„Wir liebten es, ihn zu hassen“ – Bruno Kreiskys Haltung zur Nahost-Politik

Der Sozialdemokrat und Jude Bruno Kreisky war Ende der 1970er Jahre ein Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung unter Einbeziehung der „Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO)“. In unzähligen, durchaus markigen Äußerungen, bezog er – zum Ärgernis der Israeli – Stellung. Annemarie Duller, Doktorandin im Fach Zeitgeschichte, nimmt die Presseberichterstattung dieser Zeit in Österreich und in Israel unter die Lupe, um den Auswirkungen der Haltung Kreiskys auf die Beziehung zwischen den beiden Ländern auf die Spur zu kommen.

„Für die Israeli war und ist es völlig unverständlich, warum ein jüdischer Staatsmann die Idee der Zwei-Staaten-Lösung unterstützt und dabei die Feinde, die Terrororganisation PLO ins Boot holen will“, erklärt uns Annemarie Duller, die ihre Dissertation bei Dieter Pohl am Institut für Geschichte verfasst. In der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung dieser Zeit fehle, so Duller, eine systematische Sammlung der Berichterstattung zu diesem Schlagabtausch, inklusiver einer Analyse und Kontextualisierung. Dies möchte sie mit ihrer Doktorarbeit leisten.

Annemarie Duller möchte einen sachlichen Blick auf emotional bewegte Zeiten werfen: „Die Aussagen und Aktivitäten Kreiskys führten zu einer unglaublichen Aufregung. Täglich wurde in den israelischen Zeitungen berichtet. Die Person Kreiskys wurde dämonisiert; dazu hat er auch mit seinen spektakulären Interviews beigetragen.“ Annemarie Duller möchte auch herausfinden, ob es Stimmen gegeben hat, die seine Haltung anders eingeschätzt haben.

Den jüdischen Staat an sich hat Bruno Kreisky immer anerkannt, mit den Ideen des Zionismus konnte er hingegen nichts anfangen. Das habe man ihm in Israel nicht verziehen. Als Jude habe man ihn als „Selbsthasser“ pathologisiert. In Österreich hingegen gab es durchaus Gruppen, die die Haltung Kreiskys „nicht ungern gesehen hat“, wie uns Duller berichtet. Annemarie Duller steht für ihre Studie hinreichend Material zur Verfügung: Alle israelischen Zeitungsartikel über Österreich sind ins Deutsche übersetzt und liegen zu Tausenden im Kreisky-Archiv und im Österreichischen Staatsarchiv. Doch nicht nur der transnationale Vergleich in der Medienberichterstattung ist für Duller interessant, sondern auch alle Unterlagen, die den politischen Diskurs in Österreich belegen. „Inwieweit nahm die (fast) durchwegs negative Presse in Israel Einfluss auf die Politik in Österreich? Wurde sie von der Opposition in ihrer Tragweite wahrgenommen und in die parlamentarische Diskussion eingebracht? Die Nahostpolitik des Kanzlers führte auch zu Debatten innerhalb der Regierungspartei und dem Außenministerium. Die Frage, ob sich der Stellenwert Österreichs in Israel von der Person Kreisky lösen lässt, ist für mich ebenso relevant“, erklärt Annemarie Duller.

Noch bis ins nächste Jahr hinein wird Annemarie Duller mit der Datensammlung zu tun haben, danach geht es an die Analyse. „Ich habe keine Eile. Trotzdem gelingt es mir gar nicht, die Zügel locker zu lassen, weil mich das Thema so fesselt. Ich will, dass die Energie bei der Dissertation bleibt“, erzählt sie uns.

Annemarie Dullers Leben war und ist von Dualität geprägt. Sie arbeitete ab dem 15. Lebensjahr in der Praxis, erst ab dem 30. Lebensjahr kam die universitäre Bildung dazu. Sie studierte Pädagogik, gründete mit 40 mit der „Neuen Arbeit“ einen sozialökonomischen Betrieb und begann dann mit Anfang 50 das Geschichtestudium. „Ich folgte meinem persönlichen Interesse und dachte mir: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Für Bruno Kreisky hat sie sich schon früh interessiert. Insbesondere seine Menschenrechtspolitik wirft für sie viele Fragen auf, die sie auch jetzt mit der Dissertation weiter zu beantworten versucht: „Wie kann jemand Menschenrechtspolitik propagieren und gleichzeitig mit einer Terrororganisation ins Gespräch zu kommen versuchen? Kreiskys meinte einmal: Man könne nur mit jenen Feinden in das Gespräch kommen, die da sind – nicht mit jenen, die man sich wünsche.“

Auf ein paar Worte mit … Annemarie Duller


Warum ist es wichtig, dass man sich mit Geschichte beschäftigt?
Um gegenwärtige Ereignisse besser zu verstehen, bedarf es eines geschichtlichen Bewusstseins!

Wann arbeiten Sie an Ihrer Dissertation? Und wo?
Montag bis Freitag – in den Archiven, der Universität und zu Hause

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Schon – aber nicht an die Arbeit zu denken? Sie ist im Hintergrund stetig präsent.

Was bringt Sie in Rage?
Meine Ungeduld – das führt manchmal zu Umwegen, die mit etwas mehr Geduld nicht nötig gewesen wären

Und was beruhigt Sie?
Im flow zu sein

Wer ist für Sie der*die größte Wissenschaftler*in der Geschichte und warum?
Jene „wissenden“ Menschen, die komplexe Zusammenhänge in einer Art beschreiben, die auch ein Laie versteht, gewürzt mit einer Prise Humor, haben meine größte Bewunderung .

Wovor fürchten Sie sich?
Vor dem Schreiben, immer wieder

Worauf freuen Sie sich?
Nach dem Schreiben – auf das Ergebnis!