Jonas Knoll – Eine neue Welt.

Jonas Knoll

Eine neue Welt

 

Ich hörte einmal eine Geschichte meines Opas aus der späten Nachkriegszeit, die war für ihn so einprägsam, dass er sie sogar seinen Kindern und dann auch seinen Enkelkindern (also mir) erzählt hatte. Die ging so:

Eines Morgens wachte ich auf, es war eisig kalt, sogar mit der dicken Decke. Ich gab mir einen Ruck und stand auf, kramte mein Leibchen, die Hose und Unterhose und meine Lieblingssocken aus dem Schrank. Als ich mich angezogen hatte, ging ich ins Badezimmer und wusch mich, putzte mir die Zähne und rannte die Treppe hinunter. Das machte immer einen Höllenlärm, weil die Treppe schon ganz alt war und aus Holz bestand.

Ich setze mich zum Küchentisch. Heute gab es Semmeln zum Frühstück –  eine echte Besonderheit. Ich strich mir eine Semmel mit Marmelade und eine mit Honig, ich finde ja, dass frische Semmeln mit Honig etwas besser schmecken als mit Marmelade.

Mein Vater las das Neueste in der Zeitung und trank dazu eine Tasse schwarzen Kaffee. Meine Mutter fragte, ob ich alles für die Schule eingepackt habe. Ich schüttelte den Kopf und rannte die knarrende Treppe hinauf, packte meine Schulsachen und starrte auf das Fenster. Ich sah, wie die Eiskristalle anfingen zu schmelzen. Es faszinierte mich, die Sonne wärmte mich und es war mir auch nicht mehr kalt. Es machte irgendetwas mit mir. Es erfüllte mich mit Energie, die ich so oder so nötig hatte.

Nach ein paar Minuten hörte ich meine Mutter, die mich in leicht genervtem Ton fragte, wo ich denn bliebe, und dass meine Schulkollegen schon draußen auf mich warteten. Also polterte ich die Stiege wieder runter, um mich noch von meinen Eltern zu verabschieden. Sie wünschten mir einen schönen Tag. Ich erwiderte ihre Glückwünsche und zog mir den warmen Filzmantel und meine Lederschuhe an.

Dann ging ich nach draußen. Die eisige Luft schlug mir ins Gesicht, mein Atem verwandelte sich in Rauch. „Da bist du ja endlich!“, sagte Mark. Peter fügte noch hinzu: „Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch rechtzeitig zu Unterrichtsbeginn in der Schule sein wollen!“ – „Dann laufen wir, oder?“, fragte ich. Beide nickten und wir rannten los. Wir huschten noch rechtzeitig in die Klasse. Ich war schon am Nachhauseweg, als Mark plötzlich ganz aufgeregt auf mich zu rannte. Er sagte: „Guck mal, was ich habe!“ Er hatte eine Dose aus Aluminium in der Hand, sie sah aus wie eine Bonbondose. „Das sind Kaugummis“, erklärte er mir, „probier mal!“

Ich steckte den Kaugummi ganz vorsichtig in den Mund. Während er eine große Blase machte und sie zerplatzen ließ. „Ja, es schmeckt wirklich wie ein Minzbonbon! Herrlich! So etwas brauch ich auch!! Wo hast du das her?“

Mark flüsterte: „Du darfst es niemandem verraten!! Versprich mir das! Ich habe es von einem englischen Soldaten geschenkt bekommen!“ Ich war fasziniert und ein bisschen erschrocken darüber, weil mir meine Eltern den Kontakt mit Soldaten streng verboten hatten. Er versprach mir, noch solche Kaugummis zu besorgen, da ich sein bester Freund war.

Jedes Mal, wenn ich einen Kaugummi esse, muss ich an diese Geschichte denken.