Neu denken und neu bauen. Architektur der Moderne in Kärnten

Himmelsbauten, Sichtbeton und massive Blumentröge als oft wenig geschätzte Kennzeichen der Bauten der 1950er-, 60er- und 70er-Jahre? Darauf lässt sich die Architektur der Nachkriegsjahrzehnte keineswegs reduzieren. Moderne Bauten prägen Stadt und Region bis in die Gegenwart. Doch was steckt dahinter? Lukas Vejnik und Simone Egger dokumentieren ihr breit angelegtes Forschungsprojekt mit einem Buch und einer Ausstellung. Und für ad astra haben sie je zwei Fragen beantwortet.  

Neben dem von Friedrich Achleitner – Literat der Wiener Gruppe und Architekt – herausgegebenen österreichischen Architekturführer für das 20. Jahrhundert gab es wiederholt Publikationen zur Baugeschichte in Kärnten, aber keine, die so tief in die Zeit der Nachkriegsmoderne eintaucht wie das Buch „Land der Moderne“ von Lukas Vejnik und Simone Egger. Es beleuchtet das Baugeschehen aus multidisziplinärer Perspektive und zeichnet sich durch eine schöne Bebilderung aus. Historischen Fotos von Friedrich Achleitner und Hans-Jörg Abuja folgen aktuelle Fotos von Gerhard Maurer. Lukas Vejnik, Architekt und Architekturstipendiat des Landes Kärnten 2019, verschafft darin einen gelungenen Überblick und einzelne konkrete Einsichten in vorwiegend öffentliche Bauten in Klagenfurt, Villach und anderen Orten in Kärnten, darunter auch Roland Rainers Vorstufengebäude der Universität Klagenfurt von 1972. Simone Egger, Kulturwissenschaftlerin am Institut für Kulturanalyse der Universität Klagenfurt, wirft einen reflektierenden Blick aus ihrer Sicht als Stadtforscherin auf diesen Zeitraum und stellt Baugeschichte in einen überregionalen Kontext. Dem Buch vorangegangen ist ein großes Lehrforschungsprojekt mit 43 Studierenden. Dabei wurden etwa Abujas Glasplattennegative in Kooperation mit dem Kärntner Landesmuseum ebenso wie Detailpläne von Kirchen, Seilbahnstationen und Schulzentren ausgehoben und digitalisiert. Zum Thema sind in der Zwischenzeit mehrere Bachelor- und Masterarbeiten entstanden, u. a. zum Architekten Karl Hayek (Herbert Nagl). Eine Ausstellung findet in der Alpen- Adria-Galerie statt.

 

 

Lukas Vejnik, Sie stammen aus Eisenkappel / Železna Kapla. Das dortige Hotel Obir des jugoslawischen Architekten Ilija Arnautović von 1977 ist eine prominente Bauruine und seit 2003 geschlossen. Sie wird weder abgerissen noch saniert, warum?

Lukas Vejnik: Das dort von der Galerie Vorspann 2012/13 initiierte Ausstellungsprojekt Hotel Obir Reception hat gezeigt, wie ein Gebäude selbst nach langjährigem Leerstand mit minimalen Eingriffen für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden kann. Eine schrittweise Sanierung könnte nahtlos an diesem Punkt ansetzen. Aktuell zeichnet sich ein Umbruch im Umgang mit Gebäuden der 1960er und 1970er Jahre ab. Im Hinblick auf einen schonenden Umgang mit Ressourcen sollte der Abriss generell als letzter Ausweg angesehen werden. Nicht nur dann, wenn es sich um Bauten bekannter Architekt*innen handelt. Allzu oft hört man, dass eine Sanierung sich nicht mehr lohnt und deshalb abgerissen und neu gebaut wird. Faktoren wie die graue Energie – der Rohstoffverbrauch, der bei der Herstellung von Baumaterialien anfällt – werden bei den Kalkulationen meist völlig außer Acht gelassen.

 

Abgesehen davon, dass die Bewohner* innen der (renovierten) Sternhochhäuser einen schönen Ausblick haben und der Bau auch architektonisch interessant ist, viele Bauten aus den 1950er bis 1970er Jahren wirken aus heutiger Sicht relativ funktionell und unaufregend. Warum sollen diese erhalten werden?

Lukas Vejnik: Viele dieser Bauten warten derzeit dringend auf eine adäquate Sanierung oder ein Weiterbauen an Qualitäten, die oft im Verborgenen liegen. Der gelungene Umbau des Nordtraktes der Alpen-Adria-Universität durch das Büro balloon Architekten und das Büro Maurer & Partner ist dafür ein wunderbares Beispiel. Spektakulär wären umfassende Sanierungsprogramme für ganze Regionen, das hätte Vorbildcharakter, auch was den Klimaschutz betrifft. In diesen Nachkriegsbauten, die einen erheblichen Anteil am Gesamtgebäudebestand einnehmen, versteckt sich ein großes Potenzial für zukünftige architektonische Experimente.

 

Simone Egger, Sie stammen aus München und befassen sich seit Ihrer Dissertation an der LMU mit Städten. Das Klagenfurter Sternhochhaus hatte sein Vorbild in den namensgleichen Wohnanlagen der Siemens-Siedlung in München. Was zeichnet dieses wiederholt angewendete und erfolgreiche Baukonzept aus?

Simone Egger: Ich untersuchte, wie die Stadt München nach Jahren der Zerstörung und dem Kriegsende wiederaufgebaut und schließlich modernisiert wurde. 1958 wurde ihr 800. Geburtstag begangen, 1966 erhielt sie den Zuschlag für die Sommerolympiade. In nur sechs Jahren bis 1972 wurde die Stadt nahezu komplett umstrukturiert, ein U- und S-Bahn-System eingezogen, der Verkehrsfluss in Ringen optimiert, der Wohnbau vorangetrieben und nicht zuletzt der Olympiapark errichtet. Moderne Anlagen wie die Siemens-Siedlung oder das Klagenfurter Sternhochhaus standen nach Jahren der Entbehrung für Komfort, den die zahlreichen unsanierten Altbauten, die sich angesichts von Flucht und Vertreibung nach 1945 oft mehrere Familien teilen mussten, zu dieser Zeit meist nicht bieten konnten: ein eigenes Badezimmer und die Toilette in der Wohnung, eine Heizung und dichte Fenster.

 

Welche Architektur überlebt und warum?

Simone Egger: Was erhalten wird, hat immer mit dem Geschmack der Zeit zu tun. Heute ist es kaum mehr vorstellbar, dass Gebäude des Jugendstils abgerissen werden; in den 1960ern und 1970ern galten sie aber als wenig modern. Das erste Wohngebäude für mehrere Parteien wurde auf einem Grundstück errichtet, auf dem vorher eine einzelne Jugendstil-Villa stand. Der Denkmalschutz wurde in Bayern erst 1973 eingeführt. Heute steht das gesamte Olympiagelände unter Ensembleschutz. Meist ist die Architektur der Nachkriegsmoderne heute in einem ungepflegten Zustand, das lässt sie aus historischer Sicht oft „hässlich“ erscheinen. Hinter dieser ästhetischen Oberfläche aber steht Zeitgeschichte, und es ist immer auch Aufgabe nachfolgender Generationen, sich mit den Ideen des Entstehungszeitraums auseinanderzusetzen.

für ad astra: Barbara Maier