Margaretha Gansterer | Foto: privat

Schafft Österreich eine funktionierende Corona-Logistik?

„Wir haben in Summe diese Kompetenz, aber alle müssen gut zusammenarbeiten“, so die Professorin für Logistik Margaretha Gansterer, die an der Abteilung für Produktionsmanagement und Logistik der Universität Klagenfurt forscht und lehrt. Sie ist Teil der Arbeitsgruppen „Basisversorgung/Logistik“ und „Gesundheitsversorgung“ der Forschungsplattform „Covid-19 Future Operations“, die während der Coronakrise dem interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaft und öffentlicher Hand dienen soll. Wir haben mit ihr über die Herausforderungen von Massentests und Impfungen gesprochen.

In China bemerken die Behörden vier Infizierte in einer 10-Millionen-Einwohnerstadt und testen die gesamte Stadtbevölkerung in wenigen Tagen. Logistische Probleme scheinen nicht aufzutreten. Was macht man dort anders als bei uns?

Die Dimensionen in China kann man mit Europa nicht vergleichen. Allein die kulturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind gänzlich andere. In China hat es von Beginn an extreme Ausgangssperren gegeben, wie sie bei uns nicht denkbar wären. Außerdem gibt es ein sehr effizientes Contacttracing, das ohne jegliche Datenschutzbedenken die Wege jedes und jeder Einzelnen nachverfolgen kann. Beispielsweise muss man sich bei jeder U-Bahnstation via QR-Code mit dem Smartphone registrieren.

Österreich versucht nun auch, auf Massentests zu setzen. Die Logistik scheint aber sehr herausfordernd zu sein. Woran liegt das?

Bei den Massentests stehen wir vor großen Herausforderungen. Nehmen wir als Beispiel die Standorte, an denen diese stattfinden sollen: Wir wollen Menschenansammlungen in Innenräumen verhindern, gleichzeitig wird es aber draußen zunehmend kälter, was es uns verunmöglicht, die Tests outdoor durchzuführen. In der Slowakei hat man große Menschenschlangen gesehen. Gleichzeitig gibt es die Nebenbedingung, dass die Tests freiwillig und daher möglichst komfortabel für die Bevölkerung sein sollen.

Was gilt es denn bei der Auswahl der Testlokalitäten zu beachten?

Hier entsteht ein Zielkonflikt: Je bequemer wir die Erreichbarkeit für die Menschen machen will, desto mehr Stationen werden benötigt. Für sehr viele Stationen brauchen wir sehr viel Personal. Da kommen wir auch zur Frage: Ist das Bundesheer in hinreichender Zahl so schnell zu schulen, dass die Tests auch korrekt abgenommen werden? In der Slowakei sind hierzu schon Zweifel aufgekommen.

Hätte man für die Vorbereitung mehr Zeit gebraucht?

Ja, dafür hätte man mehr Zeit gebraucht. Es gab aber bis vor kurzem Skepsis gegenüber Massentests, obwohl viele Wissenschaftler*innen diese schon länger einmahnen war. Erst jetzt, als die Infektionszahlen dramatisch zugenommen haben, wird dieses Instrument als möglicher Wellenbrecher angesehen.

Können Logistik-Expert*innen zu diesem Zeitpunkt noch Sinnvolles einbringen, um die Massentests möglichst erfolgreich umzusetzen?

Ja, wir können wissenschaftlich sehr viel einbringen, zum Beispiel zu Fragen wie: Wo werden die Testspots positioniert? Wie kann man die Wegzeit für die Menschen minimieren? Wie groß soll man die Spots dimensionieren? Brauchen wir ein Terminvergabesystem? Wie und in welchen Mengen sollen Tests zu Lokationen transportiert werden? Was kann man aus der Evidenz anderer Länder lernen? Wie muss die Informationslogistik aufgesetzt sein? Zu all diesen Fragen können wir uns einbringen.

In den letzten Wochen war das Contacttracing in Österreich zunehmend zum Scheitern verurteilt. Nun schafft man sich mittels Lockdown und Massentests eine Verschnaufpause, um wieder neu zu starten. Wird das gelingen?

Das Contacttracing an sich ist eine reine Ressourcenfrage und nicht kompliziert. In letzter Zeit sind allerdings viele Probleme entlang der Testkette aufgetaucht – von der Abnahme der Tests, der Auswertung im Labor, der Übermittlung der Ergebnisse, dem Contacttracing bis hin zur behördlichen Quarantäneverfügung. Das hat alles viel zu lange gedauert. Wenn es die Massentests aber schaffen, die Zahl der Neuinfektionen deutlich zu senken, haben wir eine realistische Chance darauf, dass die schnelle Kontaktnachverfolgung auch gelingt.

Die nächste riesige Logistik-Herausforderung wartet dann, hoffentlich, mit Jahresbeginn auf das Gesundheitssystem: Die Impfung. Angesichts der vielen Probleme der letzten Wochen frage ich mich: Kann Österreich in kurzer Zeit eine funktionierende Impflogistik aufbauen?

Ich habe vollstes Vertrauen, dass wir die Kompetenzen in diesem Land haben um das zu schaffen. Die Impfstoffe stehen nun kurzfristiger zur Verfügung, als man dies erwartet hat. Jetzt gilt es, die Kräfte zu bündeln und sich von der Wissenschaft beraten zu lassen. Eine Ultra-Cold-Supply-Chain, wie wir sie für die Impfstoffe von Pfizer-Biontech brauchen, wird eine große Herausforderung bedeuten.

Können die Massentests eine Art Übung für die Impfungen darstellen?

Nur bedingt, weil sie nicht dieselben Probleme bereithalten. Einerseits ist es komplizierter, die Impfungen zu organisieren, weil die Impfstoffe bei -80 Grad gelagert und transportiert werden müssen, was besonders für die „letzte Meile“ vom Flughafen bis zu den Stellen, an denen geimpft wird, gewisse Probleme bereithält: Gibt es hinreichend Leerkapazitäten bei den Lastwagen? Haben wir genug Transportboxen? Haben wir hinreichend Trockeneis? Wie viele Impfdosen sind in einer Box, sodass sie nicht erneut geschlossen und woanders hingebracht werden muss? Haben wir an jedem Ort genug anderes Material wie Schutzausrüstung und Spritzen? Entlang einer Cold-Supply-Chain dürfen keine Fehler passieren. Die Impfungen sind aber insofern leichter als die Tests umzusetzen, weil die Bevölkerung in kleineren Gruppen geimpft werden kann und auch die Bereitschaft zur Impfung kann leichter eingeschätzt werden als bei den Massentests. Diese Information erleichtert das Planungsproblem deutlich.

Sie sagen, wir haben diese Kompetenzen. Wo sind sie denn verortet?

Ich sehe sie teilweise in der Wissenschaft, teilweise in der Politik. Wir brauchen jetzt echte Kooperation. Wenn geheime Pläne geschmiedet werden und dann alle vor vollendeten Tatsachen stehen, birgt das ein großes Risiko. Wenn aber alle effizient zusammenarbeiten, bin ich guter Dinge.


Zur Person:

Margaretha Gansterer ist seit Oktober 2019 als Professorin für Produktionsmanagement am Institut für Produktions-, Energie- und Umweltmanagement tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Lösen von komplexen Planungsproblemen in der Produktion und Logistik. Ein besonderer Fokus liegt hier auf der Entwicklung von effizienten Algorithmen in der Tourenplanung. Zuletzt hat sie sich intensiv mit dem Design von kollaborativen Mechanismen beschäftigt. Diese finden beispielsweise beim Austausch von Transportaufträgen über Auktionsplattformen Anwendung.