der Universität Klagenfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kritische Geographie ländlicher und regionaler Entwicklung, Gentrifizierungs- und Wohnungsmarktforschung sowie Raumplanung.

Zur Veranstaltungsreihe



Vom 12.10.2021 bis 01.02.2022, jeweils dienstags, 16:30 Uhr bis 18:00 Uhr

Link zur Übertragung und Teilnahme: https://selfservice.zih.tu-dresden.de/link.php?m=128695&p=sgpzyllm

Link zur Veranstaltungsreihe: https://tu-dresden.de/bu/umwelt/geo/geographie/humangeo/die-professur/news/ringvorlesung-wohnen-fuer-alle

Veranstaltet von:

  • Technische Universität Dresden, Institut für Geographie, Professur für Humangeographie, Martin Ahlfeld, Judith Miggelbrink
  • Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Institut für Geographie und Regionalforschung, Michael Mießner, Matthias Naumann
  • Universität Trier, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Arbeitsgruppe Wirtschaftsgeographie mit Schwerpunkt Tourismusgeographie

Hören Sie zu und diskutieren Sie mit – Online-Vorlesungen für alle:

  • 10.2021: Wohnraum für wen eigentlich? Differenzierung von Wohnbedarfen und -wünschen, Jan Glatter (Stadtplanungsamt Dresden)
  • 10.2021: Unterstützungsinstrumente für das kooperative, bezahlbare Bauen und Wohnen in Leipzig, Jens Gerhardt (Netzwerk Leipziger Freiheit)
  • 11.2021: Finanzialisierung des Wohnens in Österreich, Elisabeth Springler (Fachhochschule des BFI Wien)
  • 11.20210: Die Wiener Wohnungspolitik als Erfolgsmodell gegen Verdrängung?, Justin Kadi (Technische Universität Wien)
  • 11.2021: Soziale Segregation und bezahlbares Wohnen in Dresden, Jan Glatter (Stadtplanungsamt Dresden)
  • 11.2021: Neue und alte Ungleichheiten der Wohnungsfrage – erläutert am Beispiel von Kurzzeitvermietungen, Christian Smigiel (Paris Lodron Universität Salzburg)
  • 11.2021: Wohnräume für wohnungslose Menschen. Zwischen „Trainingswohnen“ und „Housing First“, Nadine Marquardt (Universität Bonn)
  • 12.2021: Wohnen und Prekarisierung, Elisa Gerbsch (Technische Universität Dresden)
  • 12.2021: Bodenpolitische Instrumente, Alexandra Weitkamp und Andreas Ortner (Technische Universität Dresden)
  • 01.2022: Partizipation im Wohnbau. Erfahrungen aus der Steiermark, Andrea Jany (Karl-Franzens-Universität Graz)
  • 01.2022: Wohnungsbau und sozialräumliche Entwicklungen in Trier (Arbeitstitel), Stefan Leist (Stadtplanungsamt Trier)
  • 01.2022: Wohnbau in Klagenfurt – Herausforderungen und Perspektiven aus Sicht der Stadtplanung, Robert Piechl (Leiter Abt. Stadtplanung im Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee)